• Vor allem Städter kennen dieses Bild: Im Hausflur oder auf der Eingangstreppe türmen sich unerwünschte Bündel von in Folie eingeschweißten Anzeigenprospekten.
  • Laut einer Studie wünschen sich 76 Prozent der Deutschen ein Ende der Wurfsendungen, die oft ohne Einwilligung per Post zugestellt werden.
  • Für die Produktion der Werbung werden jährlich 1,8 Millionen Bäume gefällt - um am Ende meist ungelesen im Müll zu landen.
  • Wir haben mit Sebastian Sielmann, dem Macher der Initiative "Letzte Werbung e.V." gesprochen, warum er sich zum Ziel gesetzt hat, dem aktuellen System der Briefkastenwerbung ein Ende zu setzen.
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Herr Sielmann, was wollen Sie mit Ihrem Verein "Letzte Werbung e.V." erreichen?

Sebastian Sielmann: Das ist im Grunde genommen ganz einfach. Jeder Mensch soll nur Werbung erhalten, wenn er dies wünscht und er seine vorherige Einwilligung gegeben hat. Wir nennen das eine Opt-in-Lösung für Briefkastenwerbung.

Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Ich habe mich selbst über die Massen an Werbung aufgeregt, die ständig in meinem Briefkasten in Berlin gelandet ist. Als ich damals anfing, mich über Möglichkeiten zu informieren, welche Lösungen es gibt, den Einwurf zu stoppen, fand ich nur die bekannten Bitte-keine-Werbung-Aufkleber aus dem Baumarkt. Da diese Bitte aber von den Einwerfern der Deutschen Post immer wieder ignoriert wird und Millionen Deutsche Werbung erhalten, obwohl sie aktiv am Briefkasten widersprechen, suchte ich nach einem anderen Ansatz.

Und was haben Sie gefunden?

Ich bin auf ein Beispiel in den Niederlanden gestoßen. 2018 führte die Stadt Amsterdam als erste Kommune überhaupt eine Opt-in-Lösung ein, der bis heute 30 weitere Städte dort gefolgt sind. Der Schlüssel: Ein Ja-ich-will-Aufkleber. Ich möchte, dass auch deutsche Städte diese Lösung umsetzen.

Ist es nicht gesetzlich verboten, jemandem ohne seine Einwilligung Werbung zuzusenden?

Ja, das ist ja genau der Punkt. Im Internet ist das gang und gäbe. Und eigentlich sind die Bitte-keine-Werbung-Aufkleber auch rechtlich bindend. Die Werbung wird aber trotzdem eingeworfen oder dann eben halt danebengelegt. Das ist also am Ende nur eine unglaubliche Ressourcenverschwendung von Papier und produziert obendrein auch noch Plastikmüll. Ich frage mich, warum wir alles tun, um Plastiktütenmüll im Supermarkt zu verhindern, aber diese in Plastik eingeschweißte Werbung immer noch unreguliert ihren Weg zu uns allen nach Hause findet. Ich finde das absurd und eine riesige Umweltsünde. Die Universität Gießen hat herausgefunden, dass dafür jährlich 1,8 Millionen Bäume gefällt werden müssen. Stellen Sie sich einmal vor, wir könnten das um 50 Prozent reduzieren.

Wer unterstützt Ihre Initiative?

Städte sind auf unserer Seite, weil sie längst das Problem der Müllverschmutzung durch ungenutzte Anzeigenpakete vor den Haustüren ihrer Kommunen erkannt haben. Auch die Verbraucherzentralen, Umweltverbände und natürlich die Bürger selbst sind für die Amsterdamer Lösung.

Bei wem stoßen Ihre Forderungen auf taube Ohren?

Kein Interesse an einem alternativen, auf der Zustimmung der Bürger basierenden Ansatz haben natürlich die großen Unternehmen, die darin werben, wie Discounter, Baumärkte, Großhändler. Und die Deutsche Post, sie macht rund eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr mit Briefkastenwerbung. Und je höher die Druckauflage, umso mehr verdient das Unternehmen damit. Hier wird mit der Bevormundung der Bürger Geld gemacht.

Warum ist es in Deutschland so schwer, einfach das System umzukehren?

Im Grunde ist es ja nicht schwer. Jede Stadt, also jeder Bürgermeister, jeder Stadtrat könnte jederzeit hingehen und in seiner Satzung festlegen, dass es wie in Amsterdam nur noch die Opt-in-Lösung gelten lässt. Ich meine, dieser umgekehrte Ansatz ist so unfassbar einleuchtend, aus dem Grund, weil man ja niemandem etwas wegnimmt. Jeder, der die Werbung erhalten will, könnte sie ja haben. Wie schnell hätten wir dieses Müllproblem gelöst. Besser wäre natürlich noch, der Bundestag würde eine übergreifende Regelung erlassen. Wir wünschen uns, dass hier mal ein Signal gesetzt wird. Es müsste einfach mal jemand machen beziehungsweise beschließen.

Finden Sie es nicht frustrierend, dass Umweltschutz im Vergleich zu wirtschaftlichen Interessen so eine kleine Lobby hat?

Die Lobby wächst und wächst ja, vor allem in der Bevölkerung, und denken Sie an die Initiative "Fridays for Future". Auf der europäischen Ebene haben wir den Green Deal. Deshalb glaube ich, dass unsere Forderung in den Geist der Zeit passt, zumal wir nichts verbieten oder den Bürgern etwas wegnehmen.

Was haben Sie bisher mit Ihrem Verein erreicht?

Was wir gesehen haben, ist, dass der Zuspruch der Menschen unglaublich groß ist. Bis heute kleben bereits über 100.000 unserer kostenlosen Opt-in-Aufkleber an deutschen Briefkästen. Und wir haben auf plastikpost.de mit einer Petition gegen "Einkauf aktuell" schon fast 80.000 Unterschriften von Leuten gesammelt, die Nein zu Werbung dieser Art sagen (Stand: 7. April). Außerdem kann man sich an uns über letzte-werbung.de/melder wenden, wenn man unerwünschte Briefkastenwerbung erhält. Wir helfen dann bei der Abmahnung.

Könnte man für Briefkastenwerbung nicht eine digitale Lösung finden?

Generell ist Papier ein wunderbares Material, ich lese selbst gerne Zeitung und Bücher. Es geht mir um die Verschwendung des Materials. "Einkauf aktuell" ist mittlerweile aus der Zeit gefallen und wir leben in einem Zeitalter der digitalen Werbung, aber ich kann verstehen, dass es zum Beispiel immer noch Familien gibt, die damit ihren Einkauf planen, um Geld zu sparen. Aber das sind eben nur 25 Prozent der Haushalte, nicht 100.

Verwendete Quellen:

  • Yougov.de: Umfrage: Unadressierte Briefwerbung vom 25.02.2019
  • Letzte Werbung e.V.: Der Kreislauf der Werbepost, Juni 2020,

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