In vielen Reitvereinen gehört das Therapeutische Reiten heute dazu. Doch kaum ein Verein lebt den Gedanken, dass Reiter mit und ohne Handicap die schönsten Momente zusammen erleben können, so wie der Reit- und Fahrverein Ankum e.V.. Seit drei Jahren gibt es dort ein Turnier für alle. Und für diese Idee wurde der Verein jetzt ausgezeichnet. pferde.de sprach mit den Verantwortlichen über eine Leidenschaft, die keine Grenzen kennt und das Glück der Gemeinschaft.

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"Auf dem Pferd hat jeder Mensch vier gesunde Beine!" Davon war Pfarrer Johann Gottfried von Dietze, Wegbereiter des Therapeutischen Reitens in Deutschland, überzeugt. Seit 1997 gehört dieser Gedanke auch zum Reit- und Fahrverein Ankum e.V. und wird dort jeden Tag gelebt – auch beim jährlichen Turnier. Denn dann gibt es nicht nur die klassischen Dressur- und Springprüfungen. "Wir bieten dazu spezielle Prüfungen für Reiter und Reiterinnen mit Handicap an", sagt Sarah Kempe, erste Vorsitzende des Vereins.

Dabei ist der Verein auf den ersten Blick ein ganz normaler Reitverein: 270 Mitglieder, 20 Privat-Pferde, dazu acht Schulpferde. Doch schon ein Blick auf die Schulpferde zeigt: Hier wird gerne Ungewöhnliches integriert. Denn neben den "klassischen" Rassen wie Shettys, Isländer- und Norweger-Mix gibt es in Ankum auch ein ungarisches Kaltblut und einen Alt-Oldenburger. "Sie sind wundervolle Lehrmeister", so Kempe. Und die sechsjährige Kaltblutstute Rosi wird eine besonders wichtige Aufgabe übernehmen. "Sie wird momentan behutsam für die Therapie ausgebildet. Die Gewöhnung an den Lift mit den ‚fliegenden‘ Menschen meistert sie schon mit Bravour. Später soll sie vor allem die gewichtigeren Menschen sicher tragen können", sagt die Vereinsvorsitzende.

Menschen mit Handicap wollen ihr Können zeigen

Und natürlich wird Rosi dann auch bei dem ganz besonderen Turnier mit dabei sein. Wer auf die Idee kam? Ganz einfach: Heike Feldmann. Sie ist seit 26 Jahren für das Therapeutische Reiten im Verein verantwortlich. Sie erfährt jeden Tag aufs Neue, wie groß der Bedarf ist. So gibt es in dem Ankumer Verein von Montag bis Samstag am Vormittag Therapeutisches Reiten als Gruppen- und Einzeltherapie. Jede Woche kommen alleine fünf Kindergärten mit Inklusionsgruppen und eine Förderschule mit demnächst acht Klassen zu ihnen. "Und unser weitester Klient fährt wöchentlich 80 Kilometer pro Strecke zu uns, da wir im Umkreis die einzigen sind, die Rollstuhlfahrern eine Reittherapie anbieten können", erklärt Feldmann.

Menschen mit Handicap wollen ihr Können zeigen.
Menschen mit Handicap wollen ihr Können zeigen. © Foto: Reitverein Ankum/Yvonne Voss

Für sie stand auch früh fest: Für Menschen mit Behinderung sind Wettkämpfe und sportliche Leistungen Erlebnisse, die ihnen zeigen, was in ihnen steckt. Und in denen sie über sich hinauswachsen können. Ganz direkt erlebte sie es schon 2008: "Da waren wir zum ersten Mal bei den ‚Special Olympics National Games‘ in Karlsruhe und kamen prompt mit einer Goldmedaille nach Hause", erinnert sich Feldmann. "Unser Highlight waren die ‚World Games in Los Angeles‘ 2015, auch hier war die Glückssträhne auf unserer Seite und wir holten zweimal Gold und einmal Silber."

Verein bietet Turnier mit Extra-Prüfungen

Damals, 2014, wurde der Verein umgebaut – und natürlich alles barrierefrei gestaltet. "Wir haben mittlerweile sogar einen Lift für Rollstuhlfahrer." Die Erlebnisse bei den "Special Olympics" brachte sie auch auf die Idee: Kann der Verein nicht aus seinem alljährlichen Reitturnier einen Wettbewerb für Reiter und Reiterinnen mit und ohne Handicap machen? Das kam an. "Auch der jetzige Vorstand ist von der Idee begeistert und es war klar: Das führen wir weiter", sagt Kempe.

Seit drei Jahren gibt es in Ankum daher neben den Dressur- und Springprüfungen von E bis L auch die Extra-Prüfungen. "Wir haben einen Geschicklichkeits-Parcours, eine Dressurprüfung im Schritt und Trab nach den Vorgaben von ‚Special Olympics‘ und vor allem den Führzügelwettbewerb für Reiter mit Handicap ausgeschrieben", so Kempe." Natürlich finden die Prüfungen alle am Nachmittag statt. "Dann sind die meisten Zuschauer da und können den Kindern zujubeln", so die Vereinsvorsitzende.

Die Kinder wachsen über sich hinaus

Das Programm kommt an: "Natürlich sind viele Starter aus unserem Verein dabei. Aber eine Reiterin kommt sogar aus Coesfeld zu uns, weil es sonst keine Angebote für sie gibt", sagt Kempe. Für die Verantwortlichen sind die beiden Turniertage anstrengend – auch emotional. "Das sind immer sehr berührende Momente", führt Kempe fort. "Die Eltern und Kinder sind sehr dankbar. Für viele ist das der schönste Tag im Jahr."

Die Kinder wachsen dabei über sich hinaus, weiß Kempe: "Wir haben einen Jungen, der beim Therapeutischen Reiten immer ein Kuscheltier am Bauch als Stütze braucht. Bei dem Turnier sagte er dann ‚heute brauche ich das nicht!‘ Und wirklich: Er saß kerzengerade auf dem Pferd, obwohl ihn das seine ganze Kraft kostete, als Rollstuhlkind. Er hat es geschafft und war so stolz auf sich."

Pferde bauen Brücken – Anerkennung für den Verein

Natürlich gibt es am Ende für alle Kinder einen Preis. "Wir haben sehr viel Glück mit unseren Sponsoren. Natürlich brauchen diese Kinder keine Schabracken oder Pferdedecken. Sie bekommen deshalb immer etwas Besonderes, zum Beispiel Etuis und Stifte mit Pferden drauf oder Holzschnitzereien mit Pferden. Und selbstverständlich gibt es, für sie auch immer eine Schleife", sagt die Vorsitzende des inklusiven Vereins.

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Dass dieses Turnier etwas Besonderes ist, das hat der Verein jetzt auch von der "Deutschen Reiterlichen Vereinigung" bestätigt bekommen. Denn der Verein wurde gerade bei dem Förderprojekt "Pferde bauen Brücken" ausgezeichnet. Dazu gab es auch noch den Innovationspreis. Als der Anruf kam, konnte Kempe es erst nicht glauben. "Ich musste es wirklich zweimal hören. Dann hatte ich Tränen in den Augen", sagt sie. Denn es ist die erste offizielle Anerkennung, die der Verein bekommen hat.

Für alle gibt es einen Preis.
Für alle gibt es einen Preis. © Foto: Reitverein Ankum/Yvonne Voss

Die Kinder geben so viel zurück

Für Kempe verbindet sich mit dem Preis auch eine Hoffnung: "Es wäre toll, wenn andere Vereine auch solche Turniere ausrichten würden – und sich beim Therapeutischen Reiten engagieren." Denn auch im Alltag erleben sie immer wieder, wie wichtig die Pferde für Menschen mit Behinderung sind. "Wir hatten ein Mädchen mit Spastiken in der Hand. Dadurch waren ihre Hände immer verkrampft. Als sie das erste Mal auf dem Pferd saß, haben wir ihre Hand auf den Widerrist des Pferdes gelegt. Sie hat die Wärme und den Zauber gespürt – und ihre Hand ging auf…" Oder ein Autist, der nach langer Zeit des regelmäßigen Pferdekontaktes, plötzlich seine Mutter in den Arm nehmen konnte und anfing zu sprechen. Das sind die Momente, die alle nie vergessen. "Wir kriegen von den Kindern noch einmal etwas ganz anderes und Besonderes zurück", sagt Kempe.  © Pferde.de

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