Als Sängerin hüllt Alina Wichmann emotionale Botschaften in ein musikalisches Gewand. Nun hat die 39-Jährige ein Buch geschrieben, in dem sie von ihrem Leben als glücklich alleinlebende Frau schreibt. Im Interview spricht sie außerdem über Bodyshaming und erklärt, warum für Frauen andere Regeln zu gelten scheinen als für Männer.
Frau Wichmann, Ihr Buch trägt den Titel "Verletzlich stark – Mein Leben zwischen Single-Sorgen, Dating-Dschungel und der Erfahrung echter Eigenliebe". Wer sollte Ihr Buch lesen?
Alina Wichmann: Ich glaube, das Buch könnte zum einen spannend sein für Frauen in meinem Alter. Oder auch für junge Frauen, die auf der Suche sind nach ihrem Lebensweg, ihrer Bestimmung und das Gefühl haben, aus dem Raster zu fallen. Das sind dann aber nicht nur Frauen, sondern alle Menschen, die den Eindruck haben, gar nicht so richtig in die kleinen Ortschaften, Dörfer oder Städte zu passen, in denen sie leben.
Zum anderen fühlen sich von dem Buch womöglich Menschen angesprochen, die das Thema Beziehung noch für sich klären möchten. Beziehungen und die Frage, wie das eigentlich geht mit der Liebe, sind immerhin der rote Faden des Buches. Und die Frage, wie das mit der Liebe funktioniert, ist eine Frage, die auch ich mir immer wieder aktiv gestellt habe und noch immer stelle. Ich versuche in dem Buch, die Dinge, die ich diesbezüglich herausgefunden habe, an meinen persönlichen Fallbeispielen aufzuzeigen und hoffe, dass ich damit Menschen erreiche und unterhalten kann. Denn ich finde, dass sich am wahren Leben die spannendsten Geschichten erzählen lassen.
Also konnten Sie noch keine klare Antwort für sich finden, wie das mit der Liebe eigentlich funktioniert?
Es ist kompliziert. (lacht) Für mich war total wichtig zu erkennen, welche Traumata, die mich zu gewissen Personen hinziehen und die mich auch immer wieder in so toxische Dynamiken gezogen haben, ich noch in mir habe. Insofern war es für mich krass, rückblickend zu erkennen, dass die einen oder anderen meiner Ex-Partner total ähnliche Eigenschaften hatten. Ich konnte diesbezüglich also wirklich ein Muster erkennen und so setzte die Erkenntnis "Das war ja eigentlich genau dasselbe, nur in Grün" bei mir ein. Das zu erkennen, hat mir dabei geholfen, mich von diesen Mustern zu lösen.
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Ich glaube, dass Liebe nur dann funktioniert, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Dabei ist der Glaubenssatz "Du musst dich selber lieben, um andere lieben zu können" eine große, gelernte Aussage, die ich nie mochte. Denn wir sind soziale Wesen und irgendwie auf Liebe von anderen angewiesen. Insofern finde ich es vollkommen in Ordnung, sich nach Liebe zu sehnen und sich eine Partnerschaft zu wünschen. Dennoch merke ich, dass Liebe bei mir dann funktioniert, wenn man nicht in eine Art Abhängigkeit gerät. Denn die Gefahr, sich in einer Beziehung zu verlieren und immer mehr von der Zuwendung der anderen Person abhängig zu machen, ist zu groß. Diesbezüglich kann ich heute sagen, so happy mit meinem Leben zu sein, dass ich keine Beziehung brauche.
Sie erzählen in dem Buch von den Herausforderungen als mehrgewichtige Single-Frau ab Mitte 30. Welche übergriffigen Kommentare begegnen Ihnen?
Häufig sind es Kommentare, die konkret auf mich als Mehrgewichtige abzielen. Ich lese dann Sätze wie "So jemanden wie dich will ja auch niemand". Manchmal erreichen mich auch Vorwürfe, es sei egoistisch von mir, keine Kinder zu haben. Darüber kann ich dann nur schmunzeln. Ich habe den Eindruck, es interessiert die Menschen dabei weniger, dass ich alleinlebend bin. Mehr Projektionsfläche bieten hingegen mein Übergewicht, Frauenfeindlichkeit im Allgemeinen und mittlerweile auch Ageshaming. Diesbezüglich erhalte ich dann Kommentare wie "Die sollte sich mal altersgerecht anziehen".
Wie reagieren Sie auf solche Kommentare?
Mittlerweile kann ich diese Art von Kommentaren sehr gut von mir als Person trennen. Ich nehme nichts mehr persönlich und betrachte den Impuls eines Menschen, andere Menschen – etwa im Internet – anzugreifen, als ein Problem dieser Person. Es ist nicht mein Problem. Ich kläre online stark zum Thema Bodyshaming auf und polarisiere auch damit. Natürlich begegnet mir diesbezüglich entsprechend viel digitaler Hass. Bei genauerem Hinschauen merkt man aber, dass die Hater gewissermaßen mit ihrem Spiegelbild sprechen. Sie führen quasi einen inneren Monolog, den sie an mir auslassen. Hierbei handelt es sich um Glaubenssätze, die sie in ihrem Elternhaus oder der Gesellschaft gelernt und verinnerlicht haben.
Was sind das für Glaubenssätze?
Zum Beispiel, dass man dicke Menschen beleidigen und bewerten darf. Dabei haben diese Beleidigungen nichts mit mir und meiner Person zu tun. Vielmehr bin ich eine Projektionsfläche und in meiner Rolle als Künstlerin habe ich mich dazu entschieden, Projektionsfläche zu bieten. Dieses Bewusstsein hilft mir dabei, Abstand zu den Beleidigungen zu gewinnen.
Welche Rolle spielt an dieser Stelle Aufklärung?
Eine riesige. Wir müssen über gewisse Themen sprechen. Denn es gibt viele Dinge, die wir als Gesellschaft unterbewusst vereinbart haben. Damit meine ich eben Glaubenssätze wie "Dicke Menschen leben ungesund" oder "Man darf dicke Menschen hänseln". Umso wichtiger ist es mir, den Diskurs zu entfachen und die Menschen für ihr Verhalten zu sensibilisieren. Mit Blick auf dieses Bewusstsein haben wir meiner Meinung nach als Gesellschaft noch viel zu tun.
Auch bezüglich des bereits angesprochenen Ageshamings braucht es gesamtgesellschaftlich noch viel. Vor allem Frauen einzubläuen, im Alter nichts mehr wert zu sein, zeigt, wie viel Missverständnisse noch vorherrschen. Dabei ist doch das Gegenteil der Fall. Denn mit 39 kann ich vor allem den jüngeren Frauen sagen: Es wird immer besser, freut euch auf das, was kommt! Je älter wir werden, umso mehr wissen wir, was wir wollen. Wir sind klüger, gelassener und fühlen uns wohler in unserem Körper, auch wenn er hier und da zu Wehwehchen neigt. Deswegen sollten wir das Älterwerden feiern und nicht verteufeln.
Trotzdem leben wir in einer Gesellschaft, in der stereotype Rollenbilder von Männern und Frauen propagiert werden …
So ist es. In unserer Gesellschaft dürfen Männer hässlich sein. Männer dürfen auch alt und dick sein. Ebenso dürfen Männer unangenehm und unangebracht sein. Das patriarchale System, in dem wir leben, erlaubt Männern sehr viele Privilegien, wohingegen für Frauen manchmal andere Regeln zu gelten scheinen. Denn Frauen werden gefühlt permanent auf ihr Äußeres reduziert. Dabei halte ich persönlich es für gefährlich, wenn sich Geschlechter ausschließlich über Äußerlichkeiten definieren. Natürlich leben wir in einer sehr visuellen Welt, doch wir sollten uns den gesunden Blick auf Äußerlichkeiten bewahren.
Inwiefern?
Damit meine ich beispielsweise die Nutzung von Beauty-Filtern. Sie zu nutzen, ist natürlich erlaubt, solange der Blick aufs Wesentliche nicht verloren geht. Darüber hinaus denke ich, dass in den kommenden Jahren in Sachen Künstlicher Intelligenz noch eine Menge passieren wird. Ich glaube, wir können uns noch gar kein Bild davon machen, was diesbezüglich auf uns zukommt. Umso wichtiger ist meiner Meinung nach die Kennzeichnung KI-generierter Inhalte. So kann vor allem der jüngeren Generation ein korrekter und gesunder Umgang mit diesen Technologien vermittelt werden.
Lassen Sie uns abschließend noch einmal darauf zurückkommen, dass Sie für Ihr Leben als alleinstehende Frau häufig kritisiert werden: Glauben Sie, dass Menschen eher bereit sind, eine unglückliche Beziehung zu führen, als glücklich Single zu sein?
Ja. Damit möchte ich diese Menschen gar nicht abwerten, denn ich war lange selbst so ein Mensch und werde es möglicherweise auch irgendwann wieder sein. Denn der Mensch sehnt sich nun einmal nach Zugehörigkeit, Nähe und Partnerschaft. Insofern ist es meiner Meinung nach okay, in einer unglücklichen Beziehung zu bleiben, weil man keine Kraft dazu hat, alleine zu sein. Genauso in Ordnung soll es im Gegenzug aber sein, ohne eine Partnerschaft glücklich zu sein. Denn man ist in einer Partnerschaft genauso viel wert wie ohne eine Partnerschaft. Schlussendlich geht es in einer Beziehung auch darum, sich zu fragen, ob man das Gegenüber um seinetwillen liebt oder nur aus der Motivation, nicht alleine sein zu wollen. Das ist eine schmerzhafte Frage, kein Zweifel – aber sie bietet einen guten Selfcheck. Heute weiß ich, dass ich diese Check-ins mit mir selbst nur absolvieren kann, weil ich aus vergangenen Beziehungen eine Menge aufgearbeitet habe. Umso mehr wünsche ich mir, dass alle Menschen, die glauben, das Leben sei ohne eine Beziehung nicht lebenswert, verstehen, dass auch alleine alles möglich ist. Alleine sein bedeutet nicht, einsam zu sein.
Über die Gesprächspartnerin
- Alina Wichmann ist eine deutsche Sängerin und Songschreiberin. 2017 erschien ihr Debütalbum "Die Einzige", das in die Top 100 der deutschen Charts einstieg. In ihren Songs und auf Social Media setzt sie sich für Body-Positivity und Selbstliebe ein. 2024 erschien ihr neues Album "Ungefiltert". Im November ist Alina Wichmanns Buch "Verletzlich stark – Mein Leben zwischen Single-Sorgen, Dating-Dschungel und der Erfahrung echter Eigenliebe" erschienen.
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