Sie nehmen traumatisierte, vernachlässigte und auch misshandelte Pferde auf – der Klepperstall, ein Tierheim für Pferde. Ihre Aufgabe: Sie wollen die Tiere wieder zurück ins Leben holen. pferde.de sprach mit Kassenwartin Bettina Kossmann über das Glück, dass Pläne manchmal über den Haufen geworfen werden und die Hoffnung, die jedes Pferd mitbringt.
Tiere? Gehörten immer zu Familie Kossmann. Aber Pferde? "Gab es bei uns früher nicht", sagt Bettina Kossmann lachend. Trotzdem sei die heute 55-Jährige nicht erstaunt gewesen, also sie feststellte: Ihre Tochter Nina Aschoff ist ein echtes Pferde-Mädchen. "Sie kam an keinem Pferd vorbei. Das muss sie von ihrem Großvater und Urgroßvater haben. Beide hatten die Liebe zu Pferden im Blut."
So war es keine Überraschung, dass Aschoff einen Pensionsstall für Pferde aufmachen wollte. Ein Bauernhof war schnell gefunden, die Umbauarbeiten liefen auf Hochtouren – da schlug der Zufall zu. "Wir erfuhren von Ronja und ihrem Fohlen Maja, zwei Shetlandponys. Die beiden waren in einem Schulbetrieb und sollten weg. Sie waren praktisch schon auf dem Weg zum Schlachter. Sofort stand fest: Wir retten sie."
Dann kam Candy, ein Turnierpferd. "Sie hatte einen Sehnenschaden, sollte deshalb zum Schlachter." Stattdessen kam sie zu Aschoff und warf damit ihre Pläne vom eigenen Pensionsstall über den Haufen. Stattdessen sollte es ein Pferdeschutzhof werden. So gründet sie 2015 mit Freunden, Bekannten und Familie den gemeinnützigen Verein "Klepperstall .e.V." Ihr Ziel: "Wir versuchen, die Tiere wieder zurück ins Leben zu holen", so Aschoff (34).
Der Klepperstall platzt aus allen Nähten
Bei einigen Pferden geht das relativ schnell. Bei anderen muss das Team kämpfen – wie bei Aicha. Ein Jugendlicher hatte die Stute für 400 Euro im Internet gekauft. Nachdem sie stark abgemagert war und kaum noch laufen konnte, wusste er: Sie braucht professionelle Hilfe – und zwar schnell. Er alarmierte das Klepperstall-Team, das Aicha sofort abholte und selbst erst einmal geschockt war. Denn die Stute war in einem schrecklichen Zustand, wog gerade mal 340 Kilo. Dazu lahmte sie – und bekam dann auch noch eine Kolik. "Wir haben sie mit viel Liebe wieder aufgepäppelt", so Kossmann. Aisha lebte noch einige Jahre auf dem Pferdeschutzhof, bis sie im vergangenen Jahr starb.
Dabei ist es eher die Ausnahme, wenn die Pferde bei ihnen bleiben. Denn: "Wir sind ein Tierheim für Pferde", so Kossmann. "Das heißt: Wir versuchen unsere Pferde in ein neues, passendes Zuhause zu vermitteln." Das ist gerade jetzt nicht leicht. Im Gegenteil: "Wir bekommen ständig Anfragen, ob wir nicht noch ein Pferd aufnehmen können", führt die Kassenwartin fort. Dabei platzt der Klepperstall schon aus allen Nähten: 30 Pferde leben auf dem Hof auf einem Paddock-Trail, weitere 20 Pferde sind auf Pflegestellen untergebracht.
Kurz vor Weihnachten kamen sieben Shettys
"So schlimm wie jetzt war es noch nie", sagt Kossmann. Die wirtschaftliche Krise ist längst bei den Pferden angekommen. "Es gibt wahnsinnig viele Menschen, die finanziell einfach nicht mehr können." Sogar andere Vereine stehen vor dem Aus, geben ihre Pferde an den Klepperstall. "Kurz vor Weihnachten haben wir sieben Shettys von einem Verein übernommen."
Damit mussten nicht nur über Nacht sieben Minis zusätzlich gefüttert werden. Unter den Kleinen war auch Nico. "Ihm ging es sehr schlecht, er war dünn. Und er hatte ein fehlgebildetes Auge, aus dem ständig Eiter lief", sagt Kossmann. Ein Geburtsfehler, wie das Team erfährt. "Er kam erst einmal in die Klinik. Dort wurde ihm das Auge entfernt", Kossmann weiter. Die richtige Entscheidung, das beweist ihnen Nico seitdem jeden Tag: "Er ist so ein fröhlicher Kerl geworden!"
Für alte Pferde ist ein Umzug oft ein Schock
Gerade kamen auch Beauty (32) und Felix (28) auf ihren Hof. "Ihre Besitzerin ist verstorben. Für die Pferde war das auch ein Schock. Sie haben ihr Leben mit ihr verbracht", erzählt Kossmann. Während Felix den Umzug schnell verkraftet hat, litt Beauty sehr. "Sie hat nicht mehr gefressen, wir haben uns große Sorgen um sie gemacht." Mittlerweile geht es ihr besser. Aber so ein neues Leben kann auch mal nicht funktionieren, das weiß Kossmann. "Es gibt den Spruch ‚einen alten Baum verpflanzt man nicht‘. Das gilt auch für Pferde. Sie geben sich dann auf…"
Auch wenn der Klepperstall für viele Pferde die letzte Chance ist – der Start ist oft nicht leicht. Denn: Die Pferde haben meist einiges mitgemacht. Und sie wissen nicht, dass sie jetzt ein liebevolles und fürsorgliches Zuhause haben. "Viele Pferde haben erst einmal eine Kolik", so Kossmann. Dazu kommen oft andere Krankheiten. "Wir haben eine Quarantänestation, wo die Neuen erst einmal ankommen können."
Klepperstall bekommt Überraschungen auf vier Hufen
Mittlerweile hat der Verein mehrere hundert Pferde gerettet. Dabei hat jedes Pferd seine ganz eigene Geschichte im Gepäck dabei. Und jedes Pferd bringt Hoffnung mit – auf eine Zukunft voller Liebe und Vertrauen. Beim Klepperstall finden sie das. Für das Team bedeutet das nicht nur viel Arbeit, sondern auch viele Sorgen. "Wir sind zwar ein Tierheim, aber wir bekommen keine öffentlichen Gelder, keine finanzielle Unterstützung von Stadt und Kreis", so Kossmann. Der Grund ist simpel: Städte und Gemeinde zahlen Tierheimen Geld, weil sie Fundtiere aufnehmen. Pferde sind jedoch keine Fundtiere. "Wir leben ausschließlich von Spenden und Mitgliedsbeiträgen."
Viele Pferde sind auch echte "Überraschungen" auf vier Hufen: "Wir kriegen oft Pferde, die angeblich kerngesund und unkompliziert sind", sagt Kossmann. Deshalb guckt sich das Team jedes Pferd ganz genau an. "Wir wollen so viel wie möglich wissen: Welche Eigenheiten hat es, welche gesundheitlichen Probleme gibt es." Denn sie wollen den neuen Besitzern so gut es geht eine "Gebrauchsanweisung" mitgeben: "Wir sind da immer ganz ehrlich. Egal, ob es Probleme beim Schmied, beim Führen oder die Angst vorm Traktor ist – wir erzählen alles, was wir wissen", sagt die 55-Jährige.
Die Pferde haben den Menschen so viel geschenkt…
Diese Transparenz würden sie sich auch von den Besitzern wünschen, die ihre Pferde zum Klepperstall bringen. "Uns werden da schon Krankheiten verschwiegen", sagt Kossmann. Was sie besonders ärgere: "Da stehen Menschen weinend vor uns, weil sie sich ihr Pferd nicht mehr leisten können. Sie haben nicht einmal ein paar Euro für unseren Verein. Und dann hören wir, dass sie einen Tag später ein neues Pferd im Stall hatten." Kossmann schüttelt den Kopf. "Das kann ich einfach nicht verstehen. Pferde werden älter und können irgendwann nicht mehr so wie früher. Aber sie haben ihren Menschen so viel geschenkt. Das vergessen manche…"
Deshalb achte das Team ganz genau darauf, dass ihre Pferde in gute Hände kommen. "Wir gucken, ob das Pferd und der neue Besitzer wirklich zusammenpassen." Denn eins sollen die Pferde nicht werden: ein Wanderpokal auf vier Hufen. Daher gibt es auch Pferde, die bei ihnen bleiben – wie Ronja und Maya, mit denen alles begann. "Sie haben bei uns ihr Zuhause für immer gefunden. Sie haben es verdient, dass wir bei ihnen bleiben." © Pferde.de
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