Seit dem 24. Februar 2022 ist in der Ukraine nichts mehr wie es war. Die russischen Truppen hinterlassen nichts als Zerstörung, Tod und verletzte Menschen und Tiere. Dafür, dass letztere eine Chance auf Rettung und ein besseres Leben haben, kämpft die lokale Organisation "Animal Rescue Kharkiv”. Unterstützt wird sie dabei von "Peta Deutschland”. Wir sprachen mit Projektleiterin Sylvie Bunz, was seit dem Kriegsausbruch geschehen ist.
Ein Land, das seit zwei Jahren ums Überleben kämpft: Ukraine. Dicht an der Frontlinie liegt die zweitgrößte Stadt des Landes, Kharkiv. Hier, rund 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, gehören Raketen- und Bodenangriffe seit 730 Tagen zum Alltag. Auch für Igor und sein Team. Der Tierschützer leitet ein Hilfsteam von "Animal Rescue Kharkiv” (ARK). Tausende Tiere konnte die Organisation seit Kriegsbeginn schon retten. Jede gerettete Seele gibt ihnen Hoffnung. Ihr Motto: "May life overcome everything” – "Möge das Leben alles überwinden”.
Mutig und entschlossen trotzen sie den russischen Raketen, riskieren ihr Leben, um das der Fellnasen zu retten. Kharkiv, das ist ihre Heimat. Die 85 Mitarbeitenden weigern sich, sie im Stich zu lassen. Dabei gibt es hier kein Raketenabwehrsysterm. Die Geschosse schlagen in Schulen, Wohn- und Krankenhäuser ein. Trotz der Bedrohung wagen sich die Tierschützenden in enger Absprache mit dem Militär immer wieder in die gefährlichsten Gebiete. Jeden Monat retten sie 200 bis 450 Tiere.
"Peta” und Partner retten 15.000 Tiere seit Kriegsbeginn
Es ist das größte karitative Projekt, das "Peta Deutschland” in den 30 Jahren ihres Bestehens realisiert hat. Innerhalb weniger Stunden nach Beginn des Angriffskrieges im Februar 2022 brach ein Team von "Peta” an die polnisch-ukrainische Grenze auf und brachte zwei Monate lang ukrainische Tiere nach Polen. Seitdem konnte die Tierrechtsorganisation zusammen mit ihren lokalen Partnern rund 15.000 Tiere retten.
60 Prozent davon konnten sie wieder mit ihren Halterinnen und Haltern in ganz Europa vereinen. Ein aufwändiges Verfahren – denn die Ukraine ist ein nicht gelistetes Drittland, für das bestimmte Ein- und Ausreisebestimmungen gelten. Vier Monate pro Tier dauert es, bis ein Tier ausreisen darf.
Das passiert mit den geretteten Tieren
Die Tiere bereitet "Animal Rescue Kharkiv” nach allen EU-Regularien für die Ausreise vor. Davor werden die Tiere noch medizinisch versorgt, geimpft und aufgepäppelt. Sie verbringen die rechtlich vorgeschriebene Quarantäne im Projekt. Wenn alle notwendigen Papiere und der Bluttitertest auf Tollwut vorliegen, dann dürfen sie in ein neues Leben ausreisen. Die anderen 40 Prozent werden über Partnertierheime in Europa in neue Familien vermittelt.
Da sich der Tag des Kriegsausbruchs nun zum zweiten mal jährt, hat DeineTierwelt erneut mit Sylvie Bunz gesprochen. Sie ist Projektleiterin von "Peta Helps Ukraine” und Fachleituerin Special Projects, Senior von "Peta Deutschland”. Bereits im vergangenen Juli berichtetet sie uns in unserem Podcast "Tierschutz-Update" über die Hilfe nach dem Kachowka-Staudammbruch.
Darin berichtete Bunz von einem älteren Herrn, der trotz einer Beinverletzung bei seinen Tieren auf seinem Lebenshof an der Front in der Kleinstadt Avdiivka in der Oblast Donezk ausharren wollte. Es stand nicht gut um ihn, immer wieder wurde sein Hof attackiert. "ARK” versorgte ihn und seine Tiere regelmäßig mit Nahrung und Medikamenten. Doch er wollte bei seinen Tieren in seiner Heimat bleiben. Inzwischen gibt es gute Nachrichten, so Bunz: Der Mann namens Ruslan nahm das Hilfsangebot doch an und ließ sich von den Tierschützenden evakuieren. Er konnte nicht mehr, sein Hof war zusammengestürzt, einige Pferde wurden bei Angriffen getötet.
Gefährliche Rettungsaktion von 184 Tieren direkt an der Front
Es war keine einfache Rettungsaktion, denn sein Hof befand sich in einer gefährlichen Gegend, die unmittelbar von aktiven Kämpfen betroffen ist. Um von den russischen Kampfdrohen unentdeckt zu bleiben, plante "ARK” den ersten Rettungseinsatz bei Nebel. Doch als der sich plötzlich legte, schoss die russische Drohne auf sie. Die Helfenden konnten sich in letzter Sekunden hinter einem Graben verstecken. Doch der erste Rettungsversuch war damit zu Ende. Die Schüsse trafen den Pferdetransporter, der in Flammen aufging. Mit einem anderen Transporter konnten allerdings bereits einige kleinere Tiere gerettet werden.
Trotzdem gab "Animal Rescue Kharkiv” nicht auf. Mehr Glück hatten die Tierschützenden bei ihrem zweiten Einsatz – endlich konnten sie Ruslan und seine überlebenden 184 Tiere in Sicherheit nach Kharkiv bringen. Dort haben sie Ställe angemietet und konnten die Tiere in Ruhe versorgen, waschen und kastrieren.
Die "Peta"-Projektleiterin betont: "Nicht jede Sekunde des Videos sieht ‚schön oder gut‘ aus – es ist eine Notlage, es muss schnell gehen – die Tiere haben früher besser gelebt, er hat dort ausgeharrt, solange er konnte – nun sind natürlich die Schafe dreckig, schlammig, standen im Kot". Nach ihrer Rettung sehen sie aus "wie neu", sagt Bunz. "Er liebt seine Tiere."
Wie Ruslan gehe es in den zuvor schon armen und nun komplett zerstörten Dörfern vielen alten Menschen, erklärt Bunz. "Dort lebt eine Handvoll Leute, wo vorher Tausende wohnten", sagt sie. Auch "ARK" betonen in ihren Videos: Ohne die mutigen Menschen, die dort ausharren, würden die Tiere nicht überleben.
1.500 Tonnen Tierfutter geliefert
Viele junge Menschen seien geflohen, aber die Älteren seien die anstrengende Flucht meist nicht angetreten. Viel zu sehr hängen sie an ihrem Land. Nochmal komplett von vorne anfangen in einem fremden Land – für viele undenkbar. Bunz weiß von einer alten Dame, die auch jetzt im Winter im Keller ihres zerbombten Hauses ohne Strom und fließendes Wasser zusammen mit 50 Katzen lebt. Ihren Eingang hat sie mit Sperrholz versperrt. Die Tierschützer bringen ihr Nahrung und Katzenfutter.
Insgesamt 1.500 Tonnen vegane Tiernahrung hat "Peta” bereits geliefert. Zudem kaufte die Organisation vor Ort 150 Tonnen Nahrung für Pferde. "Animal Rescue Kharkiv” kämpft auch seit 730 Tagen unermüdlich um jedes Leben. So berichtet Bunz zum Beispiel von einem jungen Tierschützer, der ebenfalls Ruslan heißt. Fünf Kilometer sei er zu Fuß gejoggt, um in einem verlassenen Dorf Katzen zu retten. Denn die Fahrzeuge konnten auf den kaputten Straßen nicht weiter vordringen.
1.300 sichere Plätze für Tiere in Not
Innerhalb von zwei Jahren konnte "Peta Deutschland” seinen Partnern dabei helfen, 1.300 sichere Plätze für Tiere in Not zu schaffen; darunter circa 600 Hunde, 400 Katzen sowie Pferde, Schafe, Ziegen, Hühner, Tauben, Gänse, Enten, Schwäne und Fische. Das 300 Quadratmeter große Katzenhaus etwa sei liebevoll eingerichtet und erfülle hohe Hygienestandards, so Bunz.
Unter den Hunden seien viele, teils verwaiste Welpen, die erst noch sozialisiert werden müssen. Einige ukrainische Freiwillige bereiten die kleinen Fellnasen auf das Leben vor. Sie üben mit ihnen, an der Leine zu laufen, im Auto mitzufahren und sich an Kinder zu gewöhnen.
Erst vor Kurzem konnte "ARK” drei verletzte und auf einem eisigen See eingefrorene Schwäne retten. Den Tierschützern sei es von Anfang an wichtig gewesen, ihre Heimat nicht im Stich zu lassen und dort eine Hilfsstruktur aufzubauen, sagt Bunz. Bereits seit zehn Jahren vor Kriegsausbruch arbeiteten beide Organisationen Hand in Hand. Durch den Krieg sei man noch mehr zusammengewachsen. So stünde "Peta” neben finanzieller Hilfe auch strategisch beratend zur Seite.
Eine weitere wichtige Säule ist die Tierklinik in Kharkiv. Dort versorgt ein finnischer Tierarzt zusammen mit drei anderen Veterinären und medizinischen Mitarbeitenden täglich 130 Tiere. Der Finne ist Spezialist für Knochenbrüche, die beispielsweise durch Schrapnelle und zusammengestürzte Gebäude entstanden sind. Zwei OP-Räume gibt es in der Klinik.
Kastrationsprojekt und Tierklinik aufgebaut
In einer anderen Location werden 150 Tiere pro Monat kastriert. Auch private Halterinnen und Halter kommen hierher, um ihre Tiere kastrieren zu lassen, so die "Peta”-Projektleiterin. Das sei wichtig, damit nicht noch mehr Tiere in diese Notlage hineingeboren werden.
Trotz der allgemein schwierigen Weltlage dürfe der Ukrainekrieg nicht in Vergessenheit geraten, sagt Bunz. "Wir machen weiter", verspricht sie. Das Ziel der Organisation sei es, zusammen mit den lokalen Partnern langfristig wirkende Strukturen aufzubauen, was in den zwei Jahren gelungen sei. Für viele Menschen, die durch den Krieg ihre alten Jobs verloren haben, schafft das Projekt auch eine Einkommensquelle. Das alte Kernteam aus zehn bis 15 "ARK"-Rettern sei inzwischen auf 85 Mitarbeitende angewachsen, darunter viele Freiwillige. Finanziert wird das Projekt durch "Petas Global Compassion Fund”. © Deine Tierwelt
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