Über welche Themen möchten Sie, liebe Leser, bei uns gerne mehr erfahren? Diese Frage stellen wir jeden Monat. Diesmal haben sich 41 Prozent, also 12.678 unser Leser für das Thema "Ärztepfusch" und gegen die Konkurrenzthemen "Transsexualität" und "Anti-Aging" entschieden. Wie leben Patienten mit den Fehlern der "Götter in Weiß"? Maja Strube aus Bochum weiß darüber leider aus eigener Erfahrung zu berichten. Sie sitzt nach einem vermeintlichen Routineeingriff im Rollstuhl.

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Ein schrecklicher Behandlungsfehler bei ihrer Knieoperation macht selbst alltägliche Verrichtungen wie Wäsche waschen, Kochen oder Einkaufen unmöglich. Die 29-jährige Maja Strube ist auf fremde Hilfe angewiesen.

In ihrer Wohnung, die sich im ersten Stock befindet, ist sie quasi eingesperrt. Zwar habe sie sich eine Methode angeeignet, mit Unterarmgehstützen die Treppe hinunterzugehen, aber dann befinde sich der Rollstuhl immer noch im ersten Stock. Auch wenn ihr eine Freundin mit dem Rollstuhl auf die Straße helfe, erzählt Maja Strube, könne sie keine Hindernisse überwinden, die höher sind als 1,5 cm. Denn bisher sei der Rollstuhl weder eingestellt, noch auf ihren Körper angepasst.

Früher war Frau Strube eine aktive und lebenslustige Frau, die viele Sportarten wie Badminton, Schwimmen, Fahrradfahren und Pilates betrieb. Sie ging gerne Shoppen und war oft mit Freunden in der Bochumer Innenstadt unterwegs. "Das alles vermisse ich sehr", sagt sie.

Mit einem Arbeitsunfall fing alles an

In ihrem Beruf als Physiotherapeutin hilft sie vor ihrer persönlichen Tragödie selbst Menschen, aus dem Rollstuhl wieder herauszukommen. Und damit fängt alles an. Als eine Rollstuhlfahrerin bei einer Geh-Übung zu stürzen droht, versucht Maja Strube sie aufzufangen und in den Rollstuhl zu setzen. Dabei verdreht sie sich ihr linkes Knie. "Es fühlte sich einen Moment lang an, als würde ein Messer in mein Knie stechen", erinnert sie sich heute. Ein paar Tage später geht sie zu einem Chirurgen für Arbeitsunfälle, der zunächst zwar Anzeichen, aber keine eindeutigen Belege für eine Kreuzbandverletzung feststellt. Er schreibt sie krank und ordnet eine Magnetresonanztomographie (MRT) an. Auch diese erbringt keine Hinweise auf eine Kreuzbandverletzung. Frau Strube bekommt Unterarmstützen, um das Knie zu schonen. Zwischenzeitlich nimmt sie sogar ihre Arbeit wieder auf, mit einer Schiene, die das Knie beim Laufen stabilisiert.

Weil die Schmerzen schlimmer werden, wird sie zu einer Kniespiegelung ins Bochumer Martin-Luther-Krankenhaus geschickt. Erst nach dieser Untersuchung diagnostiziert der Arzt einen Riss des vorderen Kreuzbands im linken Knie. Eine operative Sehnentransplantation soll Abhilfe schaffen. Zunächst läuft alles den gewohnten Weg: Der Arzt klärt Frau Strube über die möglichen Risiken wie Wundheilungsstörungen, Infektionen des Gelenks oder eine Thrombose im Bein auf. Der Narkosearzt empfiehlt ihr noch einen Schmerzkatheter für das linke Bein, um die Schmerzen nach der Operation zu lindern. Maja Strube willigt ein und geht am 25. Mai 2011 mit einem guten Gefühl in die Operation.

Als die junge Patientin aus der Narkose erwacht, traut sie ihren Augen nicht: Nicht nur ihr linkes, auch ihr rechtes Bein sind verbunden. Der operierende Arzt erklärt, dass die Operation kompliziert gewesen sei, da die benötigten Sehnen am linken Bein zu dünn für eine Transplantation gewesen seien. So habe er sich noch während des Eingriffes entschieden, eine Sehne aus dem gesunden rechten Bein zu entnehmen. Aus diesem Grund habe die Operation auch dreieinhalb Stunden statt der ursprünglich geplanten 45 bis 75 Minuten gedauert. Im Übrigen brauche sie sich auch keine Sorgen machen, wenn ihr linkes Bein zunächst taub erscheine, so der Chirurg. Ja, sie habe jetzt ein stabiles Kreuzband im linken Bein.

"… schlimmer als eine 80-jährige hüfttransplantierte Patientin"

In den nächsten Tagen leidet Frau Strobe unter starken Schmerzen im linken Bein. "Es brannte wie Feuer", erinnert sie sich. Auch das taube Gefühl bleibt. Anfangs kann sie ihr Bein noch mit Mühe bewegen, doch nach einigen Tagen wird selbst das unmöglich. Auch am rechten Bein verspürt sie jetzt starke Schmerzen und ein pelziges Gefühl. Auf ihre mehrmaligen Nachfragen hin wird sie vertröstet. Die Ärzte versichern ihr, dass sich das alles wieder lege.

Doch die sehnlich herbeigewünschte Besserung tritt nicht ein. Als Maja Strube erneut über ihre Schmerzen klagt, wird der Ton der Ärzte rauer. "Jammern Sie nicht so rum, Sie stellen sich ja schlimmer an als eine 80-jährige hüfttransplantierte Patientin." Am 8. Juni 2011 wird Frau Strube in das Bochumer Uniklinikum Bergmannsheil verlegt. Dort wird eine dissoziative Bewegungsstörung, eine Kopfblockade, diagnostiziert. Sie bekommt einen Rollstuhl verordnet.

Am 29. Juni 2011 wird sie in eine Anschluss-Reha nach Bad Salzuflen verlegt. Dort verbucht sie zumindest einen kleinen Fortschritt: Einige Muskeln am Gesäß und am Oberschenkel zucken. "Das hat mir einiges an Kraft gegeben, für meine ersten Schritte zu kämpfen", sagt Maja Strube. Doch bis heute ist ihr linkes Bein gelähmt und fühlt sich an wie eine "betäubte Backe" beim Zahnarzt.


Ein Fall für die Richter

Frau Strube will nicht nur für ihre ersten Schritte kämpfen, sie kämpft auch für ihr Recht. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, eine Einigung mit dem Martin-Luther-Krankenhaus zu erzielen, hat sie Klage beim Bochumer Landgericht eingereicht. Der Zivilprozess beginnt in den kommenden Tagen. Sie macht eine Schmerzensgeldforderung in Höhe von rund 300.000 Euro geltend. Ihre Anwältin Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht von der Kanzlei Hermann Rechtsanwälte aus Marl, ist zuversichtlich. Aus ihrer Sicht liegt ein eindeutiger Behandlungsfehler vor. Der operierende Arzt hätte nach ihrer Auffassung das rechte Bein niemals ohne ihre Einwilligung öffnen dürfen, auch wenn sie sich in Narkose befand, so die Juristin.

Das Martin-Luther-Krankenhaus sieht der Klage derweil offenbar gelassen entgegen. Medienberichten zufolge haben die Ärzte nach Ansicht des Krankenhauses korrekt gehandelt. Dennoch stehen die juristischen Chancen nach Ansicht der Fachanwältin nicht schlecht für Maja Strube. Denn auch der kunstgerechte ärztliche Eingriff, wie es in der Fachsprache heißt, stellt immer eine Körperverletzung dar, die nur gerechtfertigt ist, wenn der Patient einwilligt. Dem Eingriff in das rechte Bein habe Frau Strube aber nie zugestimmt und hätte es auch nicht getan. Von einer Klage wegen Körperverletzung sieht die Kanzlei jedoch ab. Sie wollen lediglich im Rahmen einer Zivilklage ein Schmerzensgeld erstreiten. Für Frau Strube kommt es letztlich nicht auf das Geld an. Sie will Gerechtigkeit. Mehr noch will sie endlich raus aus dem Rollstuhl.

Ärger auch mit der Berufsgenossenschaft

Allerdings ist auch die finanzielle Situation für Maja Strube nicht einfach. Die Berufsgenossenschaft hat die Zahlungen inzwischen eingestellt, denn sie erkennt nur eine Zerrung des linken Knies als Arbeitsunfall an. Selbst die Fahrtkosten zum Arzt werden damit nicht übernommen. Auch für eine angemessene Rehabilitation oder eine alternative Behandlung bekommt sie keine Unterstützung. Ans Aufgeben denkt Maja Strube aber nicht. Sie hat immer noch die Hoffnung, irgendwann wieder laufen zu können und ein normales Leben zu führen. Dafür führt sie täglich Übungen mit einem Trainingsgerät aus und arbeitet akribisch an ihrem Ziel. Sie möchte auch wieder in ihrem Traumberuf als Physiotherapeutin arbeiten. Vor allem möchte sie wieder ganz normal leben, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.

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