In Hamburgs Süden liegt ein ganz besonderer Ponyhof: Hier ist jedes Kind willkommen – egal, ob arm, reich, mit oder ohne Handicap. pferde.de besuchte das Paradies für Pferdekids.
Wer zum Ponyhof-Paradies will, muss sich auskennen. Hier gibt es keine Schilder, die den Weg weisen. Nur wer genau hinsieht, entdeckt ihn: Den kleinen Waldweg, der plötzlich von der viel befahrenen Bundesstraße in Hamburgs Süden abgeht. Kaum abgebogen heißt es: Stopp, Wagen stehen lassen. Wer zu den Ponys möchte, muss sich Zeit nehmen – und laufen. So lernen Besucher, ganz unbewusst, schon die erste Ponyhof-Lektion: Hier gibt es kein höher, schneller, weiter. Hier zählt nur der Moment, den man miteinander verbringt. Und der ist etwas ganz Besonderes.
"Bei uns ist jedes Kind willkommen. Wirklich jedes", erklärt Katja Stoffregen (55) das Konzept des Ponyhofs. Egal, ob arm, reich, mutig, ängstlich, groß, klein, mit oder ohne Handicap – auf dem Ponyhof Meyers Park findet jeder sein Zuhause. Denn genau das will der Ponyhof sein: Eine Heimat für Kids, die Ponys lieben. Und die mehr wollen als reiten. "Bei uns lernen sie natürlich reiten. Vor allem aber lernen sie den Umgang mit dem Partner Pferd", so Katja Stoffregen.
Auf dem Ponyhof lernen die Kleinen von den Großen
Sie engagiert sich seit 12 Jahren ehrenamtlich für den Verein. Wie sie zum Ponyhof kam? "Durch meine jüngste Tochter. Sie war sechs Jahre alt, wollte reiten lernen." Damals hatte gerade Heike Kühne den Verein übernommen. "Und der war zu der Zeit ziemlich runtergekommen – und hatte einen schlechten Ruf." Doch davon ließ sich Heike Kühne nicht abschrecken. Sie hatte eine Idee und vor allem hatte sie Leidenschaft. Die steckte auch Katja Stoffregen an. "Zuerst habe ich nur mitgeholfen, dann bin ich ziemlich schnell mit eingestiegen."
Seitdem hat sich viel geändert. In tausenden Stunden und mit viel Hilfe von begeisterten Eltern haben sie das Gelände aufgeräumt, einen Offenstall mit mehreren Weiden angelegt – und so einen Platz geschaffen, der allen Kindern gefällt. Und ihnen etwas bietet, dass heute selten geworden ist: Einen Raum, an dem sie angenommen werden – wie sie sind. Und der ihnen Geborgenheit gibt. "Hier ist mein safe place, mein sicherer Ort", erklärt zum Beispiel Jule. Sie kam mit drei Jahren hierher. Heute ist sie die älteste Reitschülerin und gibt mittlerweile auch den Kleinen Unterricht. Denn auch das gehört hier zum Konzept: Die Kleinen lernen von den Großen.
Barrieren gibt es nicht – für niemanden
"Wir wollen ein Miteinander", sagt Katja Stoffregen. "Bei uns gibt kein Pferdemädchen-Gezicke." Und auch keinen Luxus. Es gibt keine Halle, hier wird bei Wind und Wetter auf dem Außenplatz geritten. Lediglich eine kleine Holzhütte schützt bei Regen. Es gibt keine Heizung, keine Kaffeemaschine und als Toilette dient ein Dixi-Klo. "Aber da können auch Kinder mit einem Rollstuhl rein", so Katja Stoffregen. Denn Barrieren gibt es hier nicht. Für niemanden.
Das Konzept kommt an. 150 Kinder sind aktuell Mitglieder. Sie zahlen 60 Euro im Monat, dafür dürfen sie einmal die Woche reiten – und ansonsten kommen, wann immer sie wollen. Das nutzen die Kinder. "Sie wohnen hier", sagt Katja Stoffregen lachend. Und packen immer mit an. Denn zu tun gibt es auf dem Hof immer etwas. Die Weiden müssen abgeäppelt werden, die Pferde gefüttert und geputzt werden. 19 Ponys gehören aktuell zur tierischen Ponyhof-Bande, vom Mini-Shetty über Norweger und Haflinger bis zum Tinker ist alles dabei. Sie leben im Offenstall in kleinen Herden – "so, wie es gut für sie ist."
Pferde sind keine Fahrräder, sie sind Partner
Besonders geliebt werden die Mini-Shettys, die auch für die Kleinsten da sind. Denn bereits mit 3,5 Jahren können Kinder zum Ponyhof kommen. "Für sie haben wir unseren Erstes Wissen-Kurse", so Katja Stoffregen. Hier lernen die Kinder den Umgang mit Pferden: Ponys putzen, führen und natürlich aufräumen. Mit sechs bis acht Jahren können die Kids dann in die Ponyvorschule. Auch hier wird vor allem Wissen rund ums Pferd vermittelt, dazu dürfen die Kleinen auch schon aufs Pferd. "Sie werden dabei geführt". Mit acht Jahren beginnt dann der Reitunterricht. "Zuerst kommen die Kinder an die Longe, dann in die Reitgruppe."
Auch da gilt immer: Die Pferde kommen zuerst. "Wir achten genau darauf, dass es ihnen gut geht. Das wollen wir auch vermitteln: Pferde sind keine Fahrräder. Es sind unsere Partner." Und um die muss sich jedes Kind entsprechend kümmern. Wer kommt, holt sein Pony von der Weide, putzt, sattelt und trenst es. Bevor aufgestiegen wird, geht die Gruppe eine Runde – zum ersten Warmwerden. "Und auch nach der Stunde müssen die Kinder sich um ihre Ponys kümmern. Hier geht niemand, bevor sein Pony wieder auf dem Paddock bei seinen tierischen Kumpeln steht."
Mit Gebiss reiten? Nur für Fortgeschrittene
Dazu wird genau Buch geführt, welches Pony was gemacht hat. "Höchstens zwei Stunden am Tag sollen sie arbeiten. Und dann auch unterschiedliche Sachen." Also wer eine Ponyrunde hinter sich hat, kann noch eine Gruppenstunde gehen oder bei einem Ausritt dabei sein – dann ist Feierabend. Geöffnet ist der Ponyhof in der Woche ab 15 Uhr, am Samstag ab 11 Uhr und am Sonntag ab 12 Uhr. Nur Donnerstag ist Ruhetag. "Die Ponys brauchen auch mal Zeit nur für sich, ohne den normalen Trubel." Und wenn ein Pony mal eine Auszeit braucht? "Dann geht es mit einem tierischen Freund für ein paar Wochen auf die Weide."
Und auch beim Reit-Unterricht wird auf die Ponys geachtet. Die Kleinen reiten mit Kappzaum, ohne Gebiss. "Erst wer frei von der Hand reiten kann, darf eine Trense nehmen." Fortgeschrittene Reiter dürfen auch mal eine Gerte in der Hand halten, Sporen gibt es hier nicht. "Aber auch die Gerte ist nur ein Hilfsmittel. Damit darf kein Pony geschlagen werden. Denn bei uns gilt: Miteinander, nicht gegeneinander. Bei uns sollen die Kinder lernen, wie sie das Pony als Partner auf ihre Seite bekommen – ohne Druck."
Auch taube Kinder sind auf dem Ponyhof willkommen
Dafür sind die Ponys nicht nur tolle Freunde auf vier Hufen, sondern auch tierisch gute Therapeuten, wenn zweimal die Woche am Vormittag die Kinder der Schule Elfenwiese zum therapeutischen Reiten kommen. Die Kids haben Beeinträchtigungen, Gendefekte, Autismus, Verhaltensauffälligkeiten und Zelebralparesen. Auf den Ponys werden sie gefördert, bekommen neue Kräfte – und finden ihr Lachen wieder.
Auch am Nachmittag finden Kinder mit Handicap ihren Platz. "Wir gucken, ob sie in eine Gruppe passen. Ansonsten bekommen sie ganz individuelle Angebote." Auch taube Kinder bekommen hier Reitunterricht. Die Idee entstand durch eine Anfrage. "Wir haben damals ein bisschen naiv ja gesagt", erinnert sich Katja Stoffregen. "Doch dann haben wir gemerkt: Ganz so leicht ist es nicht. Natürlich konnten wir sofort viel zeigen und mit den Händen erklären. Aber schnell war klar: Das reicht nicht. Die Kinder wollen auch mit uns reden."
Ihr Motto: Wir lassen niemanden im Stich!
Und so lernte Katja Stoffregen die ersten Gebärden, heute studiert sie Gebärdensprache. Und steht immer mit auf dem Reitplatz. "Die Reitlehrerin macht den Unterricht, ich ‚übersetze‘ es dann in Gebärdensprache." Für sie heißt das: viel bewegen. "Ich versuche immer vor dem Pony zu sein, damit die Reitschüler mich sehen können." Und Kreativität gehört dazu. "Es gibt einige Gebärden, die ich nutzen kann – zum Beispiel für Trense oder Sattel." Doch schon beim "Umsitzen" ist Schluss. "Dazu kommt: Die Reitkommandos sind kurz. Da sollten auch die Gebärden kurz sein." Die Lösung: "Wir sprechen vorher alles ab und verabreden dann, welche Gebärde welches Kommando bedeutet."
Auch für Gäste hat der Ponyhof ein Angebot, zum Beispiel können Kindergeburtstage hier gefeiert werden. Das hat auch finanzielle Gründe, denn: "Durch die Mitgliedsbeiträge können wir den Betrieb finanzieren. Aber für alles andere, wie zum Beispiel Reparaturen, brauchen wir Spenden und Sponsoren", so Katja Stoffregen. Das Geld nutzt das Team auch für Kinder, deren Eltern sich die Mitgliedschaft nicht leisten können. "Wir lassen niemanden im Stich", sagt Katja Stoffregen. "Bei uns ist das Leben eben wirklich ein Ponyhof – für alle Kinder!" © Pferde.de
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