Nach einem fruchtlosen Verhandlungswochenende bringt der hellenische Finanzminister Gianis Varoufakis erneut seine Forderung eines Schuldenschnitts in die Debatte ein. Im Gegenzug will er auf weitere Hilfsgelder verzichten.

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Die Forderung ist keine neue. Im Ringen um eine Einigung mit den internationalen Geldgebern unternimmt Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis einen weiteren Versuch, die Institutionen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds von einem Schuldenschnitt zu überzeugen. Im Gegenzug bietet er den Verzicht auf weitere Hilfsgelder: "Wir wollen kein weiteres Geld", betonte Varoufakis. Im Ansatz mag er nicht unrecht haben – denn weitere Hilfsgelder würden die Schuldenlast Griechenlands nur vergrößern. Doch ein bedingungsloser Schuldenschnitt würde dem Land kaum helfen.

Das wäre nur dann der Fall, "wenn die Reformen nicht nötig wären", sagt Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Anfrage unserem Portal. "Im Prinzip bedeutet der Vorschlag nichts anderes, als dass Griechenland reformunwillig ist. Man sagt zu allen Vorschlägen der Eurogruppe nein und macht dann eigene, die hinter den Vorschlägen der Eurogruppe zurück bleiben und in erste Linie nur ein Ziel haben: es zu vermeiden, Reformen durch das griechische Parlament zu bringen." Offenbar verzichte die Athener Regierung lieber auf weitere Hilfsgelder, als die notwendigen Umstrukturierungen der Renten, der Mehrwertsteuer und der Verwaltung umzusetzen.

Auch Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik (cep) hält Varoufakis' Vorstoß für kurzsichtig. Damit würden "die Probleme nur in die Zukunft verschoben", meint er. Zwar könnte die Streichung der Forderungen, die sich im Juni und Juli auf 12 Milliarden Euro summieren, kurzfristig Erleichterung verschaffen. Würde man diese Zahlungsverpflichtungen in Schulden mit langfristigen Laufzeiten umstrukturieren, "gäbe das sowohl für die griechische Wirtschaft als auch für den Euro einen positiven Schub", meint hingegen Kritikos. Die Gefahr eines Grexit, also eines Ausstiegs Griechenlands aus der Eurozone, wäre damit zwar vorerst gebannt.

Wie kann Griechenland sanieren?

Mittelfristig bliebe aber die Frage, wie der griechische Staatshaushalt saniert werden kann. Auch mit Schuldenschnitt müsste Hellas seine Ausgaben reduzieren. Dafür sind aber nicht zwingend weitere Einsparungen nötig: So könnte die griechische Regierung das Renteneintrittsalter erhöhen – eine Maßnahme, die "ohne soziale Härte" umsetzbar wäre, meint Kritikos. Ebenso ließen sich Steuereinnahmen vergrößern, wenn sie gewissenhafter eingetrieben würden. "Die Frage ist, ob sich in dieser Hinsicht etwas verbessern kann, ohne dass eine Taskforce von außen eingreift", gibt der Wissenschaftler zu bedenken.

Im Gegenzug gegen solche Reformen wäre ein "weicher" Schuldenschnitt denkbar, also eine Verlängerung der Kreditlaufzeiten bei einer gleichzeitigen Senkung der Zinsen. Das würde für Deutschland unmittelbar Einnahmeverluste bedeuten. Langfristig kämen Verluste hinzu, die sich aus der Inflation des Euro bei gleichzeitigem Zinsverzicht ergeben: "Im Grund wäre es genauso wie ein direkter Schuldenschnitt." Kritikos hält diesen für unumgänglich: "Man sollte bereit sein, die Zahlungsforderungen so umzuschulden, dass sie vollständig tragfähig werden." Damit steige zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland in 20 bis 30 Jahren in der Lage sei, die Schulden zurückzubezahlen. Allerdings nur, wenn sich bis dahin die hellenische Wirtschaft erholt.

Die aber hat unter den bisherigen Sparmaßnahmen eher gelitten: "Sparen gegen Hilfsgelder, die eigentlich nur zu einer Schuldenstreckung führen, bringen offensichtlich keinen Erfolg", gibt Kritikos zu bedenken. "Was in den fünf Jahren der Hilfsprogramme für Griechenland nie wirklich diskutiert wurde, ist, wie man Investitionen für Wirtschaft, Infrastruktur und Innovationen generieren kann." Aber auch damit könnte man das Land nicht aus der Krise führen, wenn nicht gleichzeitig Reformen im wirtschaftlichen Bereich - etwa zur Verbesserung des Geschäftsklimas – umgesetzt würden, mahnt der Experte des DIW.

Schuldenschnitt ist der falsche Weg

Auch Kullas hält einen bedingungslosen Schuldenschnitt für den falschen Weg. Schon einmal haben Gläubiger zugunsten Griechenlands auf Zahlungsforderungen verzichtet. 2012 wurden Athen so 110 Milliarden Euro erlassen. "Man hat gesehen, dass das nichts gebracht hat", meint Politikwissenschaftler Kullas. Denn Hellas genieße kein Vertrauen an den Kapitalmärkten. "Also wäre das Land über kurz oder lang wieder überschuldet und bräuchte wieder einen Schuldenschnitt."

Nur wenn Griechenland wieder wettbewerbsfähig werde, könnte ein Schuldenerlass helfen, meint er. "Das Land braucht Arbeitsmarktreformen, eine funktionsfähige Verwaltung, höhere Steuereinnahmen und weniger Ausgaben", fasst er zusammen. "Wichtig ist dabei die Reihenfolge: Man sollte Griechenland einen Schuldenschnitt in Aussicht stellen – aber vorher muss die Regierung Reformen zustimmen und sie auch umsetzen", erklärt Kullas.

Der Politikwissenschaftler hält einen direkten Erlass von Zahlungsverpflichtungen in diesem Fall aber für die bessere Variante. Er habe eine größere Wirkung auf die Kaufkraft der Bevölkerung als ein weicher Schuldenschnitt: "Dadurch fühlen sich die Bürger nicht entlastet", erläutert er. Ein solcher harter Schuldenschnitt würde allerdings Löcher in die nationalen Haushalte reißen. Denn sie müssten teils Zahlungsforderungen selbst decken, teils den dann geschröpften Fonds des Europäischen Stabilitätsmechanismus wieder auffüllen.

Sollte es zu einem Schuldenschnitt kommen, bräuchte es aber ohnehin die Zustimmung der nationalen Parlamente. Ob das gelingen kann, ist fraglich: Zu groß ist die Angst, welche Debatte in Ländern wie Portugal oder Spanien ausgelöst werden könnte, die sich mit strengen Reformen aus eigener Kraft aus ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Misere gerettet haben.

Viel schlimmer aber wären die Auswirkungen eines Grexit: Dann müssten die Geberländer einen Großteil der erteilten Kredite abschreiben. Kritikos rechnet mit 70 bis 80 Prozent. Im Fall von Deutschland wären das 60 Milliarden. Auch deshalb glaubt der Wirtschaftsexperte nicht, dass man es so weit kommen lassen wird. "Es ist mit Sicherheit besser, Griechenland in der Eurozone zu halten. Die Unsicherheit darüber, was passiert wenn nicht, ist zu groß."

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