Jenson Button ist zwar noch immer Rennfahrer – beispielsweise in der umstrittenen Offroad-Rennserie Extreme E. In dieser Funktion bewahrt er anscheinend gerne Traditionen. Nicht umsonst gehört er einem Quartett an, das die britische Marke Radford wiederbelebt. Die vom namensgebenden Harold Radford gegründete Firma kreierte als klassischer Coachbuilder bis 1975 Sonderkarosserien für Modelle aus den Edelhäusern Rolls-Royce, Bentley sowie Aston Martin und war besonders für Shooting Brake-Formen bekannt.
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Eine solche zeigt in Ansätzen auch das erste Projekt der neuen Radford-Ära, bei dem sich neben Button noch der Designer Mark Stubbs, der Radio- und Fernsehmoderator und Motorenspezialist Ant Anstead sowie der Wirtschaftsberater und Rechtsanwalt Roger Behle beteiligen. Das Basisauto verfügt jedoch über einen komplett anderen Genpool als die einstigen Nobelkarossen. Das Chassis liefert Lotus, was aus einem anderen Grund perfekt passt: Genau wie Radford wurde der Sportwagen-Hersteller im Jahr 1948 gegründet.
Neuauflage des Lotus Type 62
Aus der Zusammenarbeit zwischen Radford und Lotus geht eine Neuauflage des Lotus Type 62 hervor. Der nach dem Reglement der damaligen Gruppe 6 aufgebaute Rennwagen kam lediglich in der Saison 1969 zum Einsatz; aufgrund der kurzen Lebensdauer entstanden nur zwei Exemplare. Angetrieben wurde er von einem Zweiliter-Vierzylinder-Motor, der seine Ursprünge in einem Vauxhall-Triebwerk hatte. Obwohl das Aggregat als nicht besonders standfest galt, war der Lotus Type 62 in seiner Klasse schwer zu schlagen.
Der von Stubbs entworfene Type 62-2 weist ähnlich geschwungene Formen auf wie das Original. Über die Räder spannen sich gebogene Kotflügel, auf denen vorn die mit Kameratechnik ausgerüsteten Außenspiegel sitzen, während die Dachlinie des nur 1.133 Millimeter hohen Sportwagens sehr sanft nach hinten abfällt. Daraus ergibt sich eine homogene Form mit einigen markanten Details. Dazu zählen die ins Dach reichenden Türen, die vertikel ausgerichteten seitlichen Lufteinlässe und die in die Karosserie modellierten Heckspoiler-Elemente im Entenbürzel-Stil.
Legendäre Farbgebungen
Über Letztere verfügt jedoch nur die Version "Gold Leaf". Sie ist benannt nach jener Zigarettenmarke, die in Lotus' großer Motorsport-Ära als einer der Sponsoren des britischen Rennstalls auftrat. In dieser Konfiguration rollt der Radford zudem auf jeweils zweiteiligen Leichtmetallrädern mit Zentralverschluss, die vorn 18 und hinten 19 Zoll messen. Als Basisversion fungiert der Type 62-2 Classic, der auf die Spoiler verzichtet und dessen geschmiedete Aluminiumräder jeweils ein Zoll kleiner dimensioniert sind. Über einen flachen Unterboden, der in einen Diffusor mündet, verfügen aber beide Varianten. Genau wie über den Schriftzug am Heck, der auf die technische Basis hinweist, und die beiden keramikbeschichteten Auspuff-Endrohre.
Wenig überraschend legt Radford viel Wert auf das Thema Leichtbau. Das Monocoque-Chassis besteht aus teils genietetem, teils geklebtem Aluminium sowie Elementen aus Verbundwerkstoffen, zu denen ebenso ein integrierter Überrollbügel gehört. Die Karosserie wird komplett aus Carbon gefertigt. Trotz des geringen Trockengewichts von unter 1.000 Kilogramm soll der Type 62-2 über eine optimale Verwindungssteifigkeit verfügen.
Track Edition als Hardcore-Modell
Radford hat einen Kompressor-V6, der als Mittelmotor ins Chassis integriert ist, als passendes Triebwerk auserkoren. Im Type 62-2 Classic leistet das 3,5-Liter-Aggregat – wie im stärksten Lotus Evora – 436 PS. Die Gold-Leaf-Version soll dank verbesserter Kolben, Pleuel und Nockenwellen sowie einer geänderten Motorsteuerung sogar 507 PS erreichen. Hinzu kommt die John-Player-Special-Variante (JPS), die über einen 608 PS starken Motor mit optimiertem Kompressor verfügt. Die gleichnamige Tabakmarke trat mit ihrem ikonischen gold-schwarzen Farb-Design über viele Jahre ebenfalls als Lotus-Motorsport-Sponsor auf; dieser Radford Type 62-2 adaptiert das ikonische Outfit.
Zudem hat Radford nun ein nicht straßenzugelassenes Hardcore-Modell mit ebenfalls 608 PS vorgestellt. Laut Hersteller-Website entsprechen dessen Fahrleistungen jenen der JPS-Variante. Von null auf 60 mph (96,6 km/h) soll diese Version in 2,9 Sekunden beschleunigen. Den Spurt von null auf 200 km/h absolviert der dynamischste Radford Type 62-2 in 8,4 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 291 km/h elektronisch begrenzt. Das Leergewicht beträgt 980 Kilogramm. Der Beiname des Modells? Ganz schlicht "Track Edition". Es wird ganz nach den Wünschen der Kundinnen und Kunden gestaltet. Hier sind zudem die Lufteinlässe (samt beeindruckender Dachhutze) und Spoiler sowie der Diffusor im XL-Format ausgeführt – genau wie beim erst kürzlich eingesetzten Bergrennwagen Pikes Peak Edition.
Gold Leaf und JPS mit Rennsport-Technik
Die Abgase entweichen bei den beiden besonders dynamischen Type-62-2-Varianten über eine Titan-Abgasanlage in die Freiheit. Das beim Gold Leaf aufpreisfreie Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe ist für den Classic optional verfügbar; serienmäßig werden dort die sechs Vorwärtsgänge hier von Hand sortiert. Ein Sperrdifferenzial ist aber immer an Bord; beim Classic ist es elektronisch und bei den anderen Modellvarianten mechanisch ausgeführt. Bei den Reifen hat sich Radford bei den Straßen-Varianten für Michelin Pilot Sport Cup 2 und bei der Track Edition für spezielle Yokohama-Pneus entschieden. Hier erhält die Kundschaft obendrein einen zweiten Radsatz, Reifenwärmer und individuelle Unterstützung vom japanischen Reifenspezialisten.
Das Fahrwerk mit Schraubenfedern und vierfach verstellbaren Dämpfern leitet Radford vom Lotus-Vorbild ab, legt es aber etwas tiefer. Die Bremsanlage stammt von AP Racing. Sie arbeitet mit Vierkolben-Sätteln und Stahl- (Classic und Gold Leaf) oder Karbon-Keramik-Scheiben (JPS und Track Edition), die hier zudem in Kohlefaser-Felgen ein Zuhause finden. Während das ESP des Type 62-2 Classic ein Großserien-System ist und aus dem Bosch-Regal kommt, stammen ABS und Traktionskontrolle in Gold Leaf, JPS und Track Edition aus dem Rennsport. Auf eine Servolenkung müssen alle Fahrerinnen und Fahrer des Radford verzichten. Jenson Button stellt für den Type 62-2 ein "durch und durch analoges, fesselndes und raffiniertes Fahrverhalten" in Aussicht, in der weiterhin die Lotus-DNA verankert sei.
Edler, aber puristischer Innenraum
Beim zweisitzigen, individualisierbaren Innenraum stellt der Hersteller eine Hommage an die Leichtbau-Philosophie von Lotus her. Abgedunkelte Scheiben sowie Kohlefaser-Akzente am Dachhimmel, an den A-Säulen und an der Bodenverkleidung verleihen dem Type 62-2 Renn-Charakter. Zudem ein echter Blickfang: zwei analoge und zum Fahrer gerichtete Ziffernblätter. Es handelt sich dabei um eine Uhr und einen Timer, die der britische Luxus-Uhrenmacher Bremont extra für Radford entworfen hat.
Schnörkelloser muten die physischen Schalter und Kippschalter an, die ebenfalls am Armaturenbrett stecken. Unter diesen platziert Radford eine Plakette, auf der die Baunummer der limitierten Exemplare steht. Sie dient nicht nur zur Zierde, sondern auch als magnetische Docking-Station fürs Smartphone zum induktiven Laden. Passend zum nobelminimalistischen Eindruck, den der Type 62-2 innen sonst vermittelt, verbaut Radford ein komplett freiliegendes Schaltgestänge für das manuelle Getriebe, zudem ein Sportlenkrad im Carbon-Style.
Track Edition mit besonderer Ausstattung
In Sachen Farbgebung spiegelt das in Schwarz mit goldenen Akzenten gehaltene Interieur die Elemente der JPS-Lackierung wieder. Besonders edel wirken goldene und mit Lotus-Schriftzügen verzierte Einlassungen in den Schalensitzen. Aus diesen ragen schwarz-gelbe Schroth-Renngurte heraus. Trotz der Sportlichkeit soll es innen aber auch komfortabel zugehen. Im zwischen Insassen und Motor platzierten Gepäckabteil lassen sich maßgeschneiderte Koffer unterbringen.
Die Track Edition setzt in puncto Individualisierbarkeit andere Akzente: Ihr legt Radford auf den Körper und die Füße des Kunden oder der Kundin maßgeschneiderte Sparco-Rennoverals und -schuhe sowie einen Helm, Rennhandschuhe und eine Sonnenbrille bei. Hinzu kommen ein spezielles Werkzeugset und Car-Cover sowie ein laserbasiertes Kit, mit dem Spur und Sturz eingestellt werden können.
Kameras statt Spiegel
Einpark-Kameras vorn und hinten sowie ein optionales Nasenlift-System helfen den Fahrerinnen und Fahrern der Straßenversionen, die Herausforderungen des innerstädtischen Verkehrs zu bewältigen. Die Bilder der Rückspiegel-Kameras werden von kleinen Monitoren an den A-Säulen dargestellt; auch den Innenspiegel realisiert Radford per Kamera-Technologie. Ein weiteres, sechs Zoll großes und hinter dem Lenkrad positioniertes Display dient als Informations-Zentrale. Die Elemente der Benutzeroberfläche sind individuell anpassbar. Der Type 62-2 verfügt ferner über ein Soundsystem mit fünf Lautsprechern und Bluetooth-Konnektivität.
Radford limitiert sein Erstlingswerk auf – logisch – 62 Exemplare. Nur jeweils zwölf von ihnen werden das Gold-Leaf- oder John-Player-Special-Outfit tragen. Auf diese Anzahl ist auch die Track Edition limitiert, deren Käuferinnen und Käufer zudem Fahrertrainings absolvieren können, die von Button oder US-Rennfahrer Tanner Foust geleitet werden. Zudem lässt sich diese Modellvariante in passenden Clubsport-Rennserien einsetzen. Die Produktion der Straßen-Radfords startete 2022; Preise nennt der Hersteller generell nur auf konkrete Kaufanfrage.
Bei diesem Projekt soll es übrigens nicht bleiben. Radford hat vor, künftig wieder als Coachbuilder klassischer Prägung aufzutreten und eigene Karosserien über die Chassis anderer Autohersteller zu stülpen. © auto motor und sport
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