Tierschützer kämpfen schon lange gegen die grausame Praxis auf den sogenannten "Blutfarmen". Jetzt gibt es einen ersten großen Erfolg: Island wurde nachdrücklich ermahnt, die geltenden Tierschutzbestimmungen einzuhalten. Trotzdem müssen die Stuten weiterleiden…
Das Schreiben ist 32 Seiten lang – und hat es in sich. Empfänger: das Landwirtschaftsministerium in Island. Absender: die "ESA", die Überwachungsbehörde der "Europäischen Freihandelsassoziation". Der Vorwurf: Auf Island werden Tiere gequält. Gemeint sind die sogenannten "Blutfarmen", auf denen Stuten leiden – für den Profit.
Das Leid der Stuten begann in Uruguay und Argentinien. Dort wurden schon vor Jahren zehntausende tragende Stuten systematisch für ihr Blut gequält. Der Grund: Das Blut der tragenden Stuten enthält das Hormon Pregnant Mare Serum Gonadotropin, kurz PMSG. Pharmafirmen produzieren daraus Hormonprodukte, die zum Beispiel die Schweinezüchter einsetzen.
Denn: Mit PMSG kann die Ferkelproduktion perfekt geplant werden. Durch das Hormon werden Muttersauen gleichzeitig brünstig, die Geburten laufen auf wenige Stunden genau synchron ab – und entsprechend können die Schweine auch alle gleichzeitig zum Schweinemäster. So bleiben die Kosten niedrig. Der Effekt: Das Schweinefleisch kann billig angeboten werden.
Kurzer Sieg – dann ging das Leid in Island weiter
Den Preis zahlen die Tiere. Die Schweine – und eben auch die Stuten. Denn auch das Blut-Geschäft soll vor allem eins sein: profitabel. In Südamerika wurde den Stuten bis zu zehn Liter Blut abgenommen. Immer wieder starben Stuten. Als Tierschützer das Leid aufdeckten, schien es mit dem Geschäft vorbei. "Vier von fünf europäischen Pharmafirmen haben danach den Import aus Argentinien und Uruguay gestoppt", sagt Sabrina Gurtner, Projektleiterin bei der "Animal Welfare Foundation".
Doch die Freude war nur kurz. Denn es gab schnell neue Lieferanten. "Seitdem beziehen die Firmen PMSG aus Europa. Der wichtigste europäische Produzent des Hormons ist das isländische Pharmaunternehmen ‚Isteka ehf‘", so Gurtner. Und das steht ganz offen zu dem Blut-Business. In einem Imagefilm werden die Stuten liebevoll gestreichelt, die Atmosphäre ist entspannt, alle wirken sehr kompetent.
Stuten werden mit Gewalt in Boxen fixiert
Davon ließen sich die Tierschützer nicht blenden, recherchierten vor Ort. Das Ergebnis: In nur zehn Tagen fanden die Tierschützer auf Island 40 Blutfarmen. Insgesamt sind ihnen dort aktuell 119 Blutfarmen bekannt, auf denen 5.386 Blutstuten "genutzt" werden. Und die Stuten werden nicht gestreichelt. "Um den halbwilden Stuten Blut abnehmen zu können, werden sie mit Gewalt in primitiven Holzboxen fixiert. Das löst bei Fluchttieren Panik aus. Sie wollen der Zwangssituation entkommen und schlagen mit Kopf und Beinen wild um sich. Die Fixierboxen werden so zur Verletzungsfalle", so Gurtner. Kurz: Die Blutfarmen sind ein grausames Geschäft mit Islandpferden.
Nachdem die Praktiken aufgeflogen waren, war der Aufschrei groß – auch auf Island. Doch das reichte den Tierschützern nicht. Zusammen mit 14 weiteren Organisationen legte die "Animal Welfare Foundation" Beschwerde bei der zuständigen Überwachungsbehörde der "Europäischen Freihandelsassoziation" (EFTA) ein. Denn: Rechtlich gesehen werden Blutentnahmen zur Herstellung von Arzneimitteln als Tierversuche eingestuft. Islands Rechtsvorschriften zum Schutz von Tieren, die für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, unterliegen damit der Richtlinie 2010/63/EU.
Der Schweizer Verband will auf das Hormon verzichten
Für Tierversuche gilt das sogenannte 3R-Prinzip. Es legt fest, "dass Tierversuche, wann immer möglich, durch alternative, tierfreie Methoden zu ersetzen sind", erklärt Dr. Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim "Deutschen Tierschutzbund". Und im Fall von PMSG gibt es diese Alternativen. Allein für den deutschen Markt nennt die deutsche Bundesregierung 36 synthetische Alternativprodukte.
Eine höhere Fruchtbarkeit lässt sich auch durch artgerechtere Haltung und hormonfreie Methoden erzielen, wie sie in der ökologischen Landwirtschaft angewandt werden. "Nach der Veröffentlichung der Recherchen in Island hat der Verband der Schweizer Schweinezüchter erklärt, dass er freiwillig auf den Einsatz von PMSG verzichten wird. Damit bestätigt er, dass ein Umstieg möglich ist. Andere Länder werden dem Beispiel folgen, was erste Reaktionen aus den Niederlanden, Dänemark, Polen und Österreich zeigen", so Gurtner.
Als Mitglied der "EFTA" muss Island die Vorschriften des "Europäischer Wirtschaftsraums" (EWR) befolgen. Deshalb wurde die "EFTA"-Überwachungsbehörde "ESA" aktiv. Im April 2022 bat sie die isländische Regierung um eine Stellungnahme. Die reagierte – und erließ einfach eine neue Verordnung. Geändert hat sich dadurch nichts. "Diese Verordnung legalisiert lediglich die bisherige Praxis, für die betroffenen Stuten hat sich nichts verändert", so Gurtner. "Die entnommene Blutmenge wurde nicht reduziert, weiterhin werden halbwilde Pferde eingesetzt und dieselben heruntergekommenen Blutentnahmeboxen verwendet", die Tierschützerin weiter.
Island hat gegen seine Verpflichtungen verstoßen
Das reicht der "ESA" nicht. Die Folge: Sie mahnte Island jetzt an – auf 32 Seiten. Und darin zieht die "ESA" ein vernichtendes Fazit: "Dementsprechend muss die Behörde nach derzeitigem Stand der Informationen zu dem Schluss kommen, dass Island dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat (…) Außerdem habe die isländische Regierung durch den Erlass der Verordnung Nr. 900/2022 und dadurch, dass sie die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2010/63 nicht sichergestellt habe, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 3 des EWR-Abkommens verstoßen."
Jetzt hat Island zwei Monate Zeit, auf die Kritik der "ESA" zu reagieren. Diese behält sich ausdrücklich vor, bei nicht zufriedenstellender Antwort auch rechtliche Schritte gegen Island einzuleiten. "2025 will die isländische Regierung über die Fortführung des Blutgeschäfts auf der Insel entscheiden. Wir gehen davon aus, dass sie das Vertragsverletzungsverfahren bis dahin in die Länge ziehen wird. Dann könnte die isländische Regierung entweder behaupten, sie hätte das Ende souverän beschlossen und nicht dem Druck der ‚ESA‘ nachgegeben. Oder sie hofft, dass die Empörung in der Bevölkerung und der Druck der ‚ESA‘ im Sande verläuft," erklärt Gurtner.
Deshalb, so Gurtner, sei es wichtig, auch in den kommenden beiden Jahren den Druck auf die isländische Regierung und die EU hochzuhalten. Nur dann könne wirklich ein Verbot für die Produktion, den Import und die Anwendung von PMSG erreicht werden. © Pferde.de
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