Mercedes verbindet Bremse und E-Motor. Das geschlossene System rostet nicht, reduziert radgefederte Massen, ist wartungsfrei und der Bremsstaub bleibt drin. Außerdem soll sogar die Effizienz wachsen. Wie die Technik funktioniert.

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Während die einen am Radnabenmotor arbeiten und den Antrieb in die Felge bringen wollen, versucht Mercedes die Bremse in den Motor zu integrieren. Für dieses Vorhaben hat die Vorentwicklung einen Prototyp für eine Bremse aufgebaut, der besser auf die Anforderungen der E-Maschine angepasst ist als konventionelle. Denn gerade beim E-Auto kommt es immer wieder zu Problemen mit den Bremsen. Das zeigt auch der TÜV-Report 2024. Da die Rekuperation im Alltag bis zu 98 Prozent der Bremsvorgänge ersetzt, kommt die reguläre Bremse im E-Auto kaum mehr zum Einsatz. Das Ergebnis: Die Scheiben beginnen zu rosten und sorgen für ganz neue Verschleißprobleme der Konstruktionen.

Der Aufbau der In-Drive-Brake

Was hat Mercedes genau gemacht? Für den Prototypen haben die Entwickler das technische Prinzip der Kupplung auf die Bremse übertragen. Direkt an die E-Maschine haben sie links und rechts je eine Bremsscheibe (im Bild nicht zu sehen) montiert. Dann kommt eine Scheibe, die beidseitig mit Bremsbelägen bestückt ist, innen einen Zahnkranz trägt und an eine Kupplungsreibscheibe erinnert. Es folgt eine weitere Bremsscheibe (im Bild die mit dem Zahnkranz außen). Zum Schluss ein Gehäusedeckel, der das System komplett verpackt und unten einen Behälter für den Bremsstaub trägt (im Bild ganz links). Im Bild auf dem Tischchen ganz rechts ist die Hydraulik zu sehen, die die Bremsscheiben zusammen- und damit auf die Belagscheibe drückt. Das kleinere Zahnrad rechts im Bild lässt die Belagscheibe drehen. Es sitzt fest auf der Antriebswelle.

Dreht die E-Maschine das Rad und damit die Antriebswelle, dreht sich die Belagscheibe mit, während die Bremsscheiben stehen bleiben. Wird die Bremse betätigt, schiebt die Hydraulik, ähnlich wie bei der normalen Bremse, die beiden Bremsscheiben und die Belagscheibe zusammen. Der Bremsstaub, der sonst die Felgen verschmutzt und die Umwelt belastet, wird im Gehäuse aufgefangen. Damit wäre ein Problem gelöst, das die EU7 den Entwicklern stellt und für das bei herkömmlichen Bremsen bislang eher abenteuerliche Lösungen wie eine Art Staubsauger und Auffangbehälter bekannt sind.

Video: Im Video: Mercedes In-Drive-Brake Animation

Wassergekühlte Bremsscheiben gegen Überhitzung

Auch die Energie, also die Wärme, die beim Bremsen entsteht, fängt das System auf. Denn eine Belüftung gibt es nicht. Damit das Ganze im Extremfall nicht überhitzt, haben die Entwickler wassergekühlte Bremsscheiben entworfen, die die Energie aus dem System nehmen – und das ist im Ernstfall Einiges. Denn die Bremsanlage eines modernen Autos muss bis zu 2,2 Megawatt Leistung wegstecken. Das ist so viel wie ein Windrad mit einem Durchmesser von 90 Metern erzeugt. Die Rekuperation hingegen steigt in den meisten Fällen schon bei rund 300 kW, also 0,3 Megawatt, aus.

So viel zur Technik. Dass hinter dem Konzept aber mehr als eine Spielerei für Nerds steckt, zeigt sich, wenn man bei Mercedes nach dem Warum fragt. Zum einen will man so bis zu 40 Prozent der ungefederten Massen in den Rädern einsparen. Das sorgt gerade bei großen Rädern für einen Komfortgewinn. Zudem soll das System eine komplett wartungsfreie Bremse ermöglichen. Der Plan der Mercedes-Entwickler lautet nämlich, das System auf 300.000 Kilometer oder 15 Jahre auszulegen – für den Hersteller also auf das ganze Autoleben.

Mehr Reichweite durch neue E-Auto-Bremse

Ein weiteres Thema ist die Aerodynamik. Da bei konventionellen Bremssystemen ebenfalls die Wärme abgeführt werden muss, haben die meisten Felgen Löcher zur Belüftung. Was gut für die Bremse ist, schadet allerdings der Windschlüpfigkeit des Autos. Denn die Löcher erzeugen Verwirbelungen des Luftstroms und das verschlechtert den cW-Wert. Komplett geschlossene Felgen könnten hier noch ein paar Hundertstel bringen – und so, mit einer Bremse direkt am E-Motor, die Reichweite erhöhen.

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Was in Summe nach einer spannenden Idee klingt, ist allerdings noch reine Zukunftsmusik. Denn bei diesem Bremssystem handelt es sich noch um einen reinen Prototyp. Was Hoffnungen weckt: Die Bremse wurde auf den Block des MMA-Aggregats montiert, also dem Motor, der zur kommenden Generation der Elektro-Mercedes gehört. Wann – und ob es die Bremse aber in Serie schafft, ist offen.  © auto motor und sport

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