Noch vor einem Jahrzehnt hätten selbst Optimisten nicht davon zu träumen gewagt, inzwischen ist es Realität: die Arbeitslosigkeit ist auf ein historisches Tief gefallen. Jetzt, da dem Arbeitsmarkt ein Dämpfer droht, stellt sich die Frage: Geht da noch was?
Es schien ein Boom ohne Ende - und selbst versierte Arbeitsmarktexperten wagten zuletzt kaum noch eine Prognose über die Dauer des deutschen Jobwunders. Zu oft haben sie mit ihren skeptischen Ausblicken danebengelegen.
Die überraschenden Mai-Zahlen sorgen nun aber doch für eine gewisse Ernüchterung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten präsentiert die Bundesagentur für Arbeit im Mai steigende Arbeitslosenzahlen.
Mit 2,236 Millionen lagen sie um 7.000 über dem Aprilwert - allerdings vor allem ausgelöst durch eine Korrektur in der Statistik. Kein Wunder, dass manche angesichts der aktuellen Zahlen bereits über das Ende des Jobaufschwungs orakeln.
Und selbst ausgewiesene Fachleute beschäftigt inzwischen die Frage: Geht beim Jobaufschwung noch was? Die meisten beantworten die Frage mit einem klaren Ja.
Strittig ist unter ihnen allenfalls das Tempo, mit dem die Zahl der Jobsucher künftig weiter sinkt - und wo sich die Talsohle befindet, auf der sie einmal landen könnte.
Bis zu 380.000 Jobsucher weniger möglich
Spielraum nach unten sieht der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vor allem bei Kurzzeitarbeitslosen, die - anders als Hartz-IV-Empfänger - Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung beziehen.
In diesem Bereich war der Abbau der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren in Stocken geraten. "Dabei spricht einiges dafür, dass auch hier ein weiterer Abbau möglich ist", betont der Leiter des IAB-Forschungsbereichs Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen.
Dazu müsse in den betroffenen Regionen mehr dafür getan werden, dass Jobsucher schneller eine neue Arbeit fänden, besser noch ihre alte erst gar nicht verlieren. Dass da mehr geht, mache etwa die geringe Arbeitslosigkeit etwa im bayerischen Landkreis Eichstätt deutlich.
Gelänge es Landkreisen mit höherer Arbeitslosigkeit, den Abbau der Erwerbslosenzahl auf das Durchschnittsniveau der 75 besten zu heben, könnte bundesweit die Arbeitslosenzahl um 123.000 sinken, rechnet Weber vor.
Nehme man die Spitzengruppe als Maßstab, könnten es künftig sogar 380.000 weniger Jobsucher sein.
Prognosen bleiben schwierig
Trotzdem blieben Prognosen für die nächsten fünf bis zehn Jahre schwierig, machen Arbeitsmarktforscher deutlich. Denn darin fließen mehrere, nicht immer einfach zu kalkulierende Stellgrößen ein - etwa die Zahl der in Ruhestand wechselnden Beschäftigten.
Die war schon bisher relativ groß. Allein dieses Jahr werden etwa 340.000 Menschen altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Und wenn erst die Babyboomer der Jahrgänge 1957 bis 1965 die Altersgrenze erreichen, dürften die Zahlen noch mal in die Höhe schnellen, schätzt Weber. Das dürfte nicht ohne Einfluss auf die Arbeitslosenzahl bleiben.
Der Arbeitsmarktforscher Karl Bremke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt indes davor, den Demografie-Effekt bei Arbeitslosen-Prognosen zu stark zu gewichten.
In den vergangenen Jahren seien trotz des starken Einflusses der Demografie die Zahl der Beschäftigten stark gestiegen, ohne das die Arbeitslosigkeit im gleichen Maße gesunken sei.
Das habe gleich mehrere Gründe: Viele Frauen strebten zurück ins Berufsleben, viele Ältere blieben länger in ihrem Job. Hinzu komme die Zuwanderung aus dem Ausland.
Das sieht IAB-Arbeitsmarktforscher Weber ähnlich: "Die Demografie ist eher der Hintergrund, vor dem alles passiert. Aber wenn wir den demografischen Effekt nicht hätten, hätten wir sicherlich eine größere strukturelle Arbeitslosigkeit", räumt Weber ein.
"Aggressive Aus- und Fortbildung" nötig
Andererseits gehen nach Einschätzung der Experten die Zeiten größerer Zuwanderungen vor allem aus Osteuropa zu Ende. Dort sinke nicht nur die Zahl junger Arbeitskräfte, die auf den Arbeitsmärkten Westeuropas ihr Glück suchten.
Die möglichen Folgen: Weniger Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland, bessere Chancen für deutsche Jobsucher und damit über kurz oder lang auch weniger Arbeitslose in Deutschland, lautet ein Szenario der Arbeitsmarktforscher.
Was die weitere Verringerung der Hartz-IV-Arbeitslosigkeit angeht, so sind die Arbeitsfachleute hingegen skeptisch. Immerhin, so Weber, sei ihre Zahl in den vergangenen Jahren kräftig gesunken - nicht zuletzt wegen der guten Konjunktur.
"Viele arbeitslos gewordene Männer und Frauen haben schnell wieder eine neuen Stelle gefunden haben und sind dadurch gar nicht erst in den Hartz-IV-Bezug reingekommen."
Dass hier in nächster Zeit mit den bestehenden Förderinstrumenten große Erfolge zu erzielen sind, hält wiederum der Koblenzer Arbeitsmarktforscher Stefan Sell für zweifelhaft.
Viele Menschen, die fünf oder sechs Jahre arbeitslos waren, werden sich nach seiner Einschätzung unter den heutigen Bedingungen der Arbeitswelt nur schwer ins Arbeitsleben integrieren lassen.
Hier seien dringend öffentlich geförderte Beschäftigungen mit einer abschlussorientierten Qualifizierung notwendig. Ohne eine solche "aggressive Aus- und Fortbildung" werde sich weder der "Arbeitskräftemangel" beheben noch die Arbeitslosenzahl in diesem Bereich wirksam senken lassen. © dpa
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