Köln (dpa/tmn) - Wenn ausländische Freunde Heinrich Böll in den 1970er Jahren in seiner Heimatstadt Köln besuchten, dann erwartete sie ein straffes Besichtigungsprogramm. Man kann es als Köln-Tourist bis heute wiederholen - allerdings braucht man dafür Durchhaltevermögen.
Der Schriftsteller führte seine Gäste zunächst in die romanischen Kirchen. Er zeigte ihnen St. Maria im Kapitol, St. Georg, St. Severin, St. Gereon und St. Ursula. Schweren Herzens verzichtete er auf die restlichen sieben. Danach folgten der ausgegrabene römische Statthalterpalast, dann erst der Dom, denn den mochte Böll nicht besonders: Ihn störten die Türme. Es folgten zwei Museen, Römisch-Germanisches und Wallraf-Richartz. Kurze Erholung gefällig? Dann bitte zum Rhein.
Während des Spaziergangs am Strom referierte Böll in seiner tiefen Kettenraucher-Stimme über Köln als Brückenstadt. In Anbetracht der nahen Altstadt-Restaurants hielt er es nun vielleicht für angebracht, einen Imbiss einzunehmen. Aber nur vielleicht - denn eigentlich wäre es doch viel lohnenswerter, noch weitere romanische Kirchen zu sehen.
Heinrich Böll hat fast sein ganzes Leben in Köln verbracht. Und doch war es so, als hätte er in drei verschiedenen Städten gelebt: im Vorkriegs-Köln, im zerstörten Köln und im Nachkriegs-Köln. Das Haus in der Südstadt, in dem er vor 100 Jahren am 21. Dezember 1917 geboren wurde, steht noch (Ecke Teutoburger/Alteburger Straße). Im alten Köln mit seinen Gassen und Giebeln sei man sich wie in einer Stadt in Flandern vorgekommen, etwa in Antwerpen oder Gent, sagte Böll später. Nur im Martinsviertel in der sogenannten Altstadt rund um Groß St. Martin hat sich diese Atmosphäre noch erhalten. Bis heute kann man hier dem Köln des Kaiserreichs nachspüren.
Böll kannte auch noch das unzerstörte Zentrum mit seinen Gassen und Giebeln. Kölns Altstadt war bei Beginn des Zweiten Weltkriegs neben Lübeck, Nürnberg und Frankfurt eine der größten in Deutschland. Einen Eindruck davon bekommt man heute nur noch im Martinsviertel, dem kleinen Bezirk zwischen Alter Markt, Heumarkt und Rhein.
Das zweite Köln erlebte Böll, als er im September 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Die Stadt war stärker bombardiert als Dresden. Der englische Dichter Stephen Spender schilderte im Sommer 1945: "Der Rhein mit all seinen zerstörten Brücken bot am Tag, als ich über die Ponton-Brücke fuhr, ein Bild von erschreckender Erhabenheit."
Böll empfand ganz ähnlich wie Spender: "Das zerstörte Köln hatte, was das unzerstörte nie gehabt hatte: Größe und Ernst." Die Ruinenstadt war für ihn auch ein Ort der Hoffnung. Vergangen war schließlich die Stadt unter dem Hakenkreuz. Stattdessen entstand in seinen Augen nun so etwas wie die klassenlose Gesellschaft.
In der Trümmerwüste erlebte der junge Schriftsteller glückliche Stunden. Er saß in seiner Mansarde, trank Tee, rauchte Zigaretten und tippte auf der alten Schreibmaschine seines Vaters. Als die Trümmer schließlich weggeräumt wurden, war er überhaupt nicht begeistert: "Ich habe keine Schippe angefasst."
Das moderne Köln interessierte Böll nicht mehr. Er nannte es das "Auto-Köln". "Köln ist für mich eine verschwundene, versunkene Stadt, in der ich einige Punkte noch erkenne, und das sind eben hauptsächlich die Kirchen, die romanischen Kirchen", sagte er ein Jahr vor seinem Tod. In gewisser Weise sehnte er sich nach der Kargheit der Trümmer zurück. Einen Eindruck davon gibt sein Arbeitszimmer, das im zweiten Stock der Kölner Stadtbibliothek überdauert. Der abgewetzte Schreibtisch, das Bambusbett - niemand würde auf die Idee kommen, dies für die Wirkungsstätte eines bedeutenden Autors zu halten.
Böll stand als Person und Schriftsteller in Opposition zu vielem, was die junge Bundesrepublik ausmachte. Am Ende seines Lebens fühlte er sich in seiner Heimatstadt so fremd, dass er sie verließ. Er wohnte danach entweder in Bornheim-Merten oder in Langenbroich in der Eifel. Dort ist er im Juli 1985 gestorben, und in Merten liegt er begraben. Nach Köln zurück wollte er nicht.
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