Wie gehen Menschen rund um den Globus mit der Coronakrise um? Welche Gedanken treiben sie um und welche Chancen ergeben sich vielleicht? Wir haben nachgefragt. Hier erzählt Lisa Klingler ihre Geschichte.
Die Coronakrise trifft viele Menschen nicht nur gesundheitlich, sondern stellt sie auch beruflich vor ganz neue Herausforderungen. Manche stehen vor dem Nichts, andere haben die Möglichkeit, die Krise auch als Chance für etwas Neues zu nutzen. Wir haben die Geschichten unterschiedlicher Menschen gesammelt und präsentieren sie Ihnen an dieser Stelle als Artikelserie - alle Berichte im Überblick finden Sie hier.
Lisa Klingler erzählt: Manchmal braucht man einfach einen Schubs. Meiner kam am Freitag, den 13. März. Ich wachte morgens auf und wusste: Heute ist es so weit.
Am Tag davor war ich in München gewesen und hatte mit Bekannten noch darüber gewitzelt, ob die Coronakrise am Ende der Auslöser dafür ist, dass ich meinen Plan endlich umsetze, meinen Yoga-Unterricht ins Internet zu verlegen.
Die Idee war mir schon 2018 während einer Meditation gekommen. Ich wollte meine Art zu unterrichten verändern, wusste aber noch nicht genau, wie.
Zwei Jahre Planung - und am Ende ging es ganz schnell
Es ist doch immer so, wenn man Entscheidungen trifft: Man eiert ewig herum, erwägt das Für und Wider, macht sich Gedanken, ob es der richtige Zeitpunkt ist, ob man sich das leisten kann und so weiter.
Ich hatte nie ein eigenes Studio, weil ich dieses Angebundensein nicht mag. Ich war immer mobil zwischen meinen Standorten, habe aber gemerkt, selbst das kettet mich zu sehr an. Einer meiner höchsten persönlichen Werte ist die Freiheit - und die ermöglicht mir das Internet.
An jenem Freitag habe ich also den Schalter umgelegt, meine Website komplett umorganisiert, meinen Online-Shop neu eingerichtet. Daheim habe ich mein Wohnzimmer ausgeräumt und als Yoga-Studio zum Filmen eingerichtet.
Zum Glück war der Rest schon da. Ich hatte eine Kamera und wusste, wie das mit der Belichtung funktioniert. Ich hatte mich mit vielen Themen wie Video schneiden, hochladen oder dem Bestücken eines YouTube-Kanals vorher schon auseinandergesetzt.
Erst später wurde mir bewusst, dass ich mein Online-Yoga-Studio an einem Freitag, den 13., in die Welt gebracht habe, und musste schmunzeln. Was für ein Glückstag! Was ich zu dem Zeitpunkt nämlich nicht wusste: Nur zwei Tage später, am 15. März, sollte die Tiroler Landesregierung aufgrund der zahlreichen bestätigten Coronavirus-Infektionen eine mehrwöchige Ausgangssperre verhängen.
Eine "gesunde Watschn" für die Menschheit
Obwohl ich früher mit Panikattacken zu kämpfen hatte, macht mir die aktuelle Situation überhaupt keine Angst. Nicht im Geringsten.
Ich glaube, dass das jetzt auf gut Tirolerisch die Watschn ist, die wir als Menschheit uns schon lange abholen hätten sollen. Um uns bewusst zu werden, wie wir mit unserem Planeten und unseren Mitmenschen umgehen, welchen Dingen wir völlig hirnlos nachrennen.
Mich selbst betrifft das natürlich auch. Ich reise gerne. Mein Freund ist Kanadier, schon allein deshalb fliegen wir einmal im Jahr, um seine Eltern zu besuchen.
Als Ausgleich dazu versuche ich, täglich mit einem anderen Bewusstsein zu handeln. Welche Marken wähle ich? Aus welchem Material ist meine Yoga-Matte? Zum Beispiel ist meine ganze Kosmetik erdölfrei. Ich ernähre mich vegetarisch. Ich glaube daran, dass persönliches Handeln immer Vorbild sein kann.
Nach Corona wird die Welt eine andere sein
Ich glaube nicht, dass die Welt nach Corona dieselbe sein wird. Ich hoffe es zumindest. Wir werden uns wieder auf unsere wesentlichen Werte besinnen. Wir werden uns bewusst werden, wie wir leben wollen, wie wir arbeiten wollen, wie wir nicht mehr arbeiten wollen.
Ich glaube, dass viele, die jetzt gezwungenermaßen in Heimarbeit befördert wurden, vielleicht herausfinden, dass das gar nicht mal so übel ist. Dass ich daheim in vier Stunden die Arbeit erledigen kann, die ich im Büro in acht Stunden mache, dass ich vielleicht konzentrierter und effektiver arbeiten kann.
Dass ich mehr Zeit für mich habe in meinem Zuhause. Wir zahlen ja schließlich alle Miete oder Kredite und verbringen so wenig Zeit daheim in unseren eigenen vier Wänden, die wir uns oft so schön eingerichtet haben.
Ich bin mir vollauf bewusst, dass ich mich in einer privilegierten Position befinde. Ich trage keine Verantwortung für Kinder, mein Partner ist momentan bei seiner Familie in Kanada. Ich habe also genug Zeit, mich um mein Business zu kümmern. Ich habe auch die Räumlichkeiten, die ich brauche. Das ist das Leben, das ich mir in den letzten Jahren kreiert habe.
Schlimmer trifft es eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die daheim sitzt und die vielleicht einen Job hatte, den sie jetzt nicht mehr machen kann.
Kontakt halten trotz Quarantäne
Für meinen Freund und mich ist die aktuelle Situation nichts Neues. Das machen wir seit vier Jahren so. Er ist Marine-Ingenieur und damit sowieso alle paar Wochen für ein paar Wochen oder Monate unterwegs auf hoher See.
Aktuell haben wir neun Stunden Zeitunterschied. Sobald er wach ist, ruft er mich an. Dann geht jeder seinem Tag nach. Bevor ich schlafen gehe, facetimen wir meistens ein zweites Mal. Gott sei Dank gibt es heute diese Möglichkeiten! Früher hätten wir Briefe geschrieben, die wochenlang über den Atlantik gesegelt wären.
Meine Eltern wohnen Luftlinie 100 Meter von mir entfernt. Alle zwei, drei Tage verabreden wir uns im Garten zum Kaffee. Da sitzen wir dann in zehn Metern Entfernung, jeder mit seiner Tasse und seinen eigenen Keksen, und unterhalten uns.
Es sind kreative Zeiten jetzt. Letztens habe ich spontan zu einem virtuellen Kaffeeklatsch eingeladen. Mein Bruder hat sich mit seinen Freunden auf einen Wochenendplausch mit einem Bier verabredet. Eine Freundin hat vor Kurzem virtuell Geburtstag gefeiert. Das Schöne ist: Wir können uns auch so verbinden, Quarantäne oder nicht.
Lisa Klingler (Protokoll: ank)
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