16 Zylinder und vier Turbos – sowas baut nur Bugatti? Keineswegs! Steve Morris Engines aus den USA hat ebenfalls ein solches Triebwerk entwickelt. Und das liefert Daten, die jeden Bugatti-Motor in den Schatten stellen.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren im Alltag ein Auto, das 3.048 PS leistet. Und das nicht etwa mit designtem Kraftstoff aus dem Reagenzglas oder Benzin mit dreistelligen Oktanwerten, sondern normal verfügbarem Tankstellensprit. Das liest sich verrückt. Und verrückt müssen jene Leute sein, die so etwas entwickeln, oder? Nun ja, ganz so naheliegend scheint das nicht zu sein. Zumindest wirkt Steve Morris, Gründer, Chef und Namensgeber des Motorenbauers Steve Morris Engines (SME), in seinen Youtube-Videos nicht wie ein verrückter Motoren-Professor, der Utopien als Realität verkauft. Schon eher wie jemand, der Grenzen auslotet und damit nach und nach verschiebt.
SME baut keine 100 Motoren pro Jahr. Sie kommen in Rennwagen und Dragster-Boliden, aber auch in ziemlich extremen Straßenautos mit Hot-Rod-Anmutung zum Einsatz. Bisheriges Prunkstück im Portfolio der Truppe aus Muskegon im US-Bundesstaat Michigan ist ein V16-Triebwerk mit Quad-Turbo-Aufladung, das die Bezeichnung "SME/Devel V-16" trägt. Diese Eigenentwicklung liefert die eingangs genannte Leistung bei knapp 1,4 bar Ladedruck und einer keineswegs extremen Drehzahl von 6.900/min.
Lowtech hier, Hightech da
Der SME/Devel V-16 mag mit seiner einzelnen Nockenwelle samt Zweiventiltechnik, den 12,3 Litern Hubraum, 16 Zylindern und vier 81-Millimeter-Turboladern archaisch wirken, doch bei dem Motor handelt es sich keineswegs nur um ein Low-Tech-Gerät nach dem Motto "viel hilft viel". Das Triebwerk mit 90 Grad Bankwinkel verfügt über Trockensumpfschmierung sowie eine hydraulische Nockenwellen- und eine Drive-by-Wire-Drosselklappensteuerung. Der Ladeluftkühler arbeitet nach dem Wasser-zu-Luft-Prinzip.
Der Motorblock und die 1,22 Meter (!) lange Kurbelwelle sind jeweils aus einem Stück gefräst. Der Behauptung, die Truppe hätte einfach zwei LS-V8-Small-Blocks aus dem GM-Regal zu einem neuen Motor verbunden, tritt Steve Morris vehement entgegen. Gleichwohl nutzen er und seine Mitstreiter viel LS-Technik, einfach weil sie inzwischen viel Erfahrung mit dieser Motorenfamilie gesammelt haben. Einige Details und Konstruktionsprinzipien hat SME aber auch von GM-Big-Blocks oder Ford-V8-Motoren übernommen. Die Motor-Software wurde gar selbst programmiert.
Im Höchstfall mit 5.077 PS
Die erwähnten 3.048 PS sind übrigens nur der Einstiegswert für den SME/Devel V-16. Erhöht Steve Morris den Ladedruck auf 2,07 bar, liefert der Motor auf dem Prüfstand bereits 4.056 PS. Liegen 2,5 bar an und wird der Sechzehnzylinder mit Rennbenzin gefüttert, kommt er auf 4.578 PS und ein maximales Drehmoment von 4.771 Newtonmetern. Und selbst das bedeutet nicht das Ende der Fahnenstange. In einer Rennversion mit verstärkten Komponenten und noch höherem Ladedruck stieg die Leistung unter Laborbedingungen auf unfassbare 5.077 PS. Wie sich das wohl in einem Auto anfühlt? Will man das überhaupt wissen?
Tatsächlich wurde der SME/Devel V-16 für ein Auto entwickelt, das ganz normal in Kundenhand auf der Straße bewegt werden sollte. Eine Firma namens Devel Motors plante ein Hypercar (reicht der Ausdruck dafür überhaupt?) namens Devel Sixteen und stellte es zwischen 2013 und 2017 mehrfach auf der International Motor Show in Dubai – dort saßen die Geldgeber – aus. Die damals kommunizierten Daten (mehr als 5.000 PS, null auf 60 mph beziehungsweise 96,6 km/h in 1,8 Sekunden, Topspeed etwa 560 km/h) klangen so haarsträubend unecht, dass die meisten Beobachter bezweifelten, dass ein derart extremer Sportwagen in die Realität überführt werden könne.
Bisher keine Serienfertigung
Danach wurde es ruhig um das Projekt. Von einer Serienfertigung ist bisher nichts bekannt; die einzigen Lebenszeichen des Devel Sixteen sind vereinzelte Fotos aus Sammlungen und Händler-Showrooms auf den Social-Media-Kanälen des Herstellers. Steve Morris bestätigt auf Nachfrage, dass sich in Bezug auf den SME/Devel V-16 in den letzten Jahren nichts mehr bewegt habe. Er spricht von Diskrepanzen bei der Preisvorstellung: "Das Problem ist, dass die Leute denken, diese Art von Spezialmotoren könnte für 100.000 Dollar gebaut werden. Unmöglich – alle neuen Motoren wie diese sind astronomisch teuer!" Die Leute sollten bei Bugatti und beim VW-Konzern nachfragen, wie viel Geld sie in Entwicklung und Produktion ihrer 16-Zylinder-Motoren stecken. "Ich habe es für mindestens ein Zehntel der Kosten gemacht, die sie eingesetzt haben. Und es ist immer noch ein Millionen-Dollar-Geschäft für mich", sagt Morris.
Das Projekt rund um diesen Wahnsinns-Motor (oder Motor-Wahnsinn) liegt also weiterhin auf Eis. Doch Steve Morris holt sicher gerne noch mal die damaligen Pläne aus der Schublade und schmeißt die Prüfstände an, sollte sich ein anderer ambitionierter Hersteller melden und seinen V16-Quad-Turbo-Motor in seinen Boliden einbauen wollen. Für einen angemessenen Preis, versteht sich. © auto motor und sport
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