Seit Generationen merken es Kinder schnell und schalten auf Durchzug: Wenn Erwachsene Dinge sagen, die gar nicht recht zum Moment passen. Pädagogen nennen das den "sprechenden Elternautomaten". Wie wir selbst profitieren können, wenn wir daran etwas ändern.

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Ab und zu, in ruhigen Momenten, aber viel zu selten machen Eltern es sich bewusst, wie vergänglich doch jeder Moment mit den Kindern ist. Viel häufiger möchte man eigentlich innehalten und den Augenblick nicht nur auf Fotos, sondern im Herzen festhalten. "Wie so vieles ist das mitten im Alltagstrubel aber gar nicht so leicht", weiß Ramona Schormair. Gemeinsame Zeit genießen, umsichtig und besser reagieren auf Verhaltensweisen der Kinder - Eltern hätten heute so viel Wissen darüber, wie wichtig das alles ist: "Viel mehr als noch die eigene Elterngeneration – aber es auch umzusetzen, ist sehr, sehr schwer! Und das führt dazu, dass Eltern sich oft schlecht fühlen", bedauert die Trainerin für gewaltfreie Kommunikation (GfK).

Sie nennt ein kleines Warnsignal, das uns – wenn wir es denn kennen und bemerken – die Botschaft sendet: Stopp, jetzt bist du grad nicht im Augenblick, nicht im Jetzt. Nämlich wenn wir uns jene Sätze sagen hören, die wir schon von unseren Eltern kennen und die wie auf Knopfdruck aus dem "sprechenden Elternautomaten" fallen. Mit diesem Ausdruck umschrieb der berühmte dänische Familientherapeut Jesper Juul jene Aufrufe, Zurechtweisungen oder Hilfsangebote, bei denen schon Dreijährige auf Durchzug schalten. Schormair nennt einige Klassiker.

"Letzte Warnung!"
"Ich sage es nicht noch einmal!"

Diese Sätze sind besonders kurios, denn: "Das Kind wäre ja froh, wenn es nicht noch mal hören muss, dass es ins Bett soll", schmunzelt Schormair. Natürlich meinen wir den Satz auch so gar nicht – und wiederholen unsere Aufforderung noch mal.

  • Besser: auf Augenhöhe gehen, Schulter streicheln, Kontakt aufnehmen: "Du, hast du mich gehört? Es ist Zeit fürs Bett."

"Hier lohnt es sich wirklich, etwas Zeit zu investieren", weiß Schormair. Beim Thema Schlafengehen bewährten sich neben klaren Uhrzeiten auch feste Rituale - zum Beispiel 15 Minuten gemeinsames Spielen vor der Bettzeit oder im Bett noch ein paar Minuten zusammen kuscheln. Das verbindet und Eltern kennen es: Häufig ist das der Moment, in dem die Kinder zur Ruhe kommen und uns ihre Gedanken und Gefühle mitteilen.

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"Oh ja schön, toll gemacht!"

Sehen wir uns das Bild wirklich an, das uns der Sohn zeigt? Wie genau hören wir zu, wenn die Tochter ihren Aufsatz vorliest? Ein dahingeplappertes Lob komme beim Kind nicht an, bemerkt Schormair.

  • Besser: Hinsehen, hinhören und beschreiben, was das Kind gemacht hat und was das bei mir auslöst.
  • Zum Beispiel: "Oh, ich sehe einen großen hübschen Apfelbaum – und ein Haus! Ist das unseres? Hast du an mich gedacht, als du das gemalt hast?"

Das Kind sehe dann: "Jetzt ist die Mama oder der Papa in meiner Welt. Und das ist wichtig, denn für die Kinder sind wir oft die Welt. Sie vermissen uns häufig, wenn sie im Kindergarten oder in der Schule sind", erinnert Schormair.

  • Weiteres Beispiel: "Du hast die Spülmaschine ausgeräumt, danke! Das macht es wirklich leichter für mich. Ich freue mich immer, wenn wir einander helfen."

Neben echter Wertschätzung geschehe hier noch etwas: "Nur, wenn ich wirklich da bin, kann ich beschreiben, was das Kind da gerade bei mir erfüllt hat. Das heißt: Ich bekomme Kontakt zu mir selbst, denn um jemanden wertzuschätzen, muss ich herausfinden: Was macht das gerade mit mir? Und das ist etwas sehr Schönes."

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"Ist doch nicht so schlimm"
"Hör auf zu weinen"
"Reiß dich zusammen!"

Wenn wir solche Sätze sagen, stehen wir meist selber unter Stress. "Auf unterschiedliche Weise: Das Kind tut uns leid. Vielleicht ist es uns peinlich, dass ausgerechnet mein Kind gerade so auffällt. Oder es ist uns einfach zu laut. Solche Situationen, die unangenehme Gefühle in uns auslösen, können wir Erwachsenen nicht gut aushalten. Und hinzu kommt: Den meisten wurde es als Kind ja selber oft genug gesagt: Man soll nicht weinen", gibt Schormair zu Bedenken.

  • Besser: "Das ist ja wirklich blöd. Komm, lass dich mal umarmen!"

Verständnis und Mitgefühl können Wunder wirken. Die Gefühle des Kindes zu verneinen, mache hingegen alles nur noch schlimmer: "Wir kennen es ja von uns selbst. Wenn es mir schlecht geht, macht es eben einen großen Unterschied, ob meine Freundin sagt: 'Stell dich nicht so an' oder 'Ach Mensch, du Arme. Komm, ich mach dir einen Tee.'"

Tipp, wie man Automatensätze vermeidet

  • Die Sätze rutschen dem Elternautomaten regelrecht raus, fast wie von selbst: "Deshalb geht es darum, zwischen dem Auslöser – zum Beispiel, das Kind weint – und der Reaktion eine kurze Pause zu machen, damit wir bewusst reagieren können. Wenn wir gestresst und in unserem Trott sind, erwischen wir diesen Spalt nicht." Das könne man trainieren, etwa durch ganz bewusstes Atmen oder indem man Gegenstände im Raum innerlich aufzählt. "Eine Freundin von mir trägt zu Hause ein Haargummi am Handgelenk, an dem sie kurz mal heftig zieht, um sich ins Hier und Jetzt zu holen. Hauptsache, uns gelingt eine Zäsur und eine Reaktion, mit der sich am Ende alle wohler fühlen", sagt Schormair.

"Jetzt reicht’s!"
"Jetzt ist aber Schluss!"

Sind das wirklich die klaren Ansagen, für die wir sie halten? "Dann müssten sie ja funktionieren, aber in der Regel kommt beim Kind gar nichts an", sagt Schormair.

  • Besser: "Beschreiben Sie die Situation und wie es Ihnen damit gerade geht."
  • Zum Beispiel: Die Tochter steigt – mal wieder – auf die Küchenzeile. Statt "Schluss damit!" sagen wir: "Ich sehe, du stehst auf der Küchenzeile – ich hab wirklich Angst, dass du da runterfällst oder da etwas kaputtgeht. Sag mir bitte, was du brauchst."

Das sei eine klare Aussage, denn: "Sie weiß, was sie tun soll, fühlt sich nicht beschämt und kooperiert wesentlich leichter. Und sie hat die Möglichkeit zu bekommen, was sie haben wollte."

GfK-Trainerin Ramona Schormair hat selbst zwei Kinder. © Privat

"Hört auf zu streiten"

Auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist: "Geschwister streiten ja, es geht gar nicht ohne", erklärt Schormair. Was sie aber lernen könnten, schon ab drei Jahren: den anderen anzusehen und auch, sich zu versöhnen. "Es schafft Verbindung, wenn man den anderen hört. Oft reicht es zu sehen, dass der meine Sicht wahrnimmt." Schlüsselsätze dabei können sein:

  • "Wie hast du dich dabei gefühlt?"
  • "Wie hat sich deine Schwester dabei gefühlt?"
  • "Was hättest du gebraucht in der Situation?"
  • Oder mit etwas zeitlichem Abstand: "Erzähl mal, was eigentlich los war."

Dass Streiten nicht angenehm ist, spüren Kinder selber. "Aber wenn ich einfach nur versuche, den Streit abzubrechen oder gar sage, 'Ist mir egal, wer angefangen hat', löst das nichts und es lernt niemand etwas daraus."

Aus einem gut begleiteten Streit können unsere Kinder jedoch eine ganze Menge für ihr Leben mitnehmen.

"Pass auf, dass du dir nicht weh tust"

Typische Situation: Klettergerüst. "Ich dachte, ich kann das, aber die Mama traut es mir nicht zu", hört das Kind aus unserem Gefahrenhinweis heraus.

  • Besser: "Hey, fühlst du dich noch sicher, ist das noch gut so für dich?"

"So helfen wir dem Kind, seine Grenze herauszufinden. Und das muss nicht meine Grenze sein", betont Schormair. Sie rät, sich eigener Ängste bewusst zu sein, sie aber nicht auf das Kind zu übertragen. Auf Gefahren hinzuweisen, sei natürlich Aufgabe von Eltern. Aber man müsse nicht - und dazu neigten viele Eltern - in allem die lauernde Gefahr suchen.

"Ich habe mir abgewöhnt, ständig vor etwas zu warnen, weil meine Tochter mir irgendwann zurückgemeldet hat: Denkst du, ich bin dumm? Sie lebt ja selber schon zehn Jahre und hat ihre Erfahrungen gemacht", sagt Schormair.

Wichtige und sinnvolle Warnungen sollten wir zudem positiv formulieren. Gerade kleinere Kinder überhören Verneinungen. Besser als "Pass auf, dass du dir mit dem Messer nicht weh tust" wäre "Pass auf deine Finger auf." Oder: "Mir ist wichtig, dass du heil in der Schule ankommst!"

"Beeil dich!"

Stress pur. Die Uhr tickt. Doch dem Kind ist das egal. "Wir Erwachsenen fühlen uns dann nicht gehört oder gesehen. Das ist eine ganz ungute Situation, in der so ziemlich jeder seine guten Vorsätze vergisst, ruhig und gelassen zu bleiben."

  • Besser: Fakten benennen und aussprechen, was in einem los ist.
  • Zum Beispiel: "Es ist 14:30 Uhr, wir haben in einer Viertelstunde einen Termin. Ich merke, ich werde richtig nervös, weil es mir total wichtig ist, dass wir pünktlich sind. Soll ich dir vielleicht helfen, deine Schuhe anzuziehen?"

Das schaffe Verbindung und löse die Situation schneller", erläutert Schormair.

  • Oder: "Ich verstehe, dass du das jetzt doof findest, mit Spielen aufzuhören. Aber wir haben jetzt nur noch 15 Minuten, magst du deine Puppe mitnehmen?"

Was beim Kind dann ankommt: Aha, der Mama ist es wichtig, wie es mir geht und sie bemüht sich, eine Lösung zu finden.

"Ja, gleich"

Eine Antwort, die sich unsere Kinder schnell von uns abschauen!

  • Besser: "Du bist schon ganz ungeduldig, weil du dich auf unsere Zeit zusammen freust? Schau, ich räume noch kurz die Spülmaschine aus, aber in vier Minuten habe für dich Zeit."

"Dann spürt es die Verbindung", sagt Schormair und gibt erneut den Hinweis: "Auch wir spüren dann wieder, was wirklich los ist und kommen mehr ins Jetzt."

"Ich hab’s dir ja gesagt!"

Dieser Satz geht nicht selten auch mit "Selber schuld" los. Meistens wollten wir dem Kind damit gar nicht unbedingt zeigen, dass wir recht hatten, meint Schormair. "Eher stresst uns die Situation gerade und der Frust will raus."

  • Ein Beispiel: Das Kind ist zu dünn angezogen und friert unterwegs – dabei hatten wir genau das zu Hause schon vorhergesagt. Und nun gehe das Kopfkino los: "Mist. Jetzt friert er eben doch. Nun wird er krank werden. Wir alle werden uns anstecken …"
  • Besser: ein "liebevoller Verbündeter" für das Kind sein und das Problem gemeinsam lösen: "Schau, jetzt ist es doch kalt, willst du meinen Schal?"

"Ich kann darauf vertrauen, dass mein Kind selber das Problem erkannt hat und muss es nicht noch zusätzlich beschämen. Das macht einen sehr großen Unterschied", betont Schormair.

"Achten Sie vielleicht mal eine Woche bewusst darauf: Welche Sätze sage ich?"

Ramona Schormaier, GfK-Trainerin

Elternautomat abschalten heißt, im Moment zu leben

Das letzte Beispiel zeigt, wie mit dem Elternautomaten auch das Kopfkino losgehen und uns noch mehr aus dem Hier und Jetzt katapultieren kann. Damit stehen wir im krassen Gegensatz zu den Kindern, die so schön im Moment leben können. Wer es schaffe, sich allmählich vom Elternautomaten zu verabschieden, hat laut Jesper Juuls die größten Chancen, die Beziehung zum Kind zu vertiefen.

Doch betont Schormair: "Das ist, wie eine Fremdsprache zu lernen – weil wir die Sätze so fest in uns haben. Deshalb sollen sich Eltern auf keinen Fall verurteilen, wenn es schwerfällt." Der Schlüssel sei sowieso, sich erst einmal bewusst zu werden, dass wir diese Sätze sagen: "Denn ansonsten haben wir gar keine Handlungsmöglichkeit." Ihr Vorschlag: "Achten Sie vielleicht mal eine Woche bewusst darauf: Welche Sätze sage ich? Das ist spannend, weil sie uns gar nicht mehr auffallen."

In der zweiten Woche könnte man sich vornehmen, es mal anders zu versuchen: "'Ja gleich!' ist ein guter Übungssatz: Wenn mir das rausrutscht, ist überhaupt nichts verloren. Fällt es mir auf, kann ich immer noch etwas hinterherschieben wie: Ich freu mich auch schon auf unsere heiße Schokolade, nur diese Sache muss ich vorher noch erledigen."

Nach der Woche könne man es eine weitere Woche versuchen, vielleicht mit einem anderen Satz, und dann wieder eine Woche: "Irgendwann schleicht sich eine neue, heilsame Gewohnheit ein. Auf Automatensätze zu verzichten, heißt: mehr bei sich zu sein. Spüren, was eigentlich ist, und ins Jetzt zu kommen. Dann können wir auch gelassener reagieren." Und so wichtig, weil unwiederbringlich: gemeinsame Momente wahrnehmen, genießen und abspeichern im Schatz der Erinnerungen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Ramona Schormair ist Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation, alltagstaugliche Achtsamkeit und Mindful2Work-Lehrerin (Programm zur Stressreduktion und Burnout Prävention). 2016 gründete sie den Waldkindergarten Aichhörnchenkobel e.V., in dem sie viele administrative Aufgaben übernimmt. Schormair hat selbst zwei Kinder im Schulalter und lebt im bayerischen Aichach.
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