Wer an Berlin denkt, hat nicht unbedingt Biber, Eisvögel und Schildkröten im Kopf. Mit einer Zelt- und Paddeltour im Südosten der Hauptstadt ändert sich der Blick auf Berlin.

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Meine Tochter und ich haben im September genau eine Woche Zeit. Die warmen Tage wollten wir nicht ungenutzt verstreichen lassen. Also heißt es: Zelte und Boote raus – hallo Wasser, wir kommen. Unsere Recherche rund um Berlin führt uns in den Südosten der Hauptstadt, wo der Brandenburger Landkreis Oder-Spree beginnt. Badeseen und Campingplätze, die auf Bootstourismus eingestellt sind, überzeugen uns schnell. Das heißt, wir können unsere Kajaks einfach am Ufer liegen lassen. Meist befindet sich die Zeltwiese für Wasserwandernde direkt daneben. So haben wir immer alles beisammen.

1. Etappe: Biwak-Wasserwanderer-Rastplatz bei Neu Hartmannsdorf (10 km)

Am Nachmittag treffen wir an unserem Startpunkt ein, der Kanustation in Hangelsberg, einem Ortsteil von Grünheide. Wer ohne Boot ankommt, leiht sich einfach die Ausrüstung vor Ort. Wir nutzen die Zeit, um auch mental anzukommen, checken unser Equipment, machen die letzten Besorgungen für die nächsten Tage auf dem Wasser und paddeln uns ein wenig ein. Die Kanustation hat ihre Zeltwiese auf kleinen Terrassen mit Blick auf die Müggelspree und ihre Wiesen und Wälder angelegt. Der Sonnenuntergang wirkt märchenhaft und schürt unsere Vorfreude.

Das Paddeln ist vorbereitet. Während wir unser abendliches Curry kochen, prüfen wir unsere täglichen Essensrationen und den Wasservorrat für die kommende Zeit. Im Gespräch mit weiteren Kanuten erfahren wir von einer nahe gelegenen Biwakstelle, auf der wildes Campieren erlaubt ist. So schnell kann also ein weiterer Reisetag dazukommen.

Zufrieden mit den ersten Eindrücken vom Anreisetag bauen wir unser Zelt auf. Beide spüren wir richtig große Lust auf den nächsten Morgen. Nach einem sehr, sehr leckeren Frühstück bei der Kanustation starten wir in den Tag. Weil sich unsere erste Tagestour bis zur wilden Campingstelle nun auf nur zehn Kilometer Gesamtstrecke verkürzt hat, haben wir keine Eile und nutzen ausgiebig die Badestelle, bevor wir uns in die nun voll beladenen Boote setzen.

Wir paddeln die Müggelspree flussabwärts. Lange sehen wir keine Häuser, nur Wiesen und sumpfähnliche Gebiete. Wir treffen auch auf wenige Kajaks, September scheint Off-Season zu sein. Ich liebe die Stille beim Paddeln. Sie lädt zum Beobachten und Wahrnehmen ein. So sehen wir etwa eine stockähnliche Erscheinung, die auf dem Wasser hin- und herwiegt. Der vermeintliche Stock enttarnt sich als Schildkröte, die gemütlich ans Ufer krabbelt. Als wir an eine traumhafte Stelle heranpaddeln, wissen wir: Das ist unsere "wilde" Campingstelle für diese Nacht. Ein Blick auf die Wasserkarte bestätigt den Eindruck. Wir ziehen die Boote aus dem Wasser und werden von einer großen, satten Wiese begrüßt, begrenzt von hohen Bäumen und dichten Hecken. Hier sind wir ganz allein für diese Nacht.

Wir kochen ein einfaches Essen und bauen schnell das Zelt auf. Dann haben wir mehr Zeit und können unseren Blick über die Idylle schweifen lassen oder Nutrias beim Spielen im Wasser zusehen. Legales Wild-Campen ist so selten und einfach ein Traum. Gleichzeitig schenke ich meiner elfjährigen Tochter etwas Gelassenheit, was das Campen in freier Natur angeht.

2. Etappe: Campingplatz Jägerbude in Grünheide (10 km)

Nach einem nächtlichen Gewitter scheint am Morgen die Sonne. So macht Frühstücken gleich viel mehr Spaß. Dabei erkläre ich meiner Tochter, dass wir an diesen Naturorten ganz ohne Seife auskommen. Teller und Tassen spülen wir im Flusswasser, mehr nicht. Bestätigt wird diese Naturlektion von den Rehen, die wohl gerade am Fluss getrunken haben und durch unsere Bewegungen oder Geräusche weghuschen.

Dann geht es mit den Kajaks weiter. Auch heute wird es eine recht kurze Etappe, weil wir ja aus einer geplanten Tagestour zwei gemacht haben. Also bleibt uns viel Zeit, um uns treiben zu lassen. Die Strömung nimmt uns sanft mit entlang den Wiesen, dem Schilf und den Blumen. Ornithologen hätten ihre Freude am Gezwitscher in diesem wilden Flussabschnitt.

Zwischendurch steigen wir an gut zu erreichenden Uferstellen aus. Beim Beinevertreten entdecken wir unser Abendessen: Hallimasch. Die Pilze bereiten wir auf der Zeltwiese für Wasserwanderer vom Campingplatz Jägerbude zu. Kajaks, Zelt und Essen – wie gewohnt alles nahe beieinander und direkt am Wasser.

Wohin soll es morgen gehen? Wir müssen uns entscheiden, ob wir Richtung Krossinsee zum Campingplatz Berlin oder zum Flakensee paddeln. Unsere Ideen für den nächsten Tag formen sich nach einigen Gesprächen mit anderen Campern, und wir entscheiden uns für den Campingplatz am Flakensee. Der Platz soll einen traumhaft großen Sandstrand haben, und die Löcknitz dahinter sei wundervoll. Für unseren geplanten Trip nach Berlin ist der Flakensee auch eine ideale Ausgangslage dank Anbindung an die S-Bahn.

3. Etappe: Campingplatz Flakensee bei Berlin in Woltersdorf (10 km)

Wieder meint es die Sonne gut mit uns, und wir können alles schnell und trocken in den Booten verstauen. Heute verlassen wir die am Ende dunkler werdende Müggelspree mit ihren romantischen Gartenhäusern am Ufer und überqueren den Dämeritzsee. Auf diesem See sind viele Motorboote unterwegs, und es herrscht reger Schiffsverkehr. Auf der anderen Seite mündet der See in einem engen Kanal zum Flakensee. Ich schaue mir alles noch einmal genau auf der Karte an und erkläre meiner Tochter, wo wir entlangpaddeln: immer am Rand bleiben, bei spontan von Booten ausgelöstem Wellengang die Kajaks parallel aneinander und aktiv gegen die Welle stellen, aufrechte, aber lockere Körperhaltung.

Wir machen das nicht zum ersten Mal, doch unsere leichte Aufregung bestätigt sich beim Übergang von der gemütlichen Müggelspree auf den offenen Dämeritzsee. Viele Boote. Motorboote, Dampferboote, Ausflugsboote, Hausboote. Unsere Erfahrung auf dem Wasser beruhigt uns. Falls wir kentern, schwimmen wir ans nahe Ufer. Das haben wir schon oft geübt.

Die Überquerung des Dämeritzsees verläuft ohne Pannen, aber mit viel Krafteinsatz. Zur Belohnung und zum Kräftetanken gönnen wir uns eine Eispause im Stadtcafé von Erkner. Die Boote machen wir an der öffentlichen Anlegestelle vor dem Eingang zum Kanal fest und gehen mit den Paddeln los. Der darauffolgende Engelkanal macht seinem Namen keine Ehre. Er wird zu unserer nächsten Herausforderung. Der Kanal ist so eng, dass wir uns bei starkem Wellengang nicht parallel stellen können, um die Boote zu stabilisieren. Jede von uns paddelt nun für sich allein. Meine Tochter paddelt voraus. Erfreulicherweise ist der Kanal nur einen Kilometer lang und der Abschnitt schnell vorüber. Alles wirkt komplett anders als die Tage zuvor. Wir kommen auf den offenen Flakensee.

Zum Glück halten die Ankündigungen der anderen Camper ihr Versprechen. Ein entspannter Naturcampingplatz empfängt uns auch an diesem See. Schräg gegenüber vom Kanalausgang wartet unser Stellplatz für diese Nacht. Das sagt uns die Wasserwanderkarte, denn sehen können wir nur den goldbraunen Sandstrand, nicht jedoch das Campinggelände rechts daneben.

Während wir am Ufer entlangpaddeln, tauchen zwischen den vielen Bäumen die ersten Zelte und Wohnwagen auf, sandige kleine Buchten mit flachem Eingang und das Tor im Zaun, wo wir unsere Boote hindurchschieben können. Nach diesem spannenden Tag haben wir keine Lust mehr zu kochen. Hallo Strandkiosk! Im Gespräch erfahren wir von weiteren Paddelzielen und Naturcampingplätzen: Hölzener See, Schmöldesee und Motzener See, die alle verbunden sind durch Wasserstraßen und die wir uns sofort als nächste Kajak-Zelt-Abenteuerziele abspeichern.

4. Zurück zum Campingplatz Flakensee bei Berlin in Woltersdorf (13 km)

Während des Müsli-Frühstücks – dank Einkauf in Erkner wieder mit frischem Obst – wägen wir ab: weiterpaddeln oder Berlin unsicher machen. Der Münzwurf entscheidet: heute paddeln und morgen Hauptstadt. Dieser Campingplatz mit Blick auf den See darf für weitere zwei Nächte unser zu Hause sein. Wir wollen die Löcknitz entlangpaddeln, Richtung Werlsee. Darin soll eine einsame Insel mit dem Namen Liebesinsel liegen – unsere Neugier ist geweckt.

Am letzten Paddeltag werden wir noch einmal richtig belohnt. Ein Eisvogel. Mitten auf der Löcknitz, Wahnsinn! Wir paddeln weiter und erreichen den offenen Werlsee mit seiner einsamen Liebesinsel. Kleine Buchten zum Baden, einsame Strände für ein Picknick und eine verlassene Ferienfreizeitanlage mit Haus- und Spielplatzruinen – wir sind mitten in einem etwas schaurigen Entdecker-Abenteuer. Sind wir wirklich allein? Auf dem Rückweg wechseln wir in einen schmalen, parallellaufenden Seitenarm der Löcknitz gleich links nach der Ortschaft namens Fangschleuse.

Auf einmal fühlen wir uns nach Kanada versetzt. Die Natur – so wild, dicht und fast stumm, der Wasserweg komplett grün und blühend, naturbelassen, einsam und verkrautet, sodass unsere Paddel mehrfach stecken bleiben. Die Rückkehr auf motorbootbefahrene Wasserstraßen gleicht einem Kulturschock – auch wenn wir nur eine Stunde in der wilden Natur unterwegs waren. Wir kommen spät am Abend zum Campingplatz zurück.

Der Ort ist uns schon vertraut. In der Abendstimmung verhält sich der Flakensee komplett ruhig, und wir genießen einfach noch eine halbe Stunde auf dem Wasser herumtreibend. Danach planen wir unser Großstadtabenteuer für den nächsten Tag. Mit der Regionalbahn geht es von Erkner in 30 Minuten und mit der Berliner S-Bahn in 45 Minuten zum Alexanderplatz.

Berlin-Ausflug per Bahn

Am letzten Tag statten wir Berlin einen Besuch ab: Fernsehturm am Alexanderplatz, Naturkundemuseum und Berliner Mauer. Durch die unkomplizierte Anfahrt per Bahn bleiben uns schon einmal der chaotische Verkehr und die Parkplatzsuche erspart. Einen Tag lang die Highlights der Stadt bestaunen ... klappt für mich unglaublich gut, wenn ich am Abend ins Grüne zurückkehren kann.

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Nach einem Tag mit müden Füßen fahren wir direkt mit der Bahn zur Kanustation Hangelsberg und holen das Auto. Wir freuen uns schon auf die letzte Nacht auf dem Campingplatz Flakensee bei Erkner, auch wenn die Sonne schon längst untergegangen ist. Die Mischung aus Natur und Großstadt-Feeling hat uns sehr gut gefallen, und wir fragen uns schon, welche Stadt uns diese Kombination wohl noch bieten kann. Oder ob wir nächstes Mal die Müggelberge-Umrundung per Boot machen und uns die anderen Berlin-Highlights anschauen.  © Promobil

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