Xpengs SUV-Coupé G6 kommt im August auf den Markt und zielt auf das Model Y von Tesla. Mit Preisen ab 43.600 Euro und 258 PS bietet es eine Alternative. Wir testeten das Topmodell mit 476 PS und Allradantrieb.
Geben Sie es ruhig zu: Xpeng sagt Ihnen – wenn überhaupt – erst was seit der mit heiligem Ernst getätigten Ankündigung, bald auch fliegende Autos zu bauen. Nun, bis dahin dauert es noch etwas. Näher am Hier und Jetzt ist das SUV-Coupé G6. Es kommt im August auf den Markt und zielt unverhohlen auf das Model Y von Tesla. Die Preise starten bei 43.600 Euro für den Hecktriebler mit 258 PS. Wir fuhren das Topmodell mit 476 PS und Allradantrieb für 51.600 Euro.
In Europa herrschen ja für Newcomer gerade stürmische Zeiten. BYD verstopft mit zehntausenden von Neuwagen die Häfen, statt sie zu verkaufen, Great Wall Motors schließt – sicher nicht aus einem Übermaß an Erfolg – seine Europa-Zentrale in München. Flattern da den Verantwortlichen bei Xpeng, diesem erst 2014 gegründeten Start-up, die Nerven? Es macht nicht den Anschein. Das für Deutschland verantwortliche Management erzählt von realistischen Verkaufszielen, dem Aufbau eines Vertriebsnetzes mit alteingesessenen Mehrmarken-Händlern – und von viel Vertrauen ins Produkt.
Das Produkt, das uns nach Amsterdam geführt hat, ist der neue G6. Nach dem Topmodell G9, einem fast fünf Meter langen SUV, und der großen Limousine P7 soll der G6 das Volumenmodell werden, ehe kleinere und preiswertere Autos das Portfolio nach unten erweitern. Mit 4,75 Metern Länge spielt der G6, der dem Gastgeberland in knalligem Siebzigerjahre-Orange die Ehre gab, in einer Liga mit dem Model Y von Tesla. Das ist in Basis-Konfiguration etwas stärker und schneller als der Standard-Hecktriebler mit 258 PS, aber mit 44.990 Euro auch teurer. Auch den Ford Mustang Mach-E könnte man als Konkurrenten ansehen, wenngleich der schon in der 269 PS-Basismotorisierung 55.800 Euro kostet. Brutaler kann man den Kostenvorteil japanischer Hersteller kaum darstellen, zumal der G6 mit Vollausstattung lockt, die lediglich um Metalliclack und eine elektrisch ausfahrbare Anhängerkupplung erweitert werden kann (Anhängelast gebremst: 1.500 Kilogramm).
571 Liter Stauraum und kein Frunk
Die Karosserie ist reichlich rundlich geraten, Ecken oder Kanten muss man lange suchen. Ein cw-Wert von nur 0,248 ist der Lohn dieser Form, die vorn von einem schmalen Leuchtenband oben und zwei ziemlich großen Lichtauslässen an den unteren Ecken dominiert wird. Ausklappende Türgriffe gehören natürlich wie bei nahezu jedem neuen Elektroauto zur "Wir sind fortschrittlich"-Folklore, die Kofferraumklappe im coupéartigen Heck öffnet natürlich auch elektrisch. Dahinter liegt ein 571 Liter großer Kofferraum nebst geräumigem Unterflurfach – sauber ausgekleidet und ohne störende Stufe, wenn die asymmetrisch geteilte Rücksitzlehne flachgelegt wird. Dann stehen 1.374 Liter Stauraum zur Verfügung. Da bieten andere deutlich mehr. Eine Durchreiche in der Mittelarmlehne gibt es nicht und einen Frunk, einen zweiten Kofferraum unter der vorderen Haube, auch nicht.
Ins 1,65 Meter hohe Auto hineinzukommen, fällt wegen der großen, weit öffnenden Türen weder in der ersten noch in der zweiten Reihe schwer. Auch hinten passt das Platzangebot zum Format der Karosserie. Da zwickt nichts, man sitzt entspannt unter dem serienmäßigen Panoramadach, das das Fehlen einer Jalousie dadurch wettmachen soll, dass Licht und UV-Strahlen in hohem Maße absorbiert werden. Schauen wir mal. Die Verarbeitung macht mit gleichmäßigen Fugen und griffsympathischen Oberflächen einen guten Eindruck; vor allem das Kunstleder ist eine Wucht, so weich und seidenglänzend wie es daherkommt. Das Cockpit selbst ist extrem reduziert. Richtige Tasten gibt es lediglich im Lenkrad, ansonsten wurde alles, was sich bedienenden lässt, in den Touchscreen gestopft. Das nimmt zum Teil schon kuriose Züge an. Viermal Sitzheizung (nebst Klimatisierung vorn) ist natürlich serienmäßig. Nur gibt es dafür hinten keine Schalter. Empfehlung von Xpeng für die Rücksitzpassagiere: Entweder per Sprachbedienung selbst um einen warmen Popo bitten (der G6 erkennt tatsächlich sehr zuverlässig, ob der Befehl von hinten links oder rechts kommt) – oder die Vornsitzenden bitten, die Heizung hinten zu aktivieren. Muss man solche Umwege gut finden? Nein.
Etwas Übung benötigt sicher die Mehrfach-Belegung des kleinen Wählhebels rechts vom Multifunktionslenkrad: Mit ihm wählt man nicht nur zwischen D, R und N, sondern aktiviert auch den Abstandsregeltempomaten und das teilautomatisierte Fahren, wobei Wippe und Tasten links im Lenkrad dann Wunschabstand und Tempo steuern. Normalerweise justiert man mit ihnen Temperatur und Gebläsegeschwindigkeit, wobei Durchsatz und Richtung der einzelnen Ausströmer wiederum am Monitor durch Tippen und Wischen eingestellt werden müssen.
Kein Head-up-Display im Hightech-Mobil
Ein Head-up-Display gibt es nicht, da hätte sich mancher sicher mehr erwartet von einer – so die Selbstdarstellung – in Technologie verliebten Marke wie Xpeng. Der flache Monitor hinterm Lenkrad ist aber gut ablesbar, zudem wird die Geschwindigkeit auch in großen Zahlen oben links im zentralen Monitor angezeigt. Dessen Kartendarstellung macht allerdings mangels Detailliebe keinen sonderlich guten Eindruck. Und dass es nicht gelingt, einen Maßstab zu wählen und beizubehalten, wird auch nicht jedem gefallen.
Wie die 258 PS-Basis und der 286 PS starke Hecktriebler mit Long Range Akku ist die Spitze des Topmodells bei 200 km/h abgeregelt. Bei der Beschleunigung (4,1 statt knapp sieben Sekunden) ist der G6 AWD Performance, das uns für erste Kennenlernrunden zur Verfügung stand, jedoch eine Klasse für sich. Die zwei E-Motoren schicken 476 PS (350 kW) und 660 Newtonmeter an die Räder und sorgen beim Tritt aufs Fahrpedal für das bekannte Katapult-Gefühl. Aus dem Stand auf 100 km/h reicht einmal einatmen, wie es jenseits dieser Marke weitergeht – auch beim Thema Windgeräusche an den rahmenlosen Seitenscheiben und Geradeauslauf –, müssen wir später klären. Wir waren ja in den Niederlanden, wo auf den Autobahnen tagsüber Tempo 100 gilt und der G6 brav auch darüber informiert, dass hier ein Blitzer steht oder dass weiter vorn eine Messung der Durchschnittsgeschwindigkeit beginnt oder endet.
Was auf der Autobahn und auch auf Landstraßen auffiel: So ganz trittsicher ist der Spurhalteassistent, der mit allem, was man sich denken kann, zur Assistenz-Serienausstattung des G6 gehört, nicht. Er rückt das Auto hin und wieder recht robust in die Mitte der Fahrspur und scheint auch hin und wieder grundlos in die Lenkung einzugreifen oder Lenkbewegungen des Fahrers zu erschweren. Das fühlt sich in manchen Kurven so an, als verhärte die Lenkung plötzlich und grundlos; dann fordert sie mal weniger und mal mehr Kraft. Das lässt den 2,1-Tonner weniger kurvenwilliger wirken, als er womöglich ist.
Lenkung und Bremspedal lassen die Wahl
Die Bedienkraft der elektrischen Lenkung lässt sich – natürlich nach ein paar Touchs und Slides auf dem Monitor – in diversen Stufen dosieren, erkennbar an Feedback oder Präzision gewinnt das System dadurch aber nicht. Nur steigen die Bedienkräfte in Sport merklich an und lassen G6 schwerfälliger wirken, als er eigentlich ist. Auch die Charakteristik des Bremspedals lässt sich dreistufig konfigurieren, wobei nach einigen Wechseln zwischen "Komfort", "Standard" und "Sport" die Erkenntnis reift: Groß sind die Unterschiede nicht, und gut ist das Pedalgefühl hier wie da. Wählt man die höchste von vier Rekuperationsstufen, braucht man die Bremse eigentlich nur auf den letzten Metern vorm Stopp. Schön wäre es, die Intensität der Motorbremse mit Paddeln am Lenkrad fix wählen zu können, doch – man ahnt es – muss man hierzu wieder auf dem Monitor ein Menü anwählen.
Doppelter Espresso? Dann besser kein Sport
Deutlich unterscheiden sich auch die Fahrmodi Standard, Sport und Eco. Wer gerade noch einen doppelten Espresso getrunken hat, sollte Sport meiden, denn da reagiert der G6 mit bösem Schub schon auf den kleinsten, womöglich ungewollten Tapser. Dem Allradler vorbehalten ist ein All Terrain-Modus, dessen Funktion wir allerdings nicht kennenlernen konnten.
Neben der Blitzerwarnung versteht sich die Navigation auch gut auf die Routenführung inklusive Ladeplanung. Das System empfiehlt Ladepunkte entlang des Weges, die man mit einem Touch in die Planung integrieren kann; auch die Umfeldsuche nach geeigneten Säulen ist im Grunde selbsterklärend. Dass man beim Laden nicht allzu viel Zeit verplempert, dafür sorgt die 800 Volt-Architektur mit dem Versprechen, dass die neue Power am Schnellader mit bis zu 280 kW fließt. Am Schnellader soll es beim AWD Performance und beim RWD Long Range (47.600 Euro), die beide einen netto 87,5kWh großen Lithium-Ionen-Akku haben, bestenfalls in nur 20 Minuten von 10 auf 80% SOC gehen. Das Basismodell lädt nur mit maximal 215 kW, sein Lithium-Eisenphosphat-Akku fasst aber nur 66 kWh und ist daher ebenso schnell wieder gefüllt. Bei WLTP-Verbräuchen von 17,5 bis 17,9 kWh sollen Reichweiten von 435 (RWD Standard Range) bis 570 Kilometern (RWD Long Range) drin sein – nicht schlecht.
Bequeme Sitze mit etwas wenig Seitenhalt und eine in Richtung Komfort abgestimmte Federung machen den G6, egal mit welcher Motorisierung, zu einem angenehmen Reiseauto. Musikliebhaber werden da auch die klanggewaltige Soundanlage mit 18 Lautsprechern schätzen, zwei von ihnen sitzen in der Kopfstütze des Fahrersitzes. Wer beim Campen am Lagerfeuer Musik hören will, schaltet auf die Außenlautsprecher um und kann elektrische Verbraucher aus dem Fahrzeugakku speisen. Da wurde also an vieles gedacht, was allerdings längst nicht jeder G6-Käufer brauchen dürfte. © auto motor und sport
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