Inwiefern haben Eltern direkten oder indirekten Einfluss auf die Beziehung ihrer Kinder? Und welche Rolle spielt die eigene Kindheit bei der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin? Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die Paar-, Sexual- und Familientherapeutin Carlotta Baehr, wie sich die Kinderstube auf spätere Beziehungen auswirkt.

Ein Interview

Stellen Sie fest, dass Kinder sich den Eltern ähnliche Partnerinnen und Partner suchen, wenn sie eine glückliche Kindheit genossen haben?

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Carlotta Baehr: Um diese Frage beantworten zu können, möchte ich sie zunächst etwas einordnen. Es gibt sicherlich Menschen, die eine glückliche Kindheit hatten. Ich glaube aber, dass es sich hierbei um eine Minderheit handelt. Viele Menschen haben sich gewissermaßen den Gedanken konstruiert, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben.

Wenn man das Ganze dann aber näher betrachtet, stelle ich fest, dass wir häufig zu einem großen Teil eher beschädigt aus unseren Kindheiten gehen. Nicht, weil wir Eltern haben, die uns als Kinder bewusst schädigen wollen, sondern weil wir in dem Alter zwischen 20 und 30, und manchmal sogar noch bis in die 40er hinein, noch gar nicht so reif sind, als dass wir wirklich vernünftig Kinder großziehen könnten. Während dieser Altersspannen haben Menschen häufig noch so viel mit sich selbst zu tun, dass sie also ungünstige und unbewältigte Konflikte an die eigenen Kinder abgeben.

Trotzdem gibt es Menschen, die von sich sagen, auf eine gute Kindheit zu blicken.

Ja, die gibt es. Natürlich blicken diese Menschen auch auf Konflikte zwischen sich und den Eltern oder unter den Eltern, konnten diese im Familienmanagement aber ganz gut bewältigen. Grundsätzlich glaube ich, dass wir Menschen immer wieder von dem angezogen werden, was uns bekannt ist. Menschen sind zwar anpassungsfähig an herausfordernde und neue Situationen, aber grundsätzlich suchen wir erst einmal das uns Bekannte, indem wir etwa gerne an dieselben Urlaubsorte verreisen oder Rituale mögen. So ist es auch in der Partnerwahl. Häufig wird sich ein Gegenüber gesucht, das mir aufgrund meiner Kindheitsprägung bekannt vorkommt.

Was, wenn Menschen auf eine problematische Kindheit zurückblicken?

Verlaufen die Kindheiten eher schwierig, muss das Ganze natürlich anders betrachtet werden. Es gibt Eltern, die missbräuchlich handeln oder einfach grausam sind. Manchmal versuchen die Kinder, aus dieser Situation auszusteigen, aber das gelingt nicht immer, weil sie sich für diesen Schritt in fremde Situationen begeben müssen und das dem eben beschriebenen Gedanken des Bekannten widerspricht. Bedeutet: Eine Person, die in der Kindheit beispielsweise vernachlässigt wurde und sich dann in eine sehr fürsorgliche Partnerschaft begibt, erhält auf der einen Seite endlich die Befriedigung für die große Sehnsucht, versorgt zu werden.

Auf der anderen Seite ergeben sich dadurch aber neue Konsequenzen: Es kann etwa passieren, dass aus der Paarbeziehung durch den Aspekt der Fürsorge eher eine Art Mutter-Sohn-Konstellation entsteht, was für die Paar- und Sexualbeziehung natürlich schädlich ist. Die eine Bedürfnislage mag also befriedigt sein, bringt aber neue Herausforderungen mit. Im Idealfall erreicht ein Mensch entwicklungstechnisch den Punkt, sich selbst gut versorgen zu können. Bestenfalls benötigt ein Erwachsener keinen anderen Menschen, sondern kommt so gut mit sich selbst zurecht, dass ein Partner oder eine Partnerin vielmehr eine Bereicherung ist und niemand, den man dringend braucht.

"Betroffene müssen also ein ganz neues Strickmuster in ihrem Selbst erlernen"

Der Aspekt des Bekannten ist wirklich spannend. Beobachten Sie in diesem Zusammenhang also, dass Kinder, deren Eltern etwa an einer Alkoholsucht leiden, häufiger in Beziehungen geraten, in denen Suchterkrankungen eine Rolle spielen?

Dazu muss ich zunächst Folgendes sagen: Niemand gerät in eine Situation oder Beziehung hinein. Wir entscheiden uns für sie. Spinnen wir Ihren Gedanken also an dieser Stelle einmal weiter, entscheidet eine Person sich hier bewusst für eine Partnerschaft mit einer suchtkranken Person. Das hat sicherlich mit dem Aspekt des Bekannten zu tun. Aber es hat auch mit der Rolle zu tun, die ein Mensch innerhalb einer Beziehung übernehmen will. Kommt der Tochter eines suchtkranken Vaters also die Situation mit ihrem suchtkranken Partner bekannt vor, übernimmt sie die Co-Alkoholikerrolle. Bedeutet: Sie will sich kümmern, da sein, aufpassen. Sie begibt sich in eine ihr aus der Kindheit bekannte Situation, in der sie sich ebenso kümmern und aufpassen musste. Das ist zwar sehr leidvoll, aber es ist eine bekannte Situation und somit gewissermaßen die Eintrittskarte in die Beziehung.

Natürlich wäre die Vorstellung an einen verbindlichen Partner ohne Sucht schön, für die Betroffenen aber meist sehr schwer umsetzbar, weil sie eben jene Situation gar nicht kennen. Die Betroffenen müssen also zunächst einmal ein ganz neues Strickmuster in ihrem Selbst erlernen.

Ist es überhaupt möglich, aus dieser Spirale auszubrechen und, wie Sie sagen, ein neues Strickmuster zu lernen?

Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Aus meiner professionellen Sicht zeigt es das Spannende an Paartherapien, weil das Miteinander innerhalb einer Beziehung ehrlich auf den Tisch gelegt werden muss. Die Menschen können ihr Miteinander also anders lernen. Das kann nur im Zusammenspiel mit dem Gegenüber geschehen, mit dem konkret im Alltag neue Verhaltensmuster erlernt und erfühlt werden.

Lassen Sie uns über die allseits bekannte Aussage "Ich wünsche mir einen Partner/eine Partnerin, der/die auf keinen Fall so ist, wie mein Vater/meine Mutter" sprechen. Kann es Menschen, die sich beispielsweise in ihrer Kindheit oft mit ihrem Elternteil gestritten haben, gelingen, mit einem vermeintlich gegenteiligen Menschen eine Beziehung zu führen?

Gegenteilig würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass dieser Mensch sich also gar nicht streitet. Es ist also die Kehrseite der Medaille und damit ist schlussendlich auch nichts gewonnen. Blicken wir zum Beispiel auf eine strittige Vater-Tochter-Beziehung: Was hier seitens des Vaters fehlt, ist eine gute Konfliktfähigkeit, die er idealerweise an sein Kind weitergeben kann. In dem hier beschrieben Fall kann er das aber nicht und somit gelingt es ihm nicht, seine Spannungen zu regulieren.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Tochter ebenso wenig Streitfähigkeit besitzt, weil sie diese nicht vermittelt bekommen hat. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie eine Beziehung führt, die ebenso hochstrittig geführt wird. Es kann aber natürlich auch passieren, dass sie eine Beziehung mit einem Menschen eingeht, der sich gar nicht streitet – doch die Fähigkeit der Konfliktbewältigung hat sie weder in der einen noch in der anderen Konstellation gelernt.

Ist diese beschriebene Konstellation etwas, das Sie häufiger bei einem Geschlecht beobachten?

Tatsächlich kommen häufiger Frauen mit dieser Problematik zu mir. Häufig schildern die Betroffenen mir, dass innerhalb der Beziehung kaum miteinander geredet oder häufig gestritten wird. Aber besonders herausfordernd sind die, die in ihren Beziehungen nie streiten.

"Sowohl biologisch als auch emotional findet zwischen Mutter und Kind eine intensivere Bindung statt"

Ganz gleich, ob Menschen auf eine positive oder negative Kindheit blicken – häufig ist ihnen der "Segen der Eltern" bei ihrer Beziehungswahl sehr wichtig …

Das ist wirklich faszinierend. Ich habe schon häufig über diese Frage nachgedacht und festgestellt, dass ich selbst im Alter von etwa 40 Jahren meiner Mutter einen neuen Partner vorgestellt habe – obwohl ich selbst keine besonders gute Beziehung zu meiner Mutter hatte. Mir war es dennoch wichtig, dass sie diesen Mann gut fand – und sie fand ihn auch gut. Es gibt eine Studie, die aufzeigt, dass auch Leute im höheren Alter sehr daran interessiert sind, dass die Eltern die Partnerwahl befürworten. Dabei geht es häufig hauptsächlich um die Mutter und ihre Akzeptanz.

Ist die Mutter also im klassischen Elterngefüge häufig jener Part, der bewusst oder unbewusst Einfluss auf das Kind in der Beziehungswahl ausübt?

Ja, sowohl biologisch als auch emotional findet zwischen Mutter und Kind eine intensivere Bindung statt. Wir beobachten inzwischen zwar eine positive Entwicklung mit Blick auf die jetzige Väter-Generation, aber in der Regel glänzten die Väter der vorigen Generationen eher durch Abwesenheit. Insofern findet zwischen Mutter und Kind eine andere frühkindliche Bindung statt – die wirkt sich auch auf die Orientierung des Kindes zur Mutter aus. In der Folge greifen Kinder bei Unsicherheiten auf die Mutter zurück, sofern sie denn bestenfalls ein gutes Gegenüber ist. Das Fatale dabei ist aber, dass Menschen auch dann auf die Mutter zurückgreifen, wenn sie kein gutes Gegenüber ist. Der Wunsch, sie möge ein gutes Gegenüber sein, bleibt bei sehr vielen Menschen unerfüllt und dementsprechend lange bestehen.

Unerfüllte Wünsche spielen also oft eine entscheidende Rolle.

Die Psychoanalyse geht davon aus, dass wir uns immer wieder die gleichen schwierigen Parts aussuchen. Das geschieht in der Hoffnung, diesen inneren Konflikt des Kindes mit dieser Partnerschaft lösen zu können. Wenn ich als Kind beispielsweise meinen alkoholkranken Vater nicht dazu bewegen konnte, mit dem Trinken aufzuhören, suche ich mir als erwachsene Frau also wieder einen Alkoholiker. Das geschieht in der Hoffnung, diesen Mann dann zumindest bekehren zu können. Dieses Muster zeigt sich auch häufig bei Kindern, die etwa aus Missbrauchsfamilien kommen.

In Freundschaften der Kinder einmischen? Es gibt eine wichtige Regel

"Ich finde deinen Freund total unsympathisch!" Sollten wir so etwas zu unserem Kind sagen? Wie wir erkennen, wann unsere Meinung gefragt ist, erklärt Therapeutin Anette Frankenberger in unserem Podcast "15 Minuten fürs Glück". (Foto: iStockphoto/laflor)

Ist es nicht ein nachzuvollziehender Gedanke, einen Menschen retten zu wollen?

Ja, ist es. Es bildet einen starken inneren Konflikt ab, in dem sich ein Mensch befindet. Wenn ich meine schwierigen Elternerfahrungen nicht bearbeite, bleiben sie konflikthaft in mir. In der logischen Konsequenz geht man also unbearbeitet in eine gleiche Situation, von der man sich erhofft, sie bewältigen und ändern zu können. Doch die Konfliktlösung liegt laut Psychoanalyse nicht darin, dass der Partner oder die Partnerin sich anders als der Vater oder die Mutter verhält. Denn der innere Konflikt bleibt, weil er mit dem Elternteil stattgefunden hat – nicht im Rahmen der Beziehung. Die Wunden, die ein Mensch also aus seiner Kindheit mitnimmt, können nicht durch den Partner oder die Partnerin geheilt werden, indem diese Person möglicherweise seine Alkoholsucht besiegt.

Was, wenn Eltern ganz bewusst Einfluss nehmen wollen auf die Beziehung ihrer Kinder?

Wenn Faktoren wie etwa Nationalität, Ausbildungsgrad, eine bereits gescheiterte Ehe oder etwa eine kriminelle Vergangenheit im Mindset der Eltern eine Rolle spielen, kann das natürlich eine Auswirkung auf das Handeln des Kindes haben, vor allem dann, wenn dieses in sich nicht stabil ist und die Ablehnung der Eltern nicht gut aufnimmt. Bedeutet: Wenn das Kind auf das Wohlwollen und die Zustimmung der Eltern angewiesen ist, wird es also schwierig. Es gibt natürlich aber auch die andere Form der Reaktion, indem das Kind sich denkt: "Jetzt erst recht". So oder so: Beide Varianten bringen eine Auseinandersetzung mit sich.

Zur Person:

  • Carlotta Baehr ist Paar-, Sexual-, Familien- und Einzeltherapeutin in Hannover. Ein besonderes Anliegen ihrer langjährigen psychotherapeutischen Tätigkeit ist es, dass die Patienten in ihrem Tempo zu ihren eigenen Lösungen und Antworten finden. Denn die Expertin ist davon überzeugt, dass jeder Mensch den Schlüssel zu seiner Problemlösung bereits in sich trägt.
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