• Beleidigungen, Bedrohungen und Bloßstellungen durch andere, meist wildfremde Menschen sind der traurige wie grausame Alltag im Internet.
  • Wer psychische Gewalt in dieser Form erlebt, sollte sich unbedingt dagegen wehren.
  • Wir zeigen Ihnen, welche Schritte Sie unternehmen können und welche Möglichkeit der Beratung und Hilfestellung es gibt.
Ein Interview

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In Kommentaren unter Postings in den sozialen Netzwerken, in Rezensionen oder gar privaten Nachrichten: Die Möglichkeiten, Menschen an einen öffentlichen Pranger zu stellen, sind vielfältig wie grausam.

Hass im Netz ist omnipräsent und lässt in vielen Fällen Betroffene zurück, die nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. An wen kann man sich wenden, wenn man Beleidigung und oder gar Bedrohung in der digitalen Welt erfahren hat? Was gilt es zu tun, um Täterinnen und Täter zur Rechenschaft ziehen zu können? Und was bringt Menschen dazu, anderen im vermeintlich anonymen Raum des Internets bewusst Schaden zufügen wollen? Darüber sprechen wir mit Expertin Clara Taruba im Interview.

Was haben Menschen erlebt, die sich an Sie und Ihren Dienst wenden?

Clara Taruba: Generell sind das allesamt Menschen, die Erfahrung mit digitaler Gewalt gemacht haben. Diesen Sammelbegriff verwenden wir für verschiedenste Sachen: im Fall, dass jemand Beleidigung online erfahren hat, und zwar auf unterschiedlichsten Plattformen und Portalen, in öffentlichen Diskussionen oder auch in Privatnachrichten.

Wir erleben oft, dass Menschen rassistisch beleidigt werden oder auch viele frauenfeindliche Bemerkungen ausgesprochen werden, Frauen sexistisch angegangen werden. An uns wenden sich Menschen, die generell bedroht werden, in verschiedensten Kontexten. Aber auch Menschen, deren private Daten veröffentlicht wurden – von der Telefonnummer über die Wohnadresse bis hin zu anderen, sehr privaten Daten und Informationen, die man lieber nicht im Internet weiß.

Also ein öffentliches An-den-Pranger-stellen?

Genau das – was oft auch in Form von Verleumdung oder gezielter Rufschädigung passiert.

Warum tun Menschen so etwas? Wieso beleidigt man andere Menschen auf solch eine Art und Weise?

Würde man sich gegenüberstehen, würde man solche Beleidigungen nicht aussprechen. Man würde sich gar nicht trauen. Aber das fällt weg, wenn man sich im Internet befindet und kein echtes Gegenüber hat. Der Anstand, den man normalerweise hat, wenn man jemandem persönlich gegenübersteht, ist nur in geminderter Form vorhanden, so dass alle Hemmungen fallen.

Menschen, die Beleidigungen ins Internet stellen, müssen ja nicht mit einer direkten Gegenreaktion rechnen oder Angst vor einer solchen Reaktion haben. Deshalb ist die Barriere auch so niedrig. Außerdem wissen viele, dass die Strafverfolgung im Internet schwierig ist und fürchten daher auch keine rechtlichen Konsequenzen.

Taruba: "Psychische Gewalterfahrung genauso schwerwiegend wie physische Gewalt"

Das ist mit der Grund dafür, dass es so wichtig ist, Anlaufstellen zu haben, die man als Betroffene oder Betroffener von Hass im Netz aufsuchen kann. Diese Beleidigungen und Bedrohungen können einem ja ganz schön lange nachgehen und den Alltag beeinflussen, oder?

Das ist richtig. Eine solche Erfahrung zählt zu psychischer Gewalterfahrung. Diese ist genauso schwerwiegend, wie wenn wir physische Gewalt erfahren. Dabei würden wir uns auch Hilfe holen. Diese psychische Gewalterfahrung, die Hass im Netz hinterlässt, sollten wir genauso ernst nehmen.

Deshalb bieten wir bei HateAid zum einen Beratung an, um mit den Menschen zu sprechen und sie in ihrer Situation aufzufangen. Wir betonen aber auch, dass es sehr wichtig ist, den Täterinnen und Tätern Einhalt zu gebieten, indem man ihnen ganz klar Grenzen setzt und sich auch juristisch wehrt. Dabei helfen wir.

Wir wissen auch, dass wenn man sich juristisch gegen digitale Gewalt und Angriffe wehrt und diesen Weg beschreiten möchte, das ganz schön teuer werden kann. Deswegen bieten wir geeigneten Fällen auch Prozesskostenfinanzierung an. Damit es eben keine Frage des Geldbeutels ist, ob sich eine betroffene Person juristisch wehren kann oder nicht.

Wenn man selbst Betroffene oder Betroffener ist: Was sind die nächsten Schritte, die man gehen sollte nach so einem Vorfall?

In akuten Situationen ist es wichtig, erstmal durchzuatmen und sich zurückzulehnen. Lassen Sie sich nicht zu einer schnellen Reaktion hinreißen. Denn das wollen Täterinnen und Täter oftmals provozieren: dass Sie sich auf eine Diskussion einlassen oder dass Sie selbst beleidigend werden. Stattdessen sollten Sie recht schnell mit einer vertrauten Person über das sprechen, was passiert ist. Damit Sie sich in einer solchen Situation nicht alleine fühlen.

Wir empfehlen auch, schnellstmöglich Screenshots anzufertigen von den Beleidigungen, bevor Beweise und Posts womöglich gelöscht werden. Machen Sie Screenshots, auf denen Datum und Uhrzeit der Kommentare oder Nachrichten zu sehen sind, und dokumentieren Sie auch den Kontext mit. Denn wenn Sie später Anzeige erstatten wollen, ist das eine Grundlage dafür, dass korrekte Beweise vorliegen und dann auch Bestand haben.

Sie sagen, es ist wichtig, den Kontext zu sehen. Warum? Damit ein Täter später nicht die Gegenseite einnehmen und behaupten kann, er sei das Opfer und gar nicht der Betroffene selbst?

Unter anderem. Man muss verstehen können, um was es im jeweiligen Fall ging, in welchem Kontext der Hasskommentar passiert ist. Das muss im Verfahren später auch von der Strafverfolgungsbehörde gut nachvollziehbar sein, um die bestmöglichen Erfolgschancen zu haben.

"Einige Personen haben Angst, dass es Konsequenzen gibt"

Würden Sie sagen, dass Frauen grundsätzlich mehr Angst vor solchen Strafverfahren zeigen als männliche Betroffene? Möglicherweise, weil sie weitere Konsequenzen durch die Täterin oder den Täter fürchten?

Aus der Erfahrung, die ich in der Beratung gemacht habe, kann ich das nicht bestätigen. Aber ich kann generell sagen, dass einige Personen durchaus Angst haben, dass es Konsequenzen gibt, wenn sie den juristischen Weg gehen. In diesen Fällen können wir helfen, Bedenken auszuräumen.

Wie?

Indem wir beispielsweise vorab eine Sicherheitsberatung mit der Person machen, um zu sehen, welche Daten über sie im Internet dem potenziellen Täter oder der Täterin zur Verfügung stehen könnten. Weiß die Person, wie sie mich erreichen kann, wo ich lebe? Haben wir die Zweifel ausgeräumt, können wir Betroffene darin bestärken, den juristischen Weg zu gehen und sich dabei sicher zu fühlen. Wir stehen den Betroffenen zudem auch während eines möglichen Prozesses beratend zur Seite.

Wenn jemand Daten im Netz hat, die es leicht machen, ihn ausfindig zu machen oder öffentlich bloßzustellen, etwa weil er ein Geschäft führt, der Impressumspflicht unterliegt oder Ähnliches: was dann?

Da würde ich dringend raten, für das Impressum beispielsweise eine andere Lösung zu finden. Es gibt Möglichkeiten, die leider nicht immer kostenlos sind, durch die man aber andere Adressen verwenden kann als die eigene. Das raten wir generell: Bitte auf keinen Fall die Privatadresse angeben, wenn Sie impressumspflichtig sind! Wir haben es bei Personen, die angegriffen wurden, schon sehr oft erlebt, dass eben das der Fall war. In akuten Situationen haben Betroffene ihre Website auch schon offline genommen, weil sie auf die Schnelle keine andere Lösung gefunden haben.

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Was treibt einen Menschen denn überhaupt an, andere Menschen so zu Opfern von psychischer Gewalt zu machen, sie in der digitalen Öffentlichkeit an den Pranger zu stellen? Außer der Anonymität, die ihn seiner Meinung nach zu diesen Taten "berechtigt"?

Zum einen ist es die Machtposition, mit der eine solche Person relativ viel Druck auf einen anderen Menschen ausüben kann. Etwa mit falschen Behauptungen, Verleumdung oder Beleidigung in digitalen Räumen, die eben oft auch eine große Reichweite haben. Diese Personen mit privater Motivation suchen eine Projektionsfläche, weil sie etwa mit ihrem eigenen Leben unzufrieden sind. Sie suchen einen Ort, an dem sie Macht ausüben und sich wichtig fühlen können.

Zum anderen gibt es Personen, die wirklich eine Strategie verfolgen, beispielsweise eine politische. Das erleben wir häufig bei Personen, die rechtsradikal oder in der rechten Szene verankert sind. Diese versuchen, andere Personen gezielt mundtot zu machen und die Meinung anderer, die ihnen nicht passt, aus dem Internet zu verbannen und somit den Diskurs nach rechts zu lenken. Die Angriffe richten sich dann zum Beispiel gegen Journalisten oder Politikerinnen. Diese organisierte digitale Gewalt von rechts macht tatsächlich einen großen Anteil aus.

Sie hatten bereits die juristischen Schritte angesprochen, die es oftmals zu unternehmen gilt. Wie kann ich denn Anzeige gegen jemanden erstatten, der mich im Netz beleidigt oder bedroht hat?

Unserer Erfahrung nach funktioniert es zum größten Teil, wenn man eine Anzeige online erstellt. Wir haben auch schon vereinzelt Fälle gehabt, in denen es nicht geklappt hat.

Ist man denn als Betroffener bei der Polizei grundsätzlich gut aufgehoben?

Ich würde sagen: zum Teil. Wir haben von sehr vielen guten Erfahrungen von Betroffenen gehört – dass sie sich ernst genommen gefühlt haben und auf Beamte gestoßen sind, die sofort wussten, was zu tun ist. Die sensibilisiert waren für das Thema und sich ausgekannt haben und somit gut weiterhelfen konnten. Viele Betroffene haben allerdings auch negative Erfahrungen machen müssen, in denen Beamte ratlos reagiert haben oder Betroffene teilweise sogar abgewiesen wurden.

Wir sehen da noch viel Nachholbedarf bei der Polizei, aber auch ein großes Interesse für das Thema. Mit verschiedenen Bundesbehörden stehen wir auch in engem Kontakt, werden als Wissensquelle angezapft, geben Workshops. Aber es ist noch ein weiter Weg. Deshalb ist es auch gut und wichtig, dass Betroffene, die bei der Polizei schlechte Erfahrungen gemacht haben, mit ihrem Fall noch mal zu uns kommen. So können wir sie emotional auffangen und dazu beitragen, dass sie sich ernst genommen fühlen.

Wie sieht es bei den Plattformen und Anbietern im Internet selbst aus? Bei einigen Diensten wie etwa Facebook oder Instagram kann man Nutzer melden oder blockieren. Andere Dienste wie etwa eBay verweisen in ihren Richtlinien lediglich darauf, dass sie beleidigende oder bedrohende Kommunikation unter Nutzern nicht dulden, konkrete Handlungsmöglichkeiten für Opfer gibt es allerdings nicht. Was muss da bei Plattformen und Internetdiensten passieren?

Einige Beispiele haben Sie ja bereits genannt, da gibt es tatsächlich gravierende Unterschiede. Was aber bei allen Plattformen absolut notwendig ist, ist ein leichterer Zugang zu Hilfe. Wenn die Anbieter ein Hilfsangebot haben für Betroffene, ist dies meist ziemlich schwer zu finden. Bei einem großen Onlinedienst ist es beispielsweise so, dass man sich durch sieben Seiten durchklicken muss, um überhaupt zum Meldeformular zu gelangen. Das ist eine große Hürde und sorgt dafür, dass viele die richtige Seite gar nicht finden, bei der sie ihren Hilferuf absetzen könnten. Außerdem braucht es schnellere Reaktionszeiten.

"Betroffene warten Wochen und Monate auf eine Rückmeldung"

Wie lang sind die Reaktionszeiten denn in solchen Fällen?

Uns berichten Betroffene immer wieder, dass sie Wochen oder sogar Monate auf eine Rückmeldung warten und sich zwischenzeitlich auch gar nicht sicher sind, ob ihr Anliegen überhaupt noch bearbeitet wird. In dieser Zeit steht der Hasskommentar oder die Verleumdung aber noch weiter im Internet. Das darf natürlich nicht sein! Es kann nicht sein, dass die Reaktionszeiten so lang sind und die Betroffenen in der Zeit unter immensem Druck stehen und psychisch darunter leiden.

Oft erleben wir auch, dass in den Richtlinien der Anbieter, den so genannten Community Guidelines, auf korrekten Umgang miteinander hingewiesen wird, dass er aber von den Plattformen nicht durchgesetzt wird. Es gibt keine Informationen, es gibt keine Kontrollinstanz, die darauf achtet, ob die User sich an diese Richtlinien halten, und es gibt auch meistens keine Konsequenzen. Das ist ein großes Problem.

Worin liegt denn Ihrer Meinung nach die größte Schwierigkeit?

Was wir schon seit längerem anprangern, ist die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden. Es gibt oftmals Schwierigkeiten, wenn Inhalte auf sozialen Plattformen angezeigt werden. Wenn es eine Strafverfolgung gibt seitens der Polizei und es zu dem Punkt kommt, an dem Täterdaten herausgegeben werden müssen, hat sich gezeigt, dass die Plattformen nicht sonderlich kooperativ sind.

So kann leider oft kein Täter ermittelt werden, weshalb die Strafverfolgung an dieser Stelle endet. Das darf nicht sein. Es gab zwar in den vergangenen Monaten Gesetzesänderungen, die diese Plattformen mehr in die Pflicht nehmen, aber da ist noch Luft nach oben. So erleben wir viele Betroffene, die hilflos zurückbleiben, keine Unterstützung durch die Plattformen erhalten und auch niemanden kontaktieren können, weil einige Plattformen gar keine verantwortliche Stelle ausweisen.

Sie unterstützen Betroffene in diesem Prozess. Wie sieht es abseits der Strafverfolgung aus, wenn Personen etwa psychisch schwer unter dem Erfahrenen leiden?

Wir bieten eine emotional stabilisierende Erstberatung an, die ein erster Schritt sein kann und in vielen Fällen ausreicht. Merken wir, dass eine Person psychisch sehr belastet ist und Symptome wie Schlaf- oder Angststörungen entwickelt hat, raten wir dazu, sich dauerhaft in Psychotherapie zu begeben. Digitale Gewalt ist psychische Gewalt und kann Auslöser für diverse psychische Erkrankungen sein. Zudem verfügen wir über ein großes Netzwerk aus spezialisierten Beratungsstellen, Vereinen und Initiativen, an die wir verweisen, um für jede betroffene Person einen guten Weg zu finden.

Zur Person: Clara Taruba ist studierte Sozialpädagogin und Betroffenenberaterin bei HateAid, einer Beratungsstelle bei digitaler Gewalt. HateAid bietet Betroffenen von Beleidigungen, Verleumdung und Bedrohung durch andere Personen im Internet ein kostenloses Beratungsangebot und Prozesskostenfinanzierung.

Sie sind von Hass im Netz selbst als Opfer betroffen? Über die App "MeldeHelden" können Sie sich Hilfe holen, ebenso über die Website von HateAid, die E-Mail-Adresse beratung@hateaid.org und telefonisch unter 030 / 252 088 38. Die Sprechstunden der Beratungsstelle sind montags von 10 bis 13 Uhr und donnerstags von 16 bis 19 Uhr.

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