Jeder erfahrene und aufmerksame Autobahn-Benutzer kennt sie und hofft, sie nie beanspruchen zu müssen: Die orangenen Notrufsäulen bleiben auch im Zeitalter der Smartphones ein unverzichtbarer Helfer. Noch. Denn die Zahl ihrer Nutzer sinkt.
Die orangefarbenen Geräte entlang der Autobahnen wirken wie aus einer alten Zeit. Etwa alle zwei Kilometer trotzt eine Notrufsäule Wind und Wetter. Die unübersehbare Botschaft: Wer einen Notfall melden will, kann hier Hilfe organisieren.
Doch braucht eine Gesellschaft, in der fast alle Menschen ein Handy besitzen, ein flächendeckendes Netz an Notrufsäulen?
Wenn der Handy-Akku leer ist
Aus Sicht der GDV Dienstleistungs-GmbH, die im Auftrag des Bundes die Notrufe annimmt, liegen die Vorteile auf der Hand. "Sie haben keinen leeren Akku", sagt die Sprecherin Birgit Luge-Ehrhardt. Und: "Es gibt nach wie vor Autobahnabschnitte, wo man keine oder eine schlechte Funkverbindung hat."
Auch für Menschen aus dem Ausland, die mit der europaweiten Notrufnummer 112 nicht vertraut sind, seien die Notrufsäulen wichtig. Zudem seien die Geräte exakt vermessen. "Wir wissen punktgenau, wo die Säule steht, von der der Anruf kommt."
Mehr als 52.400 Mal wurden Notrufsäulen nach einer Statistik der GDV Dienstleistungs-GmbH im vergangenen Jahr genutzt. "Auf die 13.009 Kilometer Autobahnstrecke in Deutschland verteilt, bedeutet das ein Aufkommen von rund vier Anrufen pro Kilometer", rechnet der Vorsitzende der Geschäftsführung, Jens Bartenwerfer, vor.
Demnach meldeten die meisten Anrufer Pannen und Notrufe, andere informierten über Menschen auf der Autobahn, Falschfahrer, Gegenstände auf der Straße oder Böschungsbrände.
Wer vor einer Säule steht, kann zwischen den Tasten "Panne" und "Notruf" wählen. In beiden Fällen kommt der Kontakt mit der Notrufzentrale der Autoversicherer in Hamburg zustande.
Bei wem die Notrufe landen
"Rund 180 Menschen arbeiten rund um die Uhr im Schichtbetrieb", sagt Luge-Ehrhardt. Um auch ausländischen Anrufern helfen zu können, sprechen einige Mitarbeiter neben Deutsch auch andere Sprachen.
Bei einem Notruf wird eine Konferenzschaltung mit der zuständigen Rettungsleitstelle hergestellt. Bei einer Panne wird Hilfe organisiert. Der Anrufer entscheidet, ob er Leistungen über seine Kfz-Versicherung, seine Mitgliedschaft in einem Automobilclub oder durch den Fahrzeughersteller in Anspruch nehmen will.
Nach Einschätzung des ADAC haben Notrufsäulen eine erhebliche Bedeutung. "Auf die Notrufsäulen kann man sich immer verlassen", sagt Sprecher Andreas Hölzel in München.
Die Bundesregierung sieht das ähnlich. "Die Notrufsäulen dienen der Verkehrssicherheit, so dass mittelfristig keine Alternativen gesehen werden", heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium in Berlin. Es werde aber beobachtet, ob die Rolle der Notrufsäule langfristig neu bewertet werden muss - etwa infolge der EU-weiten Einführung des eCall-Systems.
Dieses automatische Notrufsystem ist seit 2018 für alle neu zugelassenen Automodelle in Europa Pflicht. Ein Auto mit solcher Notruf-Automatik wählt nach einem Unfall den Notruf 112 und stellt eine Telefonverbindung zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle her.
Per Satellit übermittelt eCall Daten zum Standort des Wagens. Die GDV rechnet damit, dass der eCall voraussichtlich im Jahr 2035 den Auto-Markt durchdrungen hat. Bis dahin seien Alternativen wie die Notrufsäulen wichtig.
Die Zahl der Notrufsäulen steigt
Indes nimmt die Zahl der Notrufsäulen weiter zu, denn an allen neuen Autobahnabschnitten werden neue Notrufsäulen aufgestellt. Als der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Jahr 1999 den Betrieb übernahm, gab es rund 14.000 Notrufsäulen an deutschen Autobahnen - inzwischen sind knapp 17.000 in Betrieb.
Die Zahl der Anrufe nimmt die gegenläufige Richtung. Sie sank von rund 1,5 Millionen Notrufen in den 1990er Jahren auf zuletzt etwa 52.400 Anrufe im Jahr 2018.
Welche Notrufsäule besonders oft genutzt wird, ist mitunter schwer zu ermitteln, wie sich jüngst zeigte. Nach einer automatischen Zählung der GDV gab es an einer Säule in Bremen die meisten Notrufe. "Von der nur sieben Kilometer langen BAB 281 gingen im vergangenen Jahr 213 Meldungen ein", hieß es im Frühjahr.
Bei fachkundigen Menschen in Bremen löste dies Verwunderung aus, denn die Straße ist weder stark befahren noch ein Unfallschwerpunkt. "Es ist unmöglich, dass dort so viele Notrufe abgegeben werden", sagte etwa Martin Stellmann vom Bremer Amt für Straßen und Verkehr.
Licht ins Dunkel brachte die Fernmeldemeisterei, welche die Säule betreibt und überwacht. "Diese 203 Anrufe sind in Folge einer Störung an der Säule an einem Tag abgesetzt worden", erklärte der Leiter der Fernmeldemeisterei in Oyten, Andreas Hartge. "Das waren keine Anrufe, sondern Fehlverbindungen." Nach Erkennen des Defekts sei die Säule ausgetauscht worden.
An der bundesweiten Gesamtzahl der Notrufe änderte die Störung in Bremen nichts. Dafür zählte die GDV Dienstleistungs-GmbH nach eigenen Angaben nur Anrufe, die zu einer weiteren Maßnahme führten. (hau/dpa)
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