Kohlenhydrate werden häufig verteufelt. Doch eigentlich können sie beim Abnehmen helfen, sagt Ernährungsmedizinerin Daniela Kielkowski. Wie, erklärt sie im Interview.
Kohlenhydrate werden häufig als Feind einer schlanken Figur betrachtet. Low-Carb-Diäten wie die Atkins-Diät, Keto oder Paleo sind seit Jahren in aller Munde und sollen der Schlüssel zum Abnehmen sein. Ernährungsmedizinerin Daniela Kielkowski sieht das anders: Ausgerechnet mit Kohlenhydraten ließen sich Stoffwechsel und Fettverbrennung anregen und der Jo-Jo-Teufelskreis durchbrechen, sagt die Autorin des Buchs "Die Stoffwechsel-Revolution - Abnehmen mit Kohlenhydraten" (Becker Joest Volk Verlag).
Sind Pasta, Brot und Co. also der Schlüssel zur Traumfigur? Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt Daniela Kielkowski, was im Körper passiert, wenn wir Kohlenhydrate essen, und warum sie sich so gut zum Abnehmen eignen.
Sie sagen, mit Kohlenhydraten könne man abnehmen. Wie geht das?
Daniela Kielkowski: Um abzunehmen, benötigen wir einen funktionierenden Stoffwechsel, besonders eine gute Fettverbrennung. Unser Stoffwechsel gewinnt aus Kohlenhydraten am schnellsten und effektivsten Energie, daher bevorzugt er sie. Dieses System ist hochintelligent und überlebensfähig. Da kein Lebensvorgang - nicht einmal ein Wimpernschlag, geschweige denn ein Herzschlag - ohne Energie abläuft, verlangt unser Körper regelmäßig Nahrung, um alles am Laufen zu halten. Lebensenergie kommt schließlich nicht aus der Steckdose.
Fehlen Kohlenhydrate, greift der Körper auf seine Reserven zurück: das Fett. Diese Reserven sind wie ein Konto oder Vermögen. Wird der Körper ständig gezwungen, seine Reserven anzuzapfen, etwa durch Diäten, Fasten oder unregelmäßiges Essen, verärgert ihn das.
Da meist Kohlenhydrate fehlen - seine beste Energiequelle - spart der Körper, schützt seine Reserven und ruft den Notzustand aus. Er produziert weniger Energie und fährt das Lebenssystem herunter. Dadurch betrachtet er seine Fettreserven als Notreserve und versucht ständig, sie wieder aufzufüllen. Das kann die Fettverbrennung beeinträchtigen und dazu führen, dass man schon mit wenig Essen schneller zunimmt.
Eine kluge, ausreichende Zufuhr von Kohlenhydraten kann das System wieder hochfahren und ausgleichen. Der Körper nimmt das Friedensangebot an, erhöht die Fettverbrennung und nutzt Fett, um zukünftige Energieschwankungen auszugleichen. Das lässt sich messen. So kann man mit Kohlenhydraten wieder abnehmen.
Weshalb haben Kohlenhydrate so einen schlechten Ruf, besonders beim Abnehmen?
Kielkowski: Der schlechte Ruf von Kohlenhydraten überrascht mich selbst immer wieder. Denn jeder, der sich mit der Biochemie des Stoffwechsels auskennt, weiß: Unser wichtigstes Organ, das unser Leben managt und 30 Prozent unseres täglichen Energiebedarfs beansprucht, verlangt ausschließlich nach Zucker: unser Gehirn! Es verbraucht im Normalzustand ca. 130 Gramm Zucker am Tag. Das ist eine gestrichene Kaffeetasse voll.
Fette und Eiweiße in reiner Form kann das Gehirn nämlich nicht verstoffwechseln. Ständig misst das Gehirn den Blutzuckerspiegel und reagiert sofort, wenn dieser sinkt. Dann setzt es alles daran, den Körper zur Zuckerproduktion zu zwingen, auch auf Kosten anderer Organe und Stoffwechselprozesse. Gehirn first!
Auch unsere Leber-, Blut-, Nieren- und Muskelzellen benötigen viel Glucose, da sie einen hohen Energieverbrauch haben und viel für unseren Stoffwechsel leisten. Wenn wir ständig Kohlenhydrate sparen, muss der Körper Zucker aus Fetten und Eiweißen herstellen. Das sind energieaufwendige Prozesse, die weniger effizient ablaufen als die Energiegewinnung aus Glucose und dem Körper Engpässe signalisieren. Greift der Körper ständig auf seine Energiespeicher, also Fett, zurück, kann er den Sparkurs ausrufen und seinen Energieverbrauch drastisch reduzieren. Das senkt die Fettverbrennung und erhöht die Muskelverbrennung, was langfristig zu unangenehmen Störungen und schweren Erkrankungen führen kann. Sparen bedeutet weniger Regeneration und damit höheren Verschleiß.
Kohlenhydrat ist ja nicht gleich Kohlenhydrat. Welche sind besonders gesund?
Kielkowski: Hier plädieren wir Experten eher für die komplexen Kohlenhydrate, die langsamer in reine Glukose aufgespalten werden und somit den Blutzuckerspiegel moderater ansteigen lassen. Das hat den Vorteil, dass weniger Insulin verbraucht wird, der Spiegel konstanter bleibt, damit das Gehirn eine regelmäßige Versorgung hat und alle Zellen im Körper glücklich sind. Zusätzlich hält ein konstanter Blutzuckerspiegel deutlich länger satt.
Hierfür eignen sich Vollkornprodukte und Nahrungsmittel, die einen hohen Ballaststoff-Faseranteil besitzen, wie Pellkartoffeln, al dente gekochte Nudeln, Wild- und Vollkornreis, Getreideflocken, faserreiches Obst, auch Gemüse oder Hülsenfrüchte.
Eher schlecht sind Süßigkeiten, sehr schlecht Softgetränke, Nahrungsmittel mit wenig Ballaststoffen und viel Einfachzucker. Diese sorgen für hohe Blutzuckerschwankungen, viel Insulin und Heißhunger durch zu steilen Abfall des Spiegels.
Was passiert im Körper, wenn wir Kohlenhydrate essen?
Kielkowski: Die Darmzellen spalten die Kohlenhydrate auf, sodass Einfachzucker wie Glukose, Galaktose und Fruktose ins Blut gelangen. Von dort erreichen sie ihr Zielgewebe: Fruktose und Galaktose hauptsächlich die Leber, wo sie in Glukose und Fett umgewandelt werden. Glukose bleibt im Blut und versorgt die anderen Organe. Nach einer Mahlzeit steigt der Blutzuckerspiegel, woraufhin die Bauchspeicheldrüse Insulin freisetzt. Insulin senkt den Blutzucker, indem es die Glukose in Muskel- und Fettzellen transportiert. Je mehr Insulin im Blut, desto stärker sinkt der Blutzucker und desto mehr Zucker wandelt sich in Fett um.
Bei einem moderaten Anstieg des Blutzuckers steigt auch das Insulin moderat, wodurch weniger Zucker in den Fettspeicher gelangt. Das Gehirn steuert ebenfalls die Insulinproduktion. Bei Stress verbraucht es mehr Zucker und kann dafür sorgen, dass der Zucker aus Schokolade direkt dem Gehirn zur Verfügung steht, anstatt in Muskeln oder Fett zu gelangen. Dann befiehlt das Gehirn der Bauchspeicheldrüse, sich nicht einzumischen. Dies zeigt, wie komplex der Stoffwechsel agiert, und dass die strenge Regulation des Blutzuckers nicht die Wunderwaffe gegen Übergewicht sein muss.
Wie sieht in Ihren Augen der ideale Tagesablauf aus, wenn es ums Essen geht? Und gibt es Zeiten, an denen man lieber keine Kohlenhydrate zu sich nehmen sollte - etwa abends?
Kielkowski: Für einen gesunden Stoffwechsel ohne Übergewicht, der Energiedefizite und Blutzuckerschwankungen perfekt ausgleicht, gibt es keine nachgewiesenen Einschränkungen. In diesem Fall kann man zu jeder Hauptmahlzeit Kohlenhydrate essen. Eine ausgewogene Ernährung spielt eine Schlüsselrolle für die Erhaltung der Gesundheit im Alter und die Langlebigkeit.
Bei Übergewicht muss die Kohlenhydratzufuhr differenziert betrachtet werden, abhängig vom Stoffwechsel und der Fettverbrennung. Manche Menschen benötigen mehr Kohlenhydrate, um den Stoffwechsel in Gang zu bringen, während andere mit weniger auskommen und dadurch die Fettverbrennung anregen. Dies sollte individuell durch Stoffwechselvermessungen ermittelt werden.
Um das Gewicht zu halten und den Stoffwechsel entsprechend dem Tagesverbrauch zu versorgen, gilt oft der Spruch: "Frühstücken wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann." Wir verbrauchen nämlich ab morgens, über den Tag die meiste Energie und abends in der Regel die wenigste. Ausnahmen sind Leistungssportler und Menschen im Schichtdienst.
Deshalb empfehle ich den meisten Menschen: morgens kohlenhydratreich frühstücken, bis spätestens 14 Uhr kohlenhydratreich zu Mittag essen, und dabei Obst, Gemüse und Eiweiß nicht vergessen. Vom Frühstück und Mittagessen zur richtigen Zeit wird man satt, ohne dick zu werden. Abends reicht dann eine leichtere Mahlzeit, was auch zu einem gesunden Schlaf beiträgt. Sich tagsüber satt zu essen, gibt uns abends die Freiheit, qualitativ statt quantitativ zu entscheiden. Wird tagsüber das Essen aus Stress vergessen, kann abends unkontrolliertes Essen folgen, was oft zu Übergewicht führt, obwohl tagsüber wenig gegessen wurde. (ncz/spot) © spot on news
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