• Morgen ist auch noch ein Tag: Frei nach diesem Motto schieben wir unangenehme Aufgaben gerne vor uns her.
  • Nimmt das Aufschieben wichtiger Aufgaben jedoch überhand, kann das negative Folgen für die Karriere, Beziehung und die Psyche haben.
  • Ein Psychotherapeut erklärt, was man dagegen tun kann.

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Die Steuererklärung, den Frühjahrsputz, den Anruf bei den Schwiegereltern: Wir alle schieben gelegentlich unliebsame Dinge vor uns her. Es ist normal, dass wir lieber Dingen nachgehen, die Spaß machen oder eine unmittelbare Belohnung mit sich bringen.

Nimmt die "Aufschieberitis" jedoch chronische Züge an, kann das für die Betroffenen ernsthafte Konsequenzen haben: Wissenschaftler der Universität Mainz haben in einer Studie herausgefunden, dass chronische Prokrastinierer öfter Single sind, häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind und über ein geringes Einkommen verfügen. Zu den Begleiterscheinungen zählen Gefühlen wie Angst, Depression, Stress und Einsamkeit.

"Prokrastination hat nichts mit Faulheit zu tun"

Das gelegentliche Aufschieben, zu dem wir alle mehr oder weniger neigen, ist jedoch noch keine Prokrastination, auch wenn es umgangssprachlich gerne so bezeichnet wird. "In der Psychologie versteht man unter Prokrastination eine ernsthafte Störung der Selbststeuerung", sagt Psychotherapeut Philipp Lioznov. Betroffene schieben ständig wichtige Aufgaben vor sich her, obwohl sie sich über die negativen Folgen im Klaren sind. "Das kann sogar psychopathologische Folgen haben und zum Beispiel in eine Depression führen", sagt der Psychotherapeut. 15 Prozent der deutschen Bevölkerung seien von dieser schweren Form betroffen.

Durch ihr Verhalten machen sich bei chronischen Aufschiebern häufig Schuldgefühle und ein negatives Selbstbild breit. Dabei hat Prokrastination nichts mit Faulheit zu tun, betont Lioznov, sondern mit Emotionsregulation. "Wenn man sich sagt: Ich muss, aber ich kann nicht, dann bewertet man sich selbst sehr negativ. Das ist ein Teufelskreis."

Personen, deren Selbstwert eng an ihre Leistung gekoppelt ist, sind häufig betroffen, so Lioznov. Neben der Angst zu versagen können Schwierigkeiten bei der Prioritätensetzung, Defizite im Zeitmanagement oder Konzentrationsprobleme das prokrastinierende Verhalten verstärken. Doch was kann man dagegen tun?

Was kann man gegen Prokrastination tun?

Um eine Aufgabe erfolgreich zu meistern, sind laut Psychotherapeut Lioznov allgemein vier Schritte notwendig: Die Absichtsklärung – was will ich überhaupt? Die Handlungsplanung – wie mache ich das? Die Handlungsausführung und zuletzt die Evaluation – hat es geklappt? "Beim Prokrastinieren hakt es zwischen dem zweiten und dritten Schritt", sagt Lioznov.

Tipp 1: Erstellen Sie einen konkreten und realistischen Plan

Die Handlungsplanung scheitere häufig daran, dass der aufgestellte Plan nicht realistisch sei. Etwa, wenn zu viel in zu kurzer Zeit erledigt werden soll. "Wer sich unrealistische Ziele setzt, kann sie nicht erfüllen – das demotiviert", sagt Lioznov. Für eine bessere Planung empfiehl der Psychotherapeut die sogenannte SMART-Methode. Das Akronym steht für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Das heißt:

  • Formulieren Sie Ihr Ziel möglichst konkret (spezifisch)
  • Überlegen Sie, wie sich der Erfolg feststellen lässt. Wann ist das Ziel erreicht? (messbar)
  • Fragen Sie sich, warum Sie die Aufgabe erledigen wollen? Was ist Ihre Motivation? (attraktiv)
  • Planen Sie realistisch. Das Ziel darf ambitioniert, aber nicht unerreichbar sein. (realistisch)
  • Setzen Sie einen zeitlichen Rahmen, in dem das Ziel erreicht werden soll. (terminiert)

Tipp 2: Nehmen Sie sich feste Arbeitszeiten vor

Lioznov empfiehlt zudem, einen konkreten Zeitpunkt für eine Aufgabe festzulegen und pünktlich zu beginnen. Auch Arbeitszeitrestriktion könne sehr hilfreich sein: Nehmen Sie sich einen konkreten Zeitraum für die Aufgabe vor, zum Beispiel zwei Stunden. Ist die Zeit vorbei, dürfen Sie nicht weiterarbeiten. "Das schafft in unserem Kopf eine Dringlichkeit und hilft, sich darauf zu konzentrieren", sagt Lioznov.

Eine andere Möglichkeit sei, die Arbeit in Zeitintervalle einzuteilen, zum Beispiel 40 Minuten arbeiten, gefolgt von zehn Minuten Pause. Dann beginnt man wieder von vorne.

Tipp 3: Teilen Sie große Aufgaben in viele kleine Aufgaben auf

Ist eine Aufgabe sehr groß, kann sich beim bloßen Gedanken daran ein Gefühl der Ohnmacht einstellen. Darum rät der Psychotherapeut, große Aufgaben in viele kleine Schritte zu unterteilen. "Konzentrieren Sie sich auf die kleinen Schritte, nicht auf das, was noch vor Ihnen liegt", rät Lioznov. Wer zum Beispiel an einer Doktorarbeit schreibt, kann sich vornehmen, an einem Tag eine Seite zu schreiben.

Das schafft Erfolgserlebnisse, die wiederum Motivation für den nächsten Schritt schaffen. Klappt das nicht, sind die Schritte vielleicht immer noch zu groß und müssen weiter verkleinert werden.

Tipp 4: Die Arbeitsatmosphäre muss stimmen

Für den Handlungsablauf sei zunächst wichtig, dass die Arbeitsatmosphäre stimmt. Ein aufgeräumter Arbeitsplatz ohne störende Reize gehört ebenso zur Grundvoraussetzung wie körperliches Wohlbefinden. "Achten Sie auf genügend Schlaf, Sie müssen sich wohlfühlen", rät der Experte.

Hier gelte es auch herauszufinden, zu welcher Tageszeit produktives Arbeiten möglich ist. Nicht jeder ist schon morgens leistungsfähig genug, um sich unangenehmen Aufgaben zu stellen. "Können Sie nachts gut arbeiten, dann tun sie das", sagt Lioznov.

Tipp 5: Loben Sie sich auch für kleine Erfolge

Der Weg zum Ziel kann lang und mühsam sein - umso wichtiger, schon kleine Leistungen und Fortschritte anzuerkennen. "Wenn Sie etwas geschafft haben, und sei es nur ein kleiner Schritt, seien Sie stolz und belohnen Sie sich", rät Lioznov. Das motiviert, auch den nächsten Schritt zu tun und dranzubleiben.

Wer seine Leistung hingegen als Kleinigkeit geringschätzt, wird sich erst recht nicht zutrauen, die ganze Aufgabe zu bewältigen.

Tipp 6: Seien Sie bei Rückschlägen milde mit sich

Gibt es Rückschläge, sei Selbstmitgefühl gefragt. "Das ist kein Makel", sagt Lioznov. An sich zu arbeiten sei grundsätzlich positiv und identitätsstiftend. Ratgeberliteratur oder Selbsthilfetipps könnten manchmal viel Druck aufbauen. "Man bekommt konkrete Ratschläge und fragt sich, warum man es trotzdem nicht hinbekommt", sagt der Psychotherapeut. "Sie sind kein Versager, wenn es nicht gleich klappt."

Jeder Mensch müsse für sich selbst herausfinden, was gut für ihn oder sie funktioniert. Rückschläge gehören dazu.

Wer alleine nicht weiterkomme, solle sich ruhig Unterstützung suchen, entweder bei Freunden oder einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin. "Die meisten Menschen, die zu mir kommen, machen in diesen Dingen gute Fortschritte."

Über den Experten:
Philipp Lioznov ist Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie in Wien. Neben seiner Arbeit forscht er im Rahmen eines PhD-Projektes zum Thema Einsamkeit.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Psychotherapeut Philipp Lioznov
  • journals.plos.org: Procrastination, Distress and Life Satisfaction across the Age Range – A German Representative Community Study


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