- Homeoffice ist für viele zur Normalität geworden.
- Doch zu Hause lauern gesundheitliche Gefahren - etwa Bewegungsmangel, erhöhter Alkoholkonsum oder schlechte Ernährung.
- Statistiken zeigen, wie sich das Homeoffice auf unsere Gesundheit auswirkt.
Mit dem ersten Lockdown im März 2020 zogen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einem Moment auf den anderen ins Homeoffice um. Experten sahen in der erzwungenen Umstellung auch Positives. So wurde die Nutzung digitaler Techniken unerwartet schnell vorangetrieben. Und Arbeitgeber mussten sich für flexible Arbeitsmodelle öffnen.
Doch der neue Arbeitsalltag zog auch negative Folgen nach sich – zum Beispiel einen eklatanten Bewegungsmangel.
Rüdiger Reer hatte bereits zu Beginn des ersten Lockdowns vor möglichen gesundheitlichen Schäden durch das Homeoffice gewarnt. Reer ist Generalsekretär des Deutschen Sportärztebundes (DGSP) und Leiter des Arbeitsbereichs Sport- und Bewegungsmedizin der Universität Hamburg.
Es dürfe nicht passieren, "dass man Menschen vor einem Risiko schützen will und sie zugleich einem anderen aussetzt" warnte Reer damals in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Bewegungsmangel führt zu zahlreichen Folgekrankheiten
Heute sieht sich Reer bestätigt. Als Folgen des Homeoffice nennt er Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck), des Stoffwechsels (Diabetes mellitus, Übergewicht), des Halte- und Bewegungsapparates (Rückenschmerzen, Fehlhaltungen, Arthrose, Muskelabbau) sowie psychische Erkrankungen (zum Beispiel Depression).
"Diese Folgekrankheiten, bedingt durch Bewegungsmangel im Homeoffice, führen nachgewiesenermaßen zu einer höheren Sterblichkeitsrate", sagt Reer im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Eine Auswertung des Fitnessarmbandherstellers Fitbit zeigt, dass die Anzahl der insgesamt zurückgelegten Schritte im März 2020 im Vergleich zum März 2019 in Deutschland um 11 Prozent niedriger lag", so Reer. Kaum verwunderlich, wenn der tägliche Arbeitsweg nur noch aus ein paar Schritten vom Schlafzimmer zum Küchentisch besteht.
Wie folgenschwer Bewegungsmangel ist, zeigt sich in einer Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese führt jährlich 3,2 Millionen Todesfälle auf Bewegungsmangel zurück.
Gefahren für die Gesundheit lauern auch im Kühlschrank
In einem wissenschaftlichen Beitrag im German Journal of Sports Medicine heißt es dazu: "Regelmäßige körperliche Aktivität gilt als Schutzfaktor für die Aufrechterhaltung körperlicher und psychischer Gesundheit. Deswegen ist es wichtig, dass Menschen während der aktuellen Corona-Pandemie körperlich aktiv bleiben und soweit möglich regelmäßig Sport treiben, um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden langfristig zu erhalten."
Eine weitere Gefahr, die das Homeoffice mit sich bringt, lauert im eigenen Kühlschrank. So lieferten Studien Hinweise darauf, "dass sich die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 negativ auf das Ernährungsverhalten der Bevölkerung ausgewirkt haben könnten", sagt Rüdiger Reer. "Zum Beispiel durch einen häufigeren Verzehr von Süßwaren und Snacks. Zudem geben viele Befragte an, weniger frisches Obst, Gemüse und Fisch verzehrt zu haben."
Die "Global Drug Survey (GDS)" wiederum deutet darauf hin, dass auch der Alkoholkonsum steigt. "In einer ersten Zwischenauswertung wurden Angaben von mehr als 40.000 Personen ausgewertet", sagt Reer. "Danach berichten 44 Prozent, dass sie im Rahmen der Pandemie häufiger Alkohol trinken." Ein Hauptgrund hierfür sei, dass die Menschen mehr Zeit zum Trinken hätten und sich oft gelangweilt fühlen würden.
Zoom-Fatigue – Homeoffice fördert neues Erschöpfungssyndrom
Homeoffice bringt sogar bislang kaum bekannte Phänomene in den Fokus, wie beispielsweise "Zoom-Fatigue". Das Syndrom ist nach einem Anbieter für Videokonferenzsoftware benannt. Es bezeichnet die Erschöpfung, die durch lange Videokonferenzen eintritt.
In Videokonferenzen fehlen uns wichtige nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten – verstärkt durch oftmals schlechte Bildqualität. Außerdem wird das Gehirn durch die Aufgabe überfordert, in der Multiscreen-Ansicht den Fokus zu behalten. Und auch, dass wir uns selbst auf dem Bildschirm sehen und ständig unser Aussehen kontrollieren, wirkt anstrengend für uns.
Die Summe der Stressfaktoren führt zu einer Überlastung des Gehirns. Müdigkeit, Erschöpfung und Gereiztheit sind das Ergebnis.
Gesundheit am Schreibtisch: Bewegungstipps fürs Homeoffice
Ist das Homeoffice also eine Sackgasse in der Pandemiebekämpfung? Ganz und gar nicht. "Homeoffice ist eine der effektivsten Maßnahmen, das Infektionsgeschehen einzudämmen." Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Mannheimer Ökonomen Harald Fadinger und Jan Schymik sowie Jean-Victor Alipou von der Münchener Universität.
Bereits ein Prozentpunkt mehr Arbeitnehmer im Homeoffice könne die Infektionsrate um bis zu 8 Prozent verringern. Deshalb empfehlen die Wissenschaftler, das Homeoffice so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.
Eventuellen negativen Folgen kann man aktiv entgegenwirken. Rüdiger Reer empfiehlt, Bewegung gezielt und strukturiert in den Homeoffice-Tag einzubauen: "Bewegungsreiches Aufstehen, Morgengymnastik, wechselnde Arbeitspositionen, Spaziergang in der Mittagspause, Bewegung zwischendurch, Nutzung digitaler Bewegungsangebote."
So hat etwa die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) eine umfangreiche Website eingerichtet mit Tipps zum Homeoffice-Alltag und sogar einer Video-Playlist mit Übungen zum Homeoffice-Workout.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Rüdiger Reer
- FAZ.net: "Homeoffice wird zu Todesfällen führen, wenn wir nicht gegensteuern"
- German Journal of Sports Medicine (10/2020): Preventing Mental Health, Well-Being and Physical Activity during the Corona Pandemic – Recommendations from Psychology and Sports Medicine
- Universität Mannheim: Mehr Homeoffice führt zu weniger Corona-Ansteckungen
- Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention – Deutscher Sportärztebund: Bewegung im Homeoffice
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