Warum wird ein Herzinfarkt bei Frauen häufig zu spät diagnostiziert? Und in welchem Alter tritt der klassische Herzinfarkt bei Frauen durchschnittlich auf? Diesen Fragen widmet sich die Kardiologin Catharina Hamm und erklärt auch, dass sich ein Herzinfarkt bei Frauen häufig mit anderen Symptomen bemerkbar macht als bei Männern.

Ein Interview

Frau Hamm, ein Herzinfarkt bei Frauen bleibt oft unerkannt oder wird zu spät diagnostiziert. Was steckt dahinter?

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Catharina Hamm: Laut Lehrbuch ist der typische Herzinfarkt-Patient ein grauhaariger, älterer Mann, der bei einer körperlichen Aktivität plötzlich einen Druck auf der Brust verspürt, welcher in den Arm ausstrahlt. Frauen empfinden zwar auch diesen Brustschmerz, dennoch gibt es bei ihnen weitere Symptome wie Kopfschmerz, Übelkeit, Unwohlsein, Rückenschmerzen, Erbrechen. Bei diesen Symptomen rechnen die Betroffenen häufig selbst gar nicht mit einem Herzinfarkt. Gehen sie dann in eine Klinik, werden sie aufgrund der verschiedenen Symptome häufig nicht ernst genommen und als "Psycho" abgestempelt.

"Frauen schätzen ihr eigenes Risiko für Herzerkrankungen oft falsch ein."

Dr. Catharina Hamm, Kardiologin

Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen oft dazu neigen, die Symptome zu bagatellisieren. Insofern spielt bei Frauen und einer Herzinfarkt-Diagnose häufig eine gewisse Zeitverzögerung eine große Rolle. Dabei ist es aus medizinischer Sicht, dank Blutentnahme und EKG, eigentlich sehr einfach, einen Herzinfarkt zu diagnostizieren. Doch auch wenn eine Frau typische Herz-Symptome aufweist, findet sie dennoch häufig nur verspätet den Weg in die Klinik – ein Problem, das mir im Klinikalltag immer wieder begegnet.

Dass Frauen ihre Symptome verharmlosen, passiert also häufiger?

So ist es. Frauen schätzen ihr eigenes Risiko für Herzerkrankungen oft falsch ein. Diese Fehleinschätzung zieht sich sowohl durch alle sozialen Schichten als auch durch alle Altersgruppen. Die meisten Frauen fürchten Erkrankungen wie Brust- oder Gebärmutterhalskrebs und unterschätzen das eigene Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei wissen wir, dass es zu einer Zunahme von Herzerkrankungen bei Frauen im mittleren Lebensalter kommt, weil Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes stetig zunehmen.

Wann tritt bei Frauen der klassische Herzinfarkt durchschnittlich auf?

Während Männer durchschnittlich im Alter von 60 bis 65 einen klassischen Herzinfarkt erleiden, tritt er bei Frauen etwa sieben bis zehn Jahre später auf. Das Risiko erhöht sich also ab einem Alter von 70 Jahren, weil bei Frauen ab der Postmenopause die Herzrisiken insgesamt ansteigen. Weil sie in diesem Alter nicht mehr im Berufsleben stehen, erleiden Frauen einen Herzinfarkt häufig unbeachtet, während etwa der Infarkt eines 52 Jahre alten Managers überall kommuniziert wird.

Bedeutet das, dass Frauen häufiger an einem Herzinfarkt sterben als Männer?

Wir wissen, dass Frauen in der mittleren Altersgruppe zwischen 45 und 60 eine höhere Sterblichkeit binnen der ersten vier Wochen nach einem Herzinfarkt haben. Diese Sterblichkeit ist sogar doppelt so hoch wie in der Gruppe der gleichaltrigen Männer – und das, obwohl Frauen grundsätzlich seltener einen Herzinfarkt bekommen. Das liegt daran, dass ein Infarkt bei Frauen häufig zu spät erkannt wird und sie in einem bereits desolaten Zustand in die Klinik kommen.

Ihr Buch "Save your Heart – Starte deinen Weg in ein herzgesundes Leben" widmet sich der weiblichen Herzgesundheit. Wann sollte man Ihrer Einschätzung nach diesen Weg starten?

Meiner Meinung nach kann man gar nicht früh genug mit der Herzvorsorge beginnen. Das Buch richtet sich sowohl an jüngere Frauen ab etwa 35 als auch an bereits Erkrankte, denn für einen herzgesunden Lifestyle ist es nie zu spät. Der Herzvorsorge selbst habe ich ein ganzes Kapitel gewidmet, in dem erklärt wird, welche Vorsorgeuntersuchungen es gibt und welche Werte in diesem Rahmen bestimmt werden sollten. Mein Ziel ist es, mit dem Buch die herzgesunde Frau im Alter von 35 bis 65 anzusprechen und sie zu ermutigen, sich frühzeitig ihrer Herzgesundheit zu widmen.

Erreicht das Thema Herzvorsorge bereits jüngere Menschen?

Herzvorsorge klingt nach Rheumadecke, dabei wollen alle Beauty und Skincare. Dabei ist es total cool, sich auch im jungen Alter mit der eigenen Herzgesundheit auseinanderzusetzen. Denn wer schon früh einen herzgesunden Lifestyle pflegt, lebt länger gesund – das ist Longevity, das gerade in aller Munde ist. Doch leider gibt es seitens der Krankenkassen keine geregelte Herzvorsorge, was dazu führt, dass dieses Thema nicht allzu präsent bei jüngeren Menschen ist. Umso mehr plädiere ich dafür, den Gesundheitscheck ab 35 entsprechend wahrzunehmen.

Sie hatten eingangs erwähnt, dass die Symptome von Frauen häufig nicht ernst genommen werden. Welchen Appell richten Sie an Frauen?

Die meisten Frauen kennen ihren Körper sehr gut. Insofern kann ich allen Frauen mit Beschwerden aller Art nur raten, einmal mehr in die Klinik zu gehen und ein EKG und eine Blutentnahme zu fordern. Natürlich muss man hier auch Fakten einordnen: 90 Prozent der Menschen, die sich mit Brustschmerzen in der Notaufnahme vorstellen, haben keinen Herzinfarkt.

"Es gibt immer Fälle von verstorbenen Frauen, die wortwörtlich im Herzen bleiben. Darunter sind viele Fälle, die auch wütend machen."

Dr. Catharina Hamm

Umso wichtiger ist die persönliche Einschätzung der Beschwerden: Verspürt eine Frau mit Bluthochdruck typische Herzinfarkt-Beschwerden, sind diese entsprechend anders einzuordnen, als bewegungsabhängiger Schmerz einer 35-Jährigen, die gerade zehn Kilometer gejoggt ist. Das Wichtigste ist, dass wir heute sehr gute Möglichkeiten haben, einen Herzinfarkt auszuschließen. Insofern appelliere ich immer dazu, Schmerzen ernst zu nehmen. Denn leider weiß ich, dass nicht alle Menschen das tun – somit ist das Buch auch jenen gewidmet, für die jede Hilfe zu spät kam.

Ihr medizinischer Appell ist also auch ein persönlicher …

So ist es. Es gibt immer Fälle von verstorbenen Frauen, die wortwörtlich im Herzen bleiben. Darunter sind viele Fälle, die auch wütend machen. Denn wäre ein Mann mit denselben Symptomen in eine Klinik eingeliefert worden, wären diese viel ernster behandelt worden. Es ist mir also eine Herzensangelegenheit, Frauen dazu zu ermutigen, sich durchzusetzen, ihre Beschwerden ernst zu nehmen, aber auch ihr Risiko realistisch einzuschätzen.

Warum steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach der Menopause an?

Prämenopausale Frauen haben ein deutlich niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als altersgleiche Männer. Aber nach der Menopause steigt unser Herzrisiko an und ist teilweise sogar höher als bei Männern. Östrogen ist unser sogenannter Slow-Aging-Hero und hält nicht nur unsere Haut straff, sondern auch unsere Blutgefäße. Fällt das Östrogen ab, werden die Gefäße steifer und härter, wodurch etwa Bluthochdruck entstehen kann. Darüber hinaus hat Östrogen einen großen Einfluss auf den Cholesterin- und Zuckerstoffwechsel. In Verbindung mit einer durch die Menopause verursachte Gewichtszunahme und dem Abbau von Muskelmasse führt das zu einem erhöhten Diabetesrisiko. All das bedeutet einen Anstieg der Herzrisiken nach der Menopause.

Gendermedizin kommt nur schleppend in den Praxen an – woran liegt das?

Männer und Frauen sind nicht gleich, sollten aber gleich behandelt werden – auch in der Medizin. Die Gendermedizin führt leider noch immer eine Art Schattendasein. Denn sie steht nicht nur dafür, dass ausschließlich Frauen besser behandelt werden. Denn es gibt auch Erkrankungen, bei denen Männer nicht gut behandelt werden. Ich denke da etwa an Erkrankungen wie Osteoporose oder Depression. Insofern profitieren alle von der Gendermedizin und trotzdem wird sie stiefmütterlich behandelt.

Auch heute ist Gendermedizin an vielen Universitäten nur als Wahlfach belegbar. Umso wichtiger ist, dass es immer mehr Lehrstühle für diesen Bereich gibt und ich hoffe, dass dieser Fachbereich bald an allen Universitäten gelehrt wird. Denn nur so kann der Skepsis gegenüber der Gendermedizin auch in den Praxen und Kliniken entgegengewirkt werden. Denn Schnittstellen mit der Gendermedizin gibt es in ausnahmslos jedem medizinischen Fachbereich.

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Catharina Hamm ist Oberärztin an einem großen Herzzentrum und arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Kardiologin und Notfallmedizinerin. Sie ist zudem Expertin für Gendermedizin mit dem Schwerpunkt Menopause und Sportkardiologie. Im Dezember 2024 ist ihr Buch "Save your Heart – Starte deinen Weg in ein herzgesundes Leben" erschienen.