• Die Corona-Pandemie stellt Eltern und deren Kinder vor ungeahnte und bis dahin unbekannte Herausforderungen.
  • Das Büro kommt nach Hause, und die Schule noch obendrauf.
  • In dieser Stesssituation einen kühlen Kopf zu behalten und souverän zu reagieren, erfordert neben Gelassenheit und Flexibilität einen Tagesplan - und Verständnis des Chefs.
  • Ein Experte gibt wertvolle Tipps.
Ein Interview

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Im zweiten Corona-Lockdown sind wieder die Schulen geschlossen und die meisten KiTas ebenfalls. Eine Belastungsprobe für viele Familien.

Ein Experte gibt Tipps für einen entspannteren Alltag zwischen Homeschooling, Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung.

Home-Office und Kinderbetreuung sind oftmals schwierig zu vereinbaren. Wie bekommen Eltern die Mehrfachbelastung unter einen Hut?

Thilo Hartmann: Die Aufgabe geht erst einmal an die Erwachsenen. Sie haben die Verantwortung und das reifere Gehirn. Sie müssen genügend Gelassenheit und Flexibilität bereitstellen, um die Situation zu meistern. Diese aktuell außergewöhnlichen Umstände sind für die Kinder nicht einfach. Zuhause ist normalerweise der sichere Raum. Dort gibt es Freizeit und Quality time mit den Eltern. Das änderte sich mit dem Lockdown: Kinder und ihre Eltern sind jetzt gemeinsam den ganzen Tag zuhause, aber die Eltern müssen arbeiten und haben weniger Zeit. Hinzu kommt auch, dass zum Beispiel durch eine Videokonferenz auf einmal Fremde im Wohnzimmer sind.

Guter Punkt. Wie gehe ich am besten bei Videokonferenzen wie Zoom-Meetings vor?

Es ist klar und völlig normal, dass ein Kind mal zugucken möchte und zeigt, dass es versucht, die Situation zu verstehen. Eine Lösung bei neugierigen Kindern kann sein, sie einfach kurz den Arbeitskollegen vorzustellen und sagen: "Ich habe hier einen jungen Mann, der hat heute wahrscheinlich noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Ich stelle Ihnen den gleich mal vor, damit sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben." Das kann schon eine Entlastung sein: Zum einen ist die Neugier des Kindes gestillt, zum anderen brauchen die Eltern keine unvermittelten Störungen befürchten. Auch die Mitarbeiter können dann besser einordnen, warum man zwischendurch abgelenkt ist. Dieser souveräne Umgang mit der Situation kann professioneller wirken, als das Kind mit allen Mitteln ruhig halten oder verstecken zu wollen.

Wie bekomme ich es hin, dass die Kinder eine Weile ruhig sind, beispielsweise während des weiteren Telefonates?

Ab dem Vorschulalter kann man versuchen, sogenannte Kontextmarkierungen zu setzen. Dann kann man dem Kind zu verstehen geben, dass die Mama jetzt zuhause auf der Arbeit ist. Wie lange ein Kind es dann aber aushält, dagegen keinen Widerstand zu geben, ist sehr unterschiedlich. Eigentlich hat es ja das Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu bekommen. Gleichzeitig sieht es zum Beispiel das Schild "Bitte nicht stören". Dadurch entsteht ein sogenannter Bedürfnisaufschub. Dazu gibt es auch Untersuchungen: Heraus kam, dass selbst Vorschulkinder einen solchen nur schlecht oder nur sehr kurz aushalten können. Man kann es zwar als Übung machen, muss aber damit rechnen, dass die Ruhe nicht länger als fünf bis zehn Minuten anhält. Bei größeren Kindern ist es manchmal gut, zu schauen, welches Bedürfnis hinter der Störung steckt. Manchmal ist es einfach nur das Informationsbedürfnis, kurz zu sehen, was Mama oder Papa am Computer machen. Dann ist es oft einfacher, einmal das Kind zu informieren, als die wiederkehrende Anfrage über die ganze Zeit hinweg abzuwehren.

Was, wenn das nicht reicht und das Kind während meines Meetings wild rumturnt und schreit?

Für Kinder ist es eine wichtige Entwicklungsaufgabe, ihren Körper kontrollieren zu lernen. Dazu müssen Sie über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder und mit zunehmender Schwierigkeit und Komplexität unter anderem ihre Muskeln trainieren und ihren Gleichgewichtssinn schärfen. Zu toben und zu schreien, ist sozusagen ihr Beruf. Wenn jetzt die Kinder zur selben Zeit wie die Eltern zur "Arbeit" müssen, dann ist das für die Eltern verständlicherweise störend. Eltern können versuchen, sich gegen die laute Kulisse abzuschirmen. Etwa mit einem Gehörschutz, wie Ohrstöpsel oder Kopfhörer. Vielleicht kann man auch mit den Kindern zusammen auf einer spielerischen Ebene eine Lösung entwickeln, die das Auspowern ermöglicht, aber besser mit dem Home-Office vereinbar ist. Zum Beispiel der lautlose Schrei, bei dem die Kinder ganz doll schreien sollen, aber ohne, dass ein Ton herauskommt oder eine Wohnzimmerolympiade, bei dem man mit den Kindern interessante und herausfordernde sportliche Übungen in der Wohnung erfindet. So kann man die Kinder dabei unterstützen, sich körperlich auszuagieren und man kann dabei darauf achten, dass die Übungen nicht zu laut sind.

Wie gehen Eltern am besten damit um, wenn ihnen doch der Kragen platzt und sie losschreien?

Dann ist es wichtig, dass sich Eltern entschuldigen und ihren Frust erklären und das Kind trösten. Gut ist es, ihm zu zeigen, dass sein Verhalten die Mama wütend gemacht hat und nicht das Kind selbst. So verhindert man, dass das Kind eine negative Einstellung zu sich entwickelt wie "Ich bin schlecht", statt eine Lösung zu entwickeln, wie "Ich passe besser auf".

Welche Methoden würden Sie Eltern noch an die Hand geben, damit Vor- und Grundschulkinder während der Arbeit nicht stören?

Man kann die Arbeitspläne anschauen und den Tag des Kindes organisieren. Beispielsweise, indem man für den Zeitpunkt des Videomeetings eine Aufgabe sucht, die auch für das Kind wichtig ist, oder die es gerne macht. Ein Kniff wäre es auch, eine Eieruhr anzuwenden. Bei ihr ist auch für Kinder genau ersichtlich, wie die Zeit vergeht, und am Ende klingelt es laut. Kinder bekommen so ein Gefühl dafür, was zum Beispiel 20 Minuten bedeuten, in denen die Mama was am Schreibtisch erledigen muss und wann sie wieder verfügbar ist. Mit kleinen Zeitabschnitten kann man das auch im Vorschulalter schon probieren.

Was würden Sie noch empfehlen?

Es gibt noch den Türstopper, also ein Schild das besagt "Bitte draußen bleiben" oder "Bitte nicht stören". Ein solches haben häufig auch Schulkinder an ihrer Zimmertür. Umgekehrt kann man es auch für die Eltern basteln. Die Zeit, in der das Schild an der Tür hängt, muss aber in einem Rahmen bleiben, den das Kind leisten kann. Wenn es kein Arbeitszimmer gibt, kann man als Markierung auch zu einem Hut greifen. Die Regel lautet dann: Wenn Papa den Hut aufhat, arbeitet er und darf nicht gestört werden. Oder man hängt ein Schild an den Stuhl und weist immer wieder darauf hin.

Können Belohnungen weiterhelfen?

In der Pädagogik wird oft mit einem Belohnungssystem gearbeitet. In diesem können die Kinder Punkte sammeln. Wenn zum Beispiel die Aufgaben nach dem Tagesplan gut umgesetzt wurden, gibt es Punkte. Wird eine bestimmte Anzahl erreicht, kann man die Punkte gegen eine Belohnung wie zum Beispiel einen Stempel, Sticker oder ein gemeinsames Spiel eintauschen. Wichtig ist es dabei, sensibel zu sein und Aufgaben zu definieren, die die Kinder auch erfüllen können. Die Belohnung muss erreichbar sein. Nur dann ist es motivierend, stärkt das Selbstwertgefühl und macht den Kindern Freude. Dann kann man dieses System schon ab dem Kindergarten-Alter umsetzen.

Und wie sieht es mit Fernsehen aus?

Ich wäre beim Thema Fernsehen flexibel. Es gibt auch sehr gute Fernsehsendungen oder Computerspiele, bei denen die Kinder etwas lernen. Was pädagogisch wertvoll ist, würde ich nicht unbedingt in die normale Medienzeit einrechnen. Generell sollte man aber immer genau hinschauen, welche Sendungen, Apps oder auch Computerspiele sich die Kinder aussuchen und anschauen.
Was ist mit Klein- und Kindergartenkindern zwischen ein und fünf Jahren? Gibt es überhaupt eine Chance, sie so einzugewöhnen, dass Home-Office möglich wird? Für die Jüngeren ist eine Tagesstruktur enorm wichtig für das Wohlbefinden. Feste Zeiten für die Mahlzeiten, ein Morgenkreis und Zeit für das Freispiel sind dann gute Punkte. Für ganz kleine Kinder sind die Fürsorge und das Kindeswohl entscheidend. Ihnen muss man die anderen Dinge unterordnen. Man kann versuchen, bestimmte Zeitfenster durch die Tagesstruktur zu gewinnen. Aber auch das ist nur soweit möglich, wie es die Bedürfnisse der Kinder zulassen.

Viele Arbeitgeber erwarten trotz Lockdown und kleinen Kindern zu Hause, dass die Arbeit wie gewohnt geliefert wird. Wie kann man da den Druck rausnehmen?

Eltern sind zurzeit gleichzeitig Arbeitnehmer und Kinderbetreuer oder auch Lehrer. Es entsteht eine massive Überforderung. Wichtig ist es, für sich und alle Beteiligten Druck rauszunehmen. Eltern sollten möglichst eine Umgebung schaffen, in der es für alle leichter wird, miteinander umzugehen. Dabei müssen sie auch ihre eigenen Anforderungen an sich und die Situation herunterschrauben. Es ist einfach nicht machbar, in der Homeoffice-Situation die Performance zu liefern, die man am Arbeitsplatz unter Idealbedingungen leistet. Das gilt es zu akzeptieren.

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Wie mache ich das meinem Chef klar?

Hier ist wichtig, zu kommunizieren, wie es gerade läuft. Auch Firmen sollten jetzt eine realistische Einschätzung haben, was für Eltern im Home-Office machbar ist und ihnen Flexibilität entgegenbringen. Eltern können das Thema der Dreifachbelastung anbringen und dem Chef sagen, welche Aufgaben sie in dieser Ausnahmesituation noch übernehmen können. Ansprechen sollten sie aber auch, was nicht mehr in das Zeitbudget passt. Hier haben auch die Arbeitgeber eine besondere Verantwortung. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitenden aktiv signalisieren, dass sie um die besondere Belastung der Eltern wissen und deutlich machen, dass sie bereit sind, flexibel und entlastend auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen.

M.Sc.-Psych. Thilo Hartmann ist Coach und Supervisor in Berlin. Er arbeitet seit über zehn Jahren im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Für den Berufsverband der Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. ist er in den Leitungsteams der Fachgruppe klinische PsychologInnen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Fachgruppe Entspannungsverfahren engagiert.
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