Wenn die Straßen spiegelglatt sind, drohen massive Verspätungen und im schlimmsten Fall Unfälle. Müssen Angestellte unter solchen Umständen trotzdem am Arbeitsplatz erscheinen oder ist dann Homeoffice möglich?
Muss ich bei spiegelglatter Straße ins Büro?
Livia Merla: Grundsätzlich liegt es im kompletten Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen. Man spricht hier vom sogenannten Wegerisiko. Wenn ich es nicht oder nicht rechtzeitig schaffe, dann geht das auf meine Kappe. Sollte es mir als Arbeitnehmer daher nicht oder nur mit erheblicher Verspätung möglich sein, die Arbeitsstätte zu erreichen, gilt der Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn" und der Vergütungsanspruch entfällt in der Regel.
Über die Gesprächspartnerin
- Livia Merla ist Fachanwältin sowie Dozentin für Arbeitsrecht in Berlin.
Wie sieht die rechtliche Lage aus, wenn bei meinem Kind der Kindergarten oder die Schule glättebedingt geschlossen bleibt?
In diesem Fall kann die Lage durchaus anders beurteilt werden, denn § 616 des BGB regelt die kurzfristige Verhinderung an der Arbeitsleistung aus persönlichen Gründen. In diesem Fall kann daraus ein Anspruch auf bezahlte Freistellung für einzelne Tage resultieren. Im Gegensatz zu allgemeinen witterungsbedingten Problemen auf dem Arbeitsweg betrifft die mangelnde Betreuungssituation nur einzelne Arbeitnehmer und nicht die Gesamtheit. Daher kann im Einzelfall die Konstellation des persönlichen Verhinderungsgrundes einschlägig sein. Vorsicht ist allerdings geboten, denn es gibt viele Arbeitsverträge und Tarifverträge, bei denen § 616 BGB explizit ausgeschlossen ist und dementsprechend keine Anwendung findet. Dann würde man entsprechend Minusstunden anhäufen und nacharbeiten oder eine Gehaltskürzung in Kauf nehmen müssen.
Was sind die Konsequenzen, wenn ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin und diese witterungsbedingt stark verspätet sind? Oder ich mit dem Auto deutlich zu spät zur Arbeit erscheine?
Wenn ich schon vorher weiß, dass es witterungsbedingt ein Verkehrschaos geben wird, liegt es in meinem Verantwortungsbereich, früher loszufahren. So kann ich sicherstellen, dass ich auch rechtzeitig ankomme. Auch hier greift das allgemeine Wegerisiko. Etwas anderes könnte im Einzelfall wiederum gelten, wenn zum Beispiel nur vereinzelt eine Straße, in der ich wohne, gesperrt ist und kein allgemeines Verkehrschaos herrscht, bei dem alle betroffen sind. Dann könnte man wieder von einem individuellen persönlichen Verhinderungsgrund ausgehen, mit der Folge des Anwendungsbereiches von § 616 BGB.
Muss die Zeit bei zu spätem Erscheinen nachgearbeitet werden?
Ob die Zeit nachgeholt werden muss, hängt davon ab, welche Art der Arbeitszeitgestaltung im Unternehmen gelebt wird. Wenn ich beispielsweise ein Arbeitszeitkonto habe, wo ich mit Plus- und Minusstunden arbeiten kann, dann würde ich bei der Verspätung Minusstunden aufbauen, die ich irgendwann nachholen müsste. Wenn es so etwas nicht gibt, dann hätte ich für diesen Tag weniger Lohnanspruch, weil ich ja auch entsprechend weniger gearbeitet habe.
Was gilt, wenn ich glättebedingt einen Unfall habe?
Wenn ich auf dem Weg zur Arbeit oder von dort nach Hause einen Unfall erleide, stellt dies einen Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls dar. In diesem Fall muss der Arbeitgeber die Berufsgenossenschaft oder die Unfallkasse einschalten. Diese übernehmen zum Beispiel die Kosten für notwendige Behandlung, Reha und Rente.
Kann ich abgemahnt werden, wenn ich mich wegen Glätte ohne Absprache für das Homeoffice entschieden habe?
Der Rat lautet natürlich auch hier, so etwas immer im Vorfeld abzusprechen und in den Austausch mit dem Arbeitgeber zu gehen. Wenn ich schon am Nachmittag vorher weiß, dass es am nächsten Morgen glatt werden wird, kann der Arbeitgeber über die Problematik aufgeklärt werden. Da dem Arbeitgeber das Weisungsrecht zusteht, von wo aus man arbeitet, kann nicht eigenmächtig entschieden werden, im Homeoffice zu arbeiten. Ob in solch einem Fall eine Abmahnung dann tatsächlich angemessen ist, muss im Einzelfall entschieden werden.
Auch dann, wenn ich eigentlich eine Vereinbarung für Homeoffice habe, die für bestimmte Tage gilt, aber eben nicht für diesen konkreten Tag? Wenn ich also ohne Absprache Homeoffice-Tage getauscht habe?
Auch ein Tausch der einzelnen Homeoffice-Tage sollte zuvor abgesprochen werden. In der Praxis wird ein Arbeitgeber vermutlich bei Vorliegen einer solchen Situation kein Problem damit haben. Aber auch hier ist eine offene Kommunikation der Schlüssel. Man erlebt es häufig, dass Mitarbeiter selbst Entscheidungen treffen, ohne vorher Bescheid zu geben. Dies birgt natürlich die Gefahr von Missverständnissen und Unzufriedenheit.
Wenn jemand beispielsweise sehr ländlich wohnt und wirklich eine Gefahr sieht, bei Glätte zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen, welche Möglichkeiten hat dieser Mitarbeiter, wenn Homeoffice nicht möglich ist?
Auch wenn der Arbeitnehmer grundsätzlich das Wegerisiko trägt, unterliegt der Arbeitgeber auch gleichzeitig einer Fürsorgepflicht. Wenn daher von vornherein feststeht, dass man es nicht unbeschadet an den Arbeitsplatz schaffen wird, wird der Arbeitgeber in der Praxis nicht verlangen können, den Weg dennoch anzutreten. In der Praxis wird man sich darauf verständigen müssen, dass der Arbeitnehmer zu Hause bleibt und die Arbeit nachholt.