Zum zweiten Mal überfiel ein Wolf die Pferde von Larissa Glass – diesmal mit tödlichen Folgen. Für die 36-Jährige ist der neue Angriff vor allem eine emotionale Katastrophe. pferde.de sprach mit ihr über den wahr gewordenen Albtraum und warum die Hilflosigkeit am schlimmsten ist.
21. Mai, ein sonniger Dienstag, 22 Grad, herrliche Luft – ein idealer Tag für einen Ausritt. Das fand auch Larissa Glass aus Hinte (Ostfriesland). "Wir waren zu dritt, meine kleine Tochter, eine Einstellerin und ich", erzählt die 36-Jährige. "Es war wirklich schön." Doch als sie sich wieder dem Stall näherten, wurde ein Pferd plötzlich nervös. "Es war extrem unruhig, was total untypisch ist", so Glass. "Ich habe mich umgesehen, nichts bemerkt. Also habe ich es weggeschoben."
Auf ihrem Hof in Hinte (Niedersachsen) sah im ersten Moment auch alles ruhig aus. "Ich habe die Pferde auf die Weide gelassen, wollte noch Wasser für sie holen", so Glass. "Da kam unsere Kangalhündin Feliz auf uns zu. Ich sah, dass sie Blut an den Pfoten hatte." Auch ihre zweite Hündin kam. "Nur unser Hund fehlte." In dieser Sekunde war sie wieder da – die Angst vor dem Wolf. "Ich guckte sofort auf die Kamera, entdeckte, dass auf der Weide etwas lag."
Wolf tötet Mini-Shetty mit Kehlbiss
Sie rannte los – und erstarrte. "Auf dem Boden lag unser Mini-Shetty Gismo. Sein Hals war zerfetzt. Auch am Darmausgang klaffte ein großes Loch. Und auf der Weide war überall Blut. Es war klar, dass es einen richtigen Todeskampf gegeben haben muss." Ihr Hund Harald liegt neben dem Pony. "Auch er hatte Blut an den Pfoten."
Glass war sicher: Das war ein Wolf. Denn sie hatte vor einem Jahr schon einmal einen Wolfsangriff auf ihre Pferde erlebt. Damals wurden fünf Pferde verletzt, ihre Stute ZsaZsa schwebte in Lebensgefahr. "Ihr rechtes Knie war komplett durchlöchert." In der Klinik wurde sie operiert, eine Woche versorgt. "Sie bekam hohes Fieber. Und sie brauchte viel Antibiotika, weil die Wunden vollkommen verkeimt waren. Die Ärzte sagten, sie hatte eine 50-prozentige Chance", erinnert sich Glass. ZsaZsa überlebte. Auch den anderen Pferden ging es besser. Und langsam verschwand die Angst. Bis zum 21. Mai…
"Nachdem ich mein Pony gefunden hatte, rief ich die Tierärztin, die Landwirtschaftskammer und die Wolfsberatung an." Erste Diagnose: Der 13-jährige Gismo starb durch einen Kehlbiss. Ein Gutachter kam, nahm Proben. "Und wir haben selbst auch Abstriche gemacht", sagt Glass.
Zu der Angst kommt jetzt die Hilflosigkeit
Neben Gismo wurde auch ein zweites Pferd verletzt – ein Knabstrupper. "Er hatte einen Biss in der Schulter, der zum Glück nur oberflächlich war." Viel schlimmer waren die Folgen. "Er ist als Reha-Pferd bei uns, weil er sehr lange unter schwerem Durchfall litt. Wir hatten gerade den Durchbruch geschafft, hatten Magen und Darm saniert. Doch durch die Verletzung musste er ein Antibiotikum bekommen. Dadurch hat sich sein Zustand wieder verschlechtert. Wir fangen im Prinzip von vorne an…"
Und auch Glass wirft der Angriff fast aus der Bahn. "An dem Tag hatte ich eine Panikattacke." Und die Angst, die sie nach dem ersten Wolfsangriff so lange begleitet hatte, war wieder da. "Diesmal ist es schlimmer", gibt Glass offen zu. "Denn zu der Angst kommt Hilflosigkeit. Weil ich nicht mehr weiß, wie ich meine Pferde schützen kann."
Offiziell: Es war ein Wolf
Dass es ein Wolf war, wurde offiziell auch ohne DNA-Ergebnis durch einen Rissbegutachter bestätigt. "Und wir haben unsere eigenen Abstriche in ein spezielles Labor geschickt und das Ergebnis liegt jetzt vor. Auch danach war es ein Wolf." Warum sie selbst Abstriche genommen hat? "Ich wusste durch den ersten Angriff, wie lange es dauert, bis eine offizielle Antwort kommt", so Glass. "Und damals hieß es: Das Ergebnis ist nicht eindeutig. Deshalb wollte ich diesmal einfach auf Nummer sicher gehen."
Der tödliche Angriff sprach sich schnell rum. Kaum zu glauben: "Es gab Menschen, die sofort meinten, das wären meine Hunde gewesen – und kein Wolf", so Glass. Diese Vorwürfe machen sie fassungslos: "Ja, es war Blut an den Pfoten. Aber hätten sie zugebissen, hätte auch Blut an den Gesichtern, am Maul, an den Zähnen sein müssen. Da war nichts. Überhaupt nichts. Das haben auch alle gesehen, die an dem Tag da waren." Warum es diese Vorwürfe gibt? Glass versucht eine Erklärung: "Es wird immer gesagt: Wo Herdenschutzhunde sind, kommt der Wolf nicht. Aber das stimmt so eben nicht."
Hunde sind kurz am Hof – die Zeit nutzte der Wolf
Andere sagten, dass ihre Hunde zu jung seien. "Und überhaupt: Eigentlich wäre ich selbst schuld", so Glass. Woher diese Vorwürfe kommen? "Wir haben nach dem ersten Angriff zwar die Zäune neu und höher gemacht, aber eben keinen speziellen Wolfszaun." Natürlich hatte sie nach dem ersten Angriff an so einen Zaun gedacht. Aber: "Es heißt immer, der Zaun wird gefördert. Was stimmt, wir hätten vermutlich rund 30.000 Euro bekommen. Aber das wären die reinen Materialkosten gewesen. Für den Zaun hätten wir zum Beispiel die Ränder der Weiden planieren müssen. Allein die Vorarbeiten hätten 15.000 Euro gekostet, die wir zahlen müssten."
Und das wäre nur ein Bruchteil der Kosten: "Das Material hätte für drei Hektar gereicht, ich habe aber zehn Hektar. Dazu wäre nur ein Tor dabei gewesen, für einen Aktivstall viel zu wenig. Das alles wären utopisch hohe Kosten gewesen. Und eine hundertprozentige Sicherheit ist auch der Wolfszaun nicht." Stattdessen haben sie einen wolfsabweisenden Grundschutz: Sie erneuerten die Zäune, kauften Kameras – und holten zwei Kangals auf den Hof. Mittlerweile leben neben Feliz (2) und Harald (4) auch die Portugiesische Berghündin Stella (1) bei ihnen. "Sie sind den ganzen Tag bei den Pferden. Nur nachmittags kommen sie zum Hof, ruhen sich dort kurz aus. Und genau diese Minuten hat der Wolf genutzt…"
"Mein Lebenstraum wurde zerstört"
Für Glass ist der zweite Wolfsangriff fatal. "Psychisch ist er noch schlimmer als der erste", sagt sie. "Ich mache mir natürlich Vorwürfe. Warum war ich ausreiten? Warum haben wir nicht Gismo mitgenommen?" Diese Fragen stellt sie sich wieder und wieder. Und sie gibt zu: "Ich habe auch ans Aufgeben gedacht…" Dabei ist der Hof ihr Lebenstraum. "Ich habe ihn seit zwei Jahren, habe mir eine kleine Reitschule aufgebaut." Dazu hat die gelernte Tier-Physiotherapeutin auch Reha-Pferde aufgenommen. "Die Menschen vertrauen mir ihre Pferde an. Und ich kann nicht garantieren, dass es bei mir sicher ist. Das quält mich jeden Tag."
Bislang sind ihre Einsteller bei ihr geblieben. Doch ob es so bleibt, weiß sie nicht. "Dieser zweite Angriff hat meinen Lebenstraum zerstört. Und er ist auch eine Existenzfrage für mich." Wie es weiter geht? Glass zuckt mit den Schultern. "Ich weiß es nicht", sagt sie. "Das ist das Schlimmste: Ich bin einfach ratlos. Nach dem ersten Angriff konnte ich etwas tun. Doch jetzt habe ich alles gemacht, um meine Pferde zu schützen. Und der Wolf kam trotzdem wieder."
Eine Weide ist wie ein riesiges Buffet…
Mit ihrer Situation fühlt sie sich allein gelassen. "Nach den Wolfsangriffen im letzten Jahr gab es eine große Demo bei uns. Aber passiert ist nichts." Dabei, das betont Glass, ist sie keine Wolfsgegnerin. Im Gegenteil: "Ich finde, der Wolf ist ein tolles Tier. Aber wir müssen uns klar sein, dass er auch viel Schaden anrichten kann. In der freien Natur haben Tiere die Chance zu flüchten. Da greift sich ein Wolf dann ein Tier." Eine Weide dagegen sei für ihn wie ein riesiges Buffet…
"Ich kann nicht verstehen, dass er geschützt wird, unsere Weidetiere dagegen nicht. Sie haben nicht die gleichen Rechte wie er", so Glass. Wenn der Wolf gewollt ist, müssten die Tierhalter deutlich mehr unterstützt werden. "Die Politik müsste uns helfen. Stattdessen lässt sie uns im Regen stehen." © Pferde.de
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