Es ist mehr als acht Jahre her, dass der Dieselskandal aufgeflogen war. Doch weder für die Kundinnen und Kunden noch für die Hersteller, Gerichte und Behörden sind die Probleme, welche die früheren Abgasmanipulationen nach sich zogen, inzwischen ausgestanden. Nun sieht sich Mercedes mit einer Nachwirkung konfrontiert: Der schwäbische Autobauer muss mehr als 100.000 Dieselautos zurückrufen, die offensichtlich noch immer nicht regelkonform ihre Abgase reinigen.
Video: Bloch erklärt: Macht der Diesel die Luft sauberer?
Wie Mercedes auf Nachfrage von auto-motor-und-sport.de bestätigte, ordnet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Rückruf offiziell an. Betroffen ist eine "untere sechsstellige Anzahl" von Dieselautos mit den Schadstoffklassen Euro 5 und 6b. Um welche Baureihen und Motorvarianten es konkret geht, ist derzeit noch nicht öffentlich bekannt. Kundinnen und Kunden werden aber angeschrieben, sollten sie ihr Auto in die Werkstatt bringen müssen. Sie können sich aber auch zeitnah auf einer von Mercedes eingerichteten Website informieren, ob ihr Auto betroffen ist. Die Abfrage funktioniert anhand der Fahrgestellnummer. "Von der Modell- und/oder Motorbezeichnung alleine lässt sich nicht verlässlich ablesen, ob ein Fahrzeug Teil eines Rückrufes ist", so eine Mercedes-Sprecherin.
KBA beanstandet Thermofenster
Die technische Ursache für den Rückruf ist das sogenannte Thermofenster. Dabei handelt es sich um eine Funktion, welche die Abgasreinigung bei niedrigen oder hohen Temperaturen zurückfährt, was zu einem höheren Ausstoß von Stickoxiden führt. Den Autoherstellern zufolge sind die Thermofenster nötig, um die Dieselmotoren bei schlechten äußeren Bedingungen vor Beschädigungen zu schützen. Oft werden sie jedoch bereits bei durchschnittlichen Temperaturen angewendet. Dieser Praxis hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Grundsatzurteil vom März 2023 einen Riegel vorgeschoben und Thermofenster damit zu in der Regel unzulässigen Abschalteinrichtungen erklärt.
Dass das KBA jetzt den Rückruf-Bescheid an Mercedes verschickte, ist eine direkte Reaktion auf dieses Urteil. Aufgrund der Entscheidung habe das KBA seine Rechtsauffassung in diesem Zusammenhang weiterentwickelt und den Hersteller nunmehr dazu aufgefordert, die entsprechenden Kalibrierungen in der Motorsteuerung bestimmter Fahrzeugvarianten zu ändern, sagt die Mercedes-Sprecherin. Bis dahin hätten "die europäischen Typgenehmigungsbehörden entsprechende Temperatursteuerungen der Abgasrückführung generell für zulässig gehalten". Der Hersteller stehe zu dem Sachverhalt schon länger mit dem KBA im Austausch und kooperiere vollumfänglich mit der Behörde.
Software-Update – sonst droht Stilllegung
Im Zuge des Rückrufs wird den betroffenen Autos bei einem Mercedes-Servicepartner ein Software-Update aufgespielt. Dieses sei mittlerweile für nahezu alle Fahrzeugvarianten der Euro-5- und Euro-6b-Dieselflotte in Europa in den Werkstätten verfügbar. Bislang gibt es jedoch keine Informationen, wie lange der Werkstattaufenthalt dauert. Besitzerinnen und Besitzer sollten dem Rückruf jedoch auf jeden Fall nachkommen, sonst droht die Stilllegung ihres Autos.
Es drohen übrigens weitere, ganz ähnliche Rückrufe. Einerseits bei Mercedes: Hier prüft das KBA dem Spiegel und BR zufolge zwei weitere Abschaltmechanismen des Emissionskontrollsystems; konkret gehe es um 350er-Diesel der E-Klasse. Andererseits spekulieren beide Publikationen, dass das KBA auch bei anderen Autobauern bald ähnliche Maßnahmen anordnen könnte.
Hinweis: In der Fotoshow präsentieren wir Ihnen den Gebrauchtwagen-Check der Mercedes C-Klasse (W 205; Bauzeitraum 2014 bis 2021). © auto motor und sport
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.