Frankfurt/Hamburg - Der erste Anfall kommt mit 16 Jahren. Paula Bach ist mit Freunden unterwegs – und plötzlich ist da einfach nichts mehr, wie sie erzählt. Alles schwarz, alles weg. Eine gute Dreiviertelstunde lang ist die junge Frau ohne Bewusstsein. Als sie aufwacht, findet sie sich im Krankenhaus wieder.
Was das war? Das weiß erst einmal keiner so genau. Erst fünf Jahre später steht die Diagnose: Epilepsie. Sie zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und schränkt das Leben der Betroffenen erheblich ein. Mittlerweile ist Paula Bach Anfang 30.
Fehlgeleitete Signale im Gehirn
Aber was ist das eigentlich für eine Erkrankung? Julia Hoppe, Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erklärt: "Unser Gehirn arbeitet, vereinfacht gesagt, elektrisch. Die Nervenzellen kommunizieren über elektrische Signale miteinander und entladen sich." Das gehe normalerweise sehr geregelt vonstatten. Bei einem epileptischen Anfall hingegen sei das Gehirn – oder auch nur einzelne seiner Bereiche – überaktiv. Zu viele Nervenzellen entladen sich gleichzeitig.
Wie ein solcher Anfall dann aussieht, sei unterschiedlich. Manchmal wird er von den Betroffenen selbst kaum wahrgenommen, manchmal kommt es zu starken Verkrampfungen oder – wie im Fall von Paula Bach – zu schweren Bewusstseinsstörungen.
Paula Bach erlebt solche Vorfälle zwei- bis dreimal im Monat. Früher, bevor sie sich wegen der Epilepsie am Hirn hat operieren lassen, waren es mehr: bis zu sechs kurze Aussetzer, sogenannte Auren, täglich und drei bis vier Anfälle wöchentlich. Wie bei den meisten Betroffenen klangen sie von selbst wieder ab.
Anfälle kommen oft aus heiterem Himmel
Was viele dabei nicht wissen: Nicht nur die Anfälle selbst sind es, die die Gesundheit der Betroffenen stark gefährden, sondern auch die Umstände. Denn: Ein epileptischer Anfall kommt oft aus heiterem Himmel oder kündigt sich nur durch winzige Vorzeichen wenige Minuten vorher an. Unbeschwert zur Arbeit gehen, Freunde treffen, verreisen: Für viele Betroffene ist all das nicht möglich und sogar gefährlich.
Paula Bach erzählt, dass ein epileptischer Anfall sie beispielsweise schon in der Dusche überkam, aus der sie dann fiel. Oder im Café, wo sie Tisch und Kaffee umwarf. Und einmal, besonders dramatisch, auf einer Rolltreppe: Von jetzt auf gleich war sie ausgeknockt, stürzte rückwärts hinunter. Doch anstelle eines Krankenwagens kamen Polizei und Sicherheitsmenschen, die eher von Krawall ausgingen und Paula Bach für eine Drogen- oder Alkoholabhängige hielten. Zum Glück war eine Ärztin vor Ort, die für Aufklärung sorgte.
Mythos: Etwas zwischen die Zähne schieben
Solche Fehleinschätzungen seien leider keine Seltenheit, sagt Paula Bach. Sie habe schon oft erlebt, dass Menschen sie für eine Suchtkranke hielten, wenn sie einen ihrer Anfälle miterlebten.
Oder – noch schlimmer – Tipps zur Ersten Hilfe geben, die sogar schaden können. Einer davon: Betroffenen während des Anfalls etwas zwischen die Zähne zu schieben, um zu verhindern, dass sie sich auf die Zunge beißen.
"Dieser Ratschlag ist richtig gefährlich", sagt Paula Bach. Der Grund: Viele Epileptikerinnen und Epileptiker würden während eines Anfalls Schaum vor dem Mund entwickeln. Mit einem Gegenstand zwischen den Zähnen könnten sie nicht richtig schlucken und schlimmstenfalls ersticken. Sie wünscht sich mehr Aufklärung über die Erkrankung, damit Betroffene im Notfall die richtige Hilfe bekämen.
Wie Außenstehende helfen können
Aber was ist die richtige Hilfe? "Es ist auf jeden Fall sinnvoll, den Rettungsdienst unter 112 zu rufen", sagt Ärztin Julia Hoppe. Gerade Laien könnten sich schließlich nicht sicher sein, ob es sich tatsächlich "nur" um einen vorübergehenden epileptischen Anfall handelt oder um eine andere Erkrankung, die sofort behandelt werden muss.
Zusätzlich sollten sich Beobachter vor allem darum kümmern, dass die Umgebung während des Anfalls sicher ist. "Passiert es beispielsweise im Supermarkt und die betroffene Person schlägt um sich und ist stark verkrampft, ist es wichtig, darauf zu achten, dass Kopf, Hände und Arme nirgendwo gegen stoßen und auch nicht auf einen harten Boden knallen", sagt Julia Hoppe. Eine weiche Jacke, unter den Kopf geschoben, ist beispielsweise schon eine große Hilfe.
Festhalten hingegen nicht. Julia Hoppe warnt: "Die Zuckungen können bei einem Anfall sehr stark sein und bergen dann auch eine Verletzungsgefahr für die helfenden Personen." Paula Bach sagt zudem: "Viele Betroffene möchten während eines Anfalls auch überhaupt nicht angefasst werden." Viel wichtiger sei: dabei zu bleiben und gut zu beobachten.
Wissen schafft Sicherheit für Betroffene
Unzählige Male hat Paula Bach genau solche Situationen schon miterlebt – oder besser gesagt: sie sich nach ihrem Knockout erzählen lassen. Ihr Körper ist voller Narben von Verletzungen, die sie sich während ihrer Anfälle zugezogen hat. Dass Menschen Schwierigkeiten haben, einen epileptischen Anfall überhaupt zu erkennen und dann auch noch besonnen zu reagieren, dafür zeigt sie volles Verständnis.
Häufig wurde sie schon ins Krankenhaus gebracht, was unnötig war. Dennoch rät auch sie Außenstehenden dazu, einen Rettungswagen zu rufen, wenn diese den Ernst der Lage nicht wirklich gut einschätzen können.
Sie selbst hat ihre Situation derzeit im Griff. Ihre Familie und Freunde wissen Bescheid und können routiniert helfen, wenn Paula Bach einen Anfall erleidet. Auch ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen hat sie eingeweiht. Das ist auch ihr Tipp für andere Betroffene: "Es ist erleichternd, wenn man nichts verheimlichen muss. Je mehr Menschen wissen, was sie im Notfall zu tun haben, desto sicherer kann man durch den Alltag gehen", sagt sie.
Sie spricht anderen Betroffenen Mut zu, sich von ihrer Erkrankung nicht das ganze Leben diktieren zu lassen. Und: andere Menschen immer wieder aufzuklären, um die vielen Mythen und Unwahrheiten über die Epilepsie nach und nach verschwinden zu lassen. © Deutsche Presse-Agentur
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