Traumberuf: Tierärztin – das haben viele von uns als Kind ins Freundebuch geschrieben. Doch wie ist der Alltag als Pferdetierärztin wirklich? Darüber haben wir mit Jasmin Keller (31) gesprochen. Sie verrät, warum sie ihren Beruf zwischendurch sogar an den Nagel gehängt hat – und warum sie sich trotzdem keinen anderen vorstellen kann.

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Dass sie irgendwann mal ihren Beruf und ihre Freizeit mit Pferden teilen würde, das hätte Jasmin Keller als junges Mädchen nie gedacht. Denn das "Pferdemädchen-Gen" wurde ihr nicht in die Wiege gelegt – im Gegenteil: "Meine Mutter hatte sogar Angst vor Pferden", erzählt sie und lacht. In der Grundschule war Jasmin Keller dann in einer Klasse mit Springreiterin Cassandra Orschel, die 2022 das Hamburg Derby gewann. Sie habe schon damals immer nur von Pferden geredet, erinnert sich Jasmin. "Deshalb fand ich Pferde immer doof." Bis eine andere Freundin sie schließlich mit zum Reitunterricht schleppte.

Acht Jahre war Jasmin Keller damals alt, und seitdem sind die Tiere aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile ist Jasmin Keller seit drei Jahren Pferdetierärztin, aktuell schreibt sie ihre Doktorarbeit an der Pferdeklinik der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover. Dort forscht sie zur Validierung eines smarten Hufschuhs, der mit Druck- und Lagesensorik ausgestattet ist. Der soll in Zukunft bei der Ganganalyse und damit bei der Untersuchung von Lahmheit beim Pferd helfen.

Und als wäre das nicht genug, kümmert sie sich in ihrer Freizeit, also hauptsächlich an den Wochenenden, um ihre drei Shetlandponys – Lola, Birk und Polly – sowie Trakehner-Stute Belle Fleur. Ihr erstes eigenes Pferd bekam Jasmin 2018, als sie noch in Wien studierte. Damals musste die Reitschule, in der Jasmin reiten gelernt hatte, schließen. Sie übernahm Stute Resi aus dem Schulbetrieb, holte sie sogar in einer zweitägigen Tour zu sich runter nach Wien und später wieder zurück in den Norden. Mittlerweile ist Resi verstorben, doch um ihre eigenen Pferde kümmert sie sich weiterhin vor allem am Wochenende.

Dann bietet Jasmin auch Chiropraktik-Termine für Katzen, Hunde und Pferde an. "Es bringt unheimlich viel Spaß, zu sehen wie Manualtherapie zusammen mit den Übungen, die ich den Besitzern mitgebe, zu – wenn auch subjektiven – Verbesserungen führt." Das gesamten Wohlbefinden nehme zu, Probleme würden abgeschwächt. Dabei beweise sich das Konzept "Tender Loving Care": "Je mehr man sich kümmert und das Tier versorgt, desto schneller und besser funktioniert die Heilung."

Am schönsten ist, wenn der Patient gesund wird.
Am schönsten ist, wenn der Patient gesund wird. © Foto: privat

"Die Arbeit mit Pferden ist ein Knochenjob"

Dass Jasmin sich als Tierärztin mal auf Pferde fokussieren würde, stand aber gar nicht von Anfang an fest. "Ich wollte eigentlich immer Kleintiere machen", erzählt sie. Auch die meisten Praktika habe sie in dem Bereich absolviert, unter anderem in Südafrika. Nur ein Praktikum war im Bereich Pferde – dieser Fokus hat sich erst nach und nach im Studium herauskristallisiert. Denn nebenbei ist Jasmin weiter viel geritten, hat in ihrer Freizeit im Stall geholfen. Und so hat sie zum Ende ihres Studiums in Wien als Fokusmodul Pferd gewählt.

Was die Arbeit als Pferdetierärztin von der als Kleintierärztin unterscheidet? "Zum einen natürlich die Tiere, die behandelt werden", sagt Jasmin Keller schmunzelnd. Das Studium sehe aber erstmal für alle gleich aus. Als Pferdetierärztin sei später die körperliche Belastung höher – und es gibt größere Gefahrenquellen. "Natürlich ist ein bissiger Hund auch kein Spaß, ich kenne Kollegen, die sogar von amputierten Fingern berichten. Aber wenn ein 500 Kilogramm Pferd zutritt, gibt es Kollegen, die danach berufsunfähig sind oder schlimmstenfalls sogar sterben, trotz Arbeitssicherheit." Denn: "Pferde sind nun mal Fluchttiere, gerade wenn sie Schmerzen haben, handeln sie unerwartet."

Davon abgesehen gibt es noch den Faktor Bequemlichkeit: "Kleintierärzte arbeiten schön im Warmen, eine Pferdetierärztin auch auf matschigen Weiden und in windigen Offenställen", lacht sie. Trotzdem: "Ich bin definitiv froh, mich für Pferde entschieden zu haben."

Pferdetierärztin: Wenig Geld für viel Arbeit

Wenn sie auf ihre Berufswahl blickt, trägt sie trotzdem keine rosarote Brille. Der Tierarztberuf hat ein Nachwuchsproblem – das weiß auch Jasmin Keller. Und sie kann es verstehen: "Ich war selber an einem Punkt, dass ich den Beruf an den Nagel gehängt hab." Ganz am Anfang arbeitete sie in einer großen Klinik. Eigentlich war sie dort mit einer 75-Prozent-Stelle. Gearbeitet habe sie dort aber mehr als 100 Prozent, zu einem Hungerlohn: "Jeder Kassierer hat mehr verdient als ich."

So kam es, dass Jasmin zwischendurch zwei Semester Lehramt studiert hat. Doch es zog sie schnell zurück zu den Tieren, und sie fing in einer kleineren Pferdeklinik an. Dort sei es "okay" gewesen. Die schlechten Rahmenbedingungen, die wohl auch viele Berufsanwärter abschrecken dürften, bleiben: "Nach sechs Semestern Studium startet man mit 2.000 Euro brutto im Monat, bei anstrengenden Arbeitszeiten, weil man auch an Wochenenden, Feiertagen und Notdienste arbeiten muss. Und gerade im Pferdebereich ist es einfach ein Knochenjob."

Würde sie sich im Nachhinein also für einen anderen Job entscheiden? "Das ist eine schwierige Frage… Ich wüsste trotz allem nicht, wo ich mich sonst sehen würde." Was Jasmin Keller aber definitiv anders machen würde: "Ich würde mich nicht nochmal, gerade im ersten Job, so unter Wert verkaufen. Ich würde mehr auf mich selber aufpassen." Ein Rat, den sie anderen Studierenden der Tiermedizin ebenfalls geben würde. Denn auch, wenn Bezahlung und Arbeitszeiten sich in Zukunft bessern werden: "Das ist kein Job, mit dem man unglaublich reich wird."

Warum sie ihren Beruf als Pferdetierärztin trotzdem liebt? Weil es in ihrem Berufsalltag auch immer wieder schöne Momente gibt – "da ist es fast schon schwer zu entscheiden. Es ist immer wieder wunderbar, das Wunder von Geburt und neuem Leben in der Fohlensaison zu erleben; glückliche Besitzer*innen, wenn man Fragen und Zweifel durch gute fachliche Beratung ausräumen kann, aber manchmal auch nur seelischen Beistand in schwierigen Situationen leistet; die Arbeit in der Prophylaxe und Rehabilitation und die damit einhergehenden sichtbaren Erfolge im Erhalt der Pferdegesundheit."

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"Aber mit die allerschönsten Momente (und auch die, wo Freude und Leid dicht beieinander liegen) sind diese, in denen ich mit allen Mitteln um das Leben des Patienten kämpfe, mir Tage und Nächte um die Ohren schlage und der Patient am Ende wieder nach Hause entlassen werden kann – man weiß einfach, dass man ein geliebtes Familienmitglied gerettet hat", sagt Jasmin Keller über ihren Job als Pferdetierärztin.  © Pferde.de

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