Sex gehört zum Leben dazu, wie die Luft zum Atmen. Das gilt besonders in einer Partnerschaft. Doch nicht bei allen Menschen ist das so. Denn es gibt auch Männer und Frauen, die nie Lust auf Sex verspüren.

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Schätzungsweise ein Prozent der Gesamtbevölkerung ist asexuell, das heißt diese Menschen "leiden" unter permanenter Unlust. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich höher. Denn zum einen wissen viele gar nicht, dass eine solche Möglichkeit der sexuellen Orientierung existiert. Selbst in der Wissenschaft ist das Entbehren jedes sexuellen Antriebs noch weitgehend unerforscht. Statistische Erhebungen oder gar eine genaue Begriffsdefinition gibt es bislang nicht. Zum anderen schweigen aber auch viele Betroffene aus Angst, von ihren Mitmenschen als unnormal oder gar als krank abgestempelt zu werden.

Ursachen für Asexualität liegen im Dunkeln

Die Ursachen, die für das völlige Fehlen des Sexualtriebs bei manchen Menschen verantwortlich sind, sind noch völlig unklar. Diskutiert werden etwa hormonelle Störungen oder Fehlfunktionen in bestimmten Gehirnregionen, die das sexuelle Verlangen steuern, ebenso wie psychische Ursachen wie beispielsweise sexueller Missbrauch oder Depressionen, die die Lust auf Sex völlig erlöschen lassen.

Interessensverbände Asexueller, wie etwa das Onlinenetzwerk "AVEN" ("Asexual Visibility and Education Network"), dessen Ziel es ist, den Austausch Asexueller untereinander sowie deren Akzeptanz in der Gesellschaft zu fördern, wehren sich jedoch gegen die Vorstellung, ihr fehlendes Verlangen nach sexueller Interaktion sei eine krankhafte Störung. Für sie ist es vielmehr lediglich eine andere Form der sexuellen Orientierung, ähnlich wie Hetero-, Bi- oder Homosexualität.

Vier Typen von Asexualität

Auch ist für die Interessensverbände asexuell nicht gleich asexuell. Vielmehr machen sie vier verschiedene Typen der Asexualität aus:

Typ A: Personen, die einen sexuellen Trieb verspüren, sich aber sexuell nicht von anderen Personen angezogen fühlen. Diese Personen praktizieren vielleicht auch Masturbation, würden aber nie mit einer anderen Person sexuell interagieren.

Typ B: Personen, die sich zwar von anderen angezogen fühlen, aber keinen Sexualtrieb verspüren. Sie haben tiefe emotionale Verbindungen zu anderen, sie lieben vielleicht auch eine andere Person und tauschen Zärtlichkeiten aus - haben aber kein Bedürfnis, mit ihrem Partner sexuell zu interagieren.

Typ C: Personen, die sowohl sexuelle Triebe verspüren und sich emotional zu anderen Personen hingezogen fühlen, die jedoch trotzdem nicht sexuell mit ihrem Partner interagieren. Sexuelle Interaktion mit ihrem oder ihrer Geliebten und die Liebe zu dieser Person sind für sie völlig verschiedene Dinge, die nicht zusammengehören.

Typ D: Personen, die weder einen sexuellen Trieb noch eine emotionale Anziehungskraft zu einem anderen Menschen verspüren. Diese Personen können durchaus enge und emotionale Freundschaften haben, verspüren aber kein Verlangen nach partnerschaftlicher Liebe oder sexueller Interaktion.

Glücklich ohne Sex

Auch wenn Asexuelle kein Verlangen nach Sex verspüren, können also durchaus Bedürfnisse nach Nähe, Liebe, Zärtlichkeiten und auch nach einer romantischen Verbindung mit einem anderen Menschen vorhanden sein. So leben einige in glücklichen Partnerschaften und heiraten sogar. Ihre Beziehungen unterscheiden sich dann nur in einem Aspekt von 'normalen' Partnerschaften - eben dem Fehlen von Sex.

Die sexuelle Enthaltsamkeit ist jedoch nicht mit dem Zölibat zu vergleichen, auch wenn sich beides für einen Außenstehenden auf den ersten Blick ähneln mag. Der Unterschied besteht darin, dass ein religiös motivierter Sexverzicht freiwillig eingegangen wird. Asexuelle Menschen verspüren aber erst gar kein Verlangen nach Sex - und sind meist auch glücklich damit.

Asexualität als Folge einer übersexualisierten Gesellschaft?

Volkmar Sigusch, Direktor des Frankfurter Instituts für Sexualwissenschaft, wundert es nicht, dass immer mehr Menschen kein Verlangen nach Sex verspüren. Er versteht das Phänomen der permanenten Unlust sogar als eine "'gesunde' Reaktion auf die totale Durchdringung unserer Gesellschaft mit Sex", wie er in einem Interview mit dem österreichischen "Standard" sagte. Ihn wundert es demnach eher, dass diese Entwicklung nicht schon früher eingetreten ist: "Die Sexualität ist sehr banal geworden, das sexuelle Zeitalter, das vor 200 Jahren begann, ist an einem Höhepunkt angekommen. (...) Asexuelle sind ein Anzeichen für das Ende des sexuellen Zeitalters (...)", glaubt Sigusch.

Weitere Informationen zum Thema "Asexualität" finden Sie auf der Internetseite von AVEN.

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