• Sie leben nur im Hier und Jetzt? Sie haben kein Zeitgefühl? Von wegen.
  • Hunde wissen ganz genau, was die Stunde geschlagen hat – dank ihrer fantastischen Nase.

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Die sagenumwobene Hundenase ist immer wieder aufs Neue ein Faszinosum. Sie kann unterschiedlichste Geruchsspuren erschnüffeln. Etwa Krebszellen in einem menschlichen Körper, wahrgenommen in der Atemluft des Erkrankten. Winzigste Spuren von Sprengstoff in einer Fracht. Den spezifischen Geruch von Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind. Oder Schwertwal-Kot in den Wellen, eine Seemeile weit entfernt. Und mehr noch: Hunde riechen die Zeit.

Duftmoleküle durchziehen die Räume, in denen wir uns aufhalten. Darin enthalten ist unser eigener Geruch und auch das, was wir von draußen hereingetragen haben. Mit der Zeit schwächen sich diese Aromen ab. Es gibt also eine Veränderung von Geruchsspuren in einem Raum, abhängig vom Tagesverlauf, und das ist das, was Hunde wahrnehmen können.

Wie riecht ein Morgen?

Geht ein Hundehalter morgens aus dem Haus und kommt regelmäßig zu einer festen Uhrzeit zurück, kann der Hund das Verblassen der menschlichen Duftnote mitverfolgen. An einem bestimmten Grad der verbliebenen Intensität erkennt er, wann es Zeit für die Rückkehr seines Menschen ist. Er riecht also buchstäblich das Vergehen der Zeit.

Er nimmt wahr, wie die steigende Tagestemperatur einen Raum erwärmt und sich dadurch die Geruchsmoleküle verändern. Ein früher Morgen riecht anders als die Mittagsstunde. Das heißt, er weiß auch, wie lange er auf seinen Menschen wartet. Hunde leben offenbar nicht im "Hier und Jetzt", wie es so oft heißt, weil es dann leichter fällt, sie stundenlang allein zu lassen.

Auch draußen, wenn sie unterwegs sind, riechen sie Vergangenheit und Gegenwart dicht nebeneinander. Eine Duftspur, die der Nachbarsdackel gerade erst gezogen hat, steigt ihnen intensiver in die Nase als eine andere, die schon ein paar Stunden alt ist. Ihre Nasenlöcher arbeiten unabhängig voneinander, was ihnen dabei hilft, die Quelle einer Geruchsspur auszumachen.

Der Duft der Vergangenheit

Die US-amerikanische Hundeforscherin Horowitz beschreibt in ihrem Buch "Being a dog", wie Bloodhounds, eine Rasse mit fantastischem Riechvermögen, den Geruch vermisster Menschen noch Tage nach deren Verschwinden verfolgen können und auch herausfinden, wo sich der Weg zweier Personen gegabelt hat.

Wie fein diese Bloodhound-Nasen arbeiten, wenn sie zu trainierten Spürhunden gehören, haben Forschende durch Fingerabdrücke auf Glas getestet. Sie hinterließen einen Fingerprint auf einer von fünf Glasplatten und legten alle zur Seite, für unterschiedlich lange Zeitspannen, die von einigen Stunden bis zu drei Wochen reichten. Anschließend wurden die Glasstücke wieder hervorgeholt und den Probanden vor die Nase gehalten.

Die Bloodhounds mussten die eine Scheibe finden, die den Fingerabdruck enthielt. Einem Hund gelang das von hundert Versuchen 94-mal. Er war es auch, der das Glasstück mit der menschlichen Duftnote selbst dann noch erschnüffelte, als es sieben Tage lang auf einem Dach im Freien lag, Sonne, Wind und Regen ausgesetzt.

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Und trotzdem sei es ein Irrglaube, dass Hunde sich hauptsächlich auf ihre Nasen verließen. Das sagt ein anderer Hundeforscher, Adam Miklósi vom Family Dog Project in Budapest, einem der größten Hundeforschungsinstitute weltweit. Denn Schnüffeln ist hochgradig anstrengend.

Damit ist nicht das schnelle Aufnehmen eines Geruchs gemeint, der einen buchstäblich anfliegt, so wie es ein Essensduft tut. Sondern das Identifizieren von Lebewesen und Dingen mit der Nase, diese kleinteilige Arbeit, die so viel Energie kostet. Wenn ein anderer Sinn schnelle, einfache, unkomplizierte Informationen liefern kann, verlassen sich Hunde auf diesen. Es ist derselbe wie bei uns: der Sehsinn.

"Etwas mit den Augen zu erfassen verbraucht keine Energie", sagt Miklósi. Warum sich die Mühe des Erschnüffelns machen, wenn ein einziger Blick genügt, um zu wissen, wie der Mensch heute gelaunt ist? Oder wenn einem simple Strategien schon weiterhelfen? Adam Miklósi hat in einem Experiment Testhunde vor mehrere Aufgaben gestellt, von denen er dachte, dass die Tiere sie mit der Nase lösen würden: etwa Futterhappen finden oder den eigenen Halter aufspüren, der sich versteckt hielt.

Aber in vielen Fällen, vor allem, wenn sich die Aufgaben wiederholten, benutzten die Hunde eben nicht ihre Nase. Sie setzten zuerst auf ihren Sehsinn oder auf ihr Erinnerungsvermögen: Hatten sie ihren Halter im ersten Suchspiel in der Nähe der Tür entdeckt, versuchten sie es im zweiten Durchlauf zunächst dort. Was bedeutet: Hunde gehen ökonomisch vor. Erst bei komplizierten Fragen packen sie das sensible Besteck aus – wenn die Fähigkeiten eines Spezialisten gefragt sind.

Verwendete Quellen:

  • Simon&Schuster: Being a Dog by Alexandra Horowitz
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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