Das EU-Parlament hat kürzlich neuen EU-Arbeitszeitregeln für Piloten zugestimmt. Die Pläne sorgen europaweit für Kritik, weil sie gefährlich lange Schichten zulasse, sagen die Gegner. Im Interview spricht Airlinepilot und Vorstandsmitglied der Pilotenvereinigung Cockpit Martin-Joachim Locher über die Gefahren der Müdigkeit und erklärt, warum 11-Stunden-Schichten über den Lüften gefährlich werden können.

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Herr Locher, die EU will einheitliche Höchstgrenzen für die Arbeitszeit von Piloten festzulegen. Diese Regeln sollen in ganz Europa gelten. Ist das nicht ein großer Fortschritt?

Martin-Joachim Locher: Grundsätzlich ist ein gutes Vorhaben. Allerdings hat die derzeit geplante Regelung zur Folge, dass einige Staaten (z.B. UK) deutliche Verschlechterungen zu jetzt bestehenden Ausnahmeregelungen hinnehmen müssen. Außerdem sind die jetzt gültigen Regelungen aus unserer Sicht schlecht, so dass eine deutliche Verbesserung dringend notwendig wäre. Die Neuregelung ist leider weit davon entfernt.

Besonders die 11-Stunden Schichten von Piloten stehen in der Kritik. Aus der Wissenschaft kommt die Forderung nach einer Begrenzung auf zehn Stunden. Warum ist diese eine Stunde so entscheidend für die Sicherheit?

Bei der 11-Stunden-Schicht handelt es sich um Nachtflüge. Die von der EASA selbst beauftragten Wissenschaftler sind eindeutig der Meinung, dass ab zehn Stunden die Fehlerhäufigkeit durch Übermüdung deutlich zunimmt. Und selbst die zehn Stunden sind schon ein Kompromiss, in dem die Wirtschaftlichkeit eine Rolle spielt.

Gefährdet also die EU mit ihrer 11-Stunden-Regel die Flugsicherheit und in letzter Konsequenz Menschenleben?

Im Extremfall ja. Müdigkeit wirkt sich auf den menschlichen Körper wie Alkohol aus. Das heißt unter Umständen die Cockpitbesatzung könnte in einer kritischen Phase durch Müdigkeit nicht die erforderliche Leistung bringen.

Aus Ihrer Perspektive: Ist das Problem der Müdigkeit von Piloten eine Randerscheinung oder tatsächlich ein weit verbreitetes Problem?

Es handelt sich hier um ein weit verbreitetes Problem. Es gibt viele Flugunfallberichte in denen Müdigkeit als eine der Unfallursachen genannt wird. In den Vereinigten Staaten wurden beispielsweise nach dem Unfall der ColganAir Maschine in Buffalo der Flugdienst und Ruhezeiten deutlich verschärft, da im Wesentlichen die Müdigkeit der Cockpitbesatzung zum Absturz geführt hat.

Dürfen Piloten während eines Fluges eigentlich kurz schlafen, wenn die Maschine vom Autopiloten gesteuert wird?

Bei manchen Airlines gibt es eine Regelung dazu, die allerdings nur für Ausnahmefälle gedacht ist und auch nur für einen Piloten gilt.

Sind Sie selbst schon einmal unerlaubt eingeschlafen oder hören Sie ähnliche Berichte von Kollegen?

Die Vereinigung Cockpit hat eine Mitgliederbefragung durchgeführt, um herauszufinden, wie vielen Kollegen es schon passiert ist, dass sie im Dienst eingeschlafen sind. Die Zahlen sind erschreckend hoch, so dass es sich um ein Problem handelt das schnellstens im Sinne der Flugsicherheit gelöst werden muss.

Martin-Joachim Locher ist Pilot und Vorstandsmitglied der Pilotenvereinigung Cockpit. Von 1999 bis 2001 flog er für Austrian Airlines. Seit 2001 arbeitetet er bei Hapag Lloyd/ Tuifly auf den Flugzeugtypen Airbus A310 und Boeing 737.
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