Fast 240 Milliarden Euro an Hilfsgeldern sind in den vergangenen vier Jahren nach Athen geflossen. Dennoch geht es dem Land nicht besser als 2010 - im Gegenteil. Die Ursachen dafür liegen in jahrelangem Missmanagement des Staates.

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Es ist nicht das erste Mal, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble deutliche Worte spricht, wenn es um Griechenland geht. Hellas sei selbst schuld an seiner Misere, so Schäuble: "Griechenland hat über viele Jahre über seine Verhältnisse gelebt." Dass die Probleme Griechenlands hausgemacht sind, liegt auf der Hand. Sie haben ihren Ursprung schon vor Jahrzehnten genommen.

"Griechenland hatte über die vergangenen 25 bis 30 Jahre extrem hohe Staatsausgaben", sagt Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin im Gespräch mit unserem Portal. "Bis zum Eintritt in den Euro hat man einfach so viel Geld gedruckt, wie man zum Ausgleich des Staatshaushalts brauchte." Mit dem Beitritt zur Währungsunion sei man auf Kredite umgestiegen, die nun mit viel günstigeren Zinsen belegt waren als die inflationäre Drachme. Das Geld wurde aber nicht investiert, sondern "verkonsumiert", betont der Wirtschaftsprofessor. "In Deutschland gilt die Regel, dass die staatliche Kreditaufnahme nie höher sein sollte als die staatlichen Investitionen. Dieses Prinzip gibt es in Griechenland nicht."

Staatsapparat wächst mit jeder Regierung

Stattdessen sind die Staatsausgaben des Landes bis 2009 immer weiter angestiegen - bis Griechenland sein großes Defizit offenlegte und ab 2010 in die Hilfsprogramme der internationalen Geldgeber eintrat. Der Staatsapparat war mit jeder Regierung angewachsen: "Vor jeder Wahl haben die Politiker ihren Anhängern Jobs versprochen, nach jeder Wahl haben sie Zehntausende Stellen geschaffen", bestätigte selbst der ehemalige Finanzminister Stefanos Manos. "Das Geld wurde in eine aufgeblähte Bürokratie gepumpt - in fette Gehälter für die Angestellten im öffentlichen Dienst." 2012 verdiente ein Drittel der griechischen Erwerbstätigen dort ihr Geld. "Das Staatsdefizit in den Krisenjahren war wegen dieses hohen Anteils von Staatsdiener sehr hoch", sagt Kritikos.

Zwar hat die Vorgängerregierung unter Antonis Samaras den übergroßen Staatsapparat bereits zurückgebaut, doch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bemängelt in ihrem jüngsten Bericht immer noch die "gravierende Ineffizienz des riesigen öffentlichen Dienstes". Dazu gehört auch die Zahl der Sondergremien, die die Regierung immer wieder einsetzt. Etwa für den schon im vergangenen Jahrhundert ausgetrockneten See Kopias. Tatsächlich gibt es Kommissionen und derlei Gremien, die bis zu 10.000 Mitarbeiter beschäftigen. Jährlich drücken diese Sonderposten mit 100 Millionen Euro auf die Staatskasse. Schon Samaras versprach, sie zu reduzieren. Zudem hatten Beamte Ansprüche auf Boni von bis zu 1.300 Euro monatlich - für die Nutzung von Computern, das Beherrschen einer Fremdsprache oder simple Pünktlichkeit. Inzwischen sind die Boni zwar gekürzt worden - ganz abgeschafft sind sie aber nicht.

Athen zahlt Renten - auch an Tote

Einer der größten Ausgabeposten stellt aber nach wie vor die Rente. Zwar wurde sie inzwischen um etwa ein Drittel von einst 80 Prozent des durchschnittlichen Lohns auf etwa 55 Prozent gesenkt. Das deutsche Rentenniveau liegt bei 48 Prozent. Noch 2010 erhielten Pensionäre zweimal im Jahr - zu Ostern und zu Weihnachten - Zuschläge in Höhe einer Monatsrate. Zudem zahlte der Staat zehn Prozent der Renten an Menschen, die längst verstorben waren. Unverheiratete oder geschiedene Töchter von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes können Rente beantragen - etwa 40.000 Frauen profitieren davon. Und wird jährlich Kosten von 550 Millionen Euro auf.

Erst mit den Sparauflagen der Institutionen wurde das Frührentenalter - allerdings mit zahlreichen Ausnahmen - auf 62 Jahre angehoben. Zuvor war es möglich, mit unter 50 Jahren bereits in den Ruhestand zu treten. Dabei leidet die griechische Gesellschaft ähnlich wie in anderen europäischen Ländern unter zunehmender Überalterung der Gesellschaft. Experten gehen davon aus, dass selbst mit den nun vorgenommen Reformen das Sozialsystem in den nächsten 15 Jahren zusammenbricht, wenn es nicht grundlegend restrukturiert wird.

130.000 Soldaten und 1.600 Panzer für 11 Millionen Griechen

Allerdings bringt die weitere Kürzung der Renten auch Probleme mit sich: "Man darf nicht vergessen, dass es keine Sozialhilfe gibt", erklärt Kritikos. Griechenland ist der einzige EU-Mitgliedsstaat, der kein soziales Netz hat für jene, die nach einem Jahr aus der Arbeitslosenversicherung fallen. "Es wird Zeit, dass in Griechenland eine soziale Mindestabsicherung eingeführt wird. Das würde auch die Akzeptanz für weitere Reformschritte erheblich erhöhen", meint der Wirtschaftswissenschaftler.

Dabei könnte in einem ganz anderen Bereich sinnvoll gespart werden: Keine andere Armee ist so groß wie die der Hellenen. 130.000 Soldaten und insgesamt 1.600 Panzer kommen auf 11 Millionen Einwohner. Zwar wurden mit den Sparauflagen der Institutionen die Neuausgaben im Militär begrenzt, doch laut Nato-Angaben liegen Griechenlands Rüstungsausgaben seit Jahrzehnten deutlich höher als bei anderen Mitgliedsstaaten. 3,1 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung wendete das Land dafür auf. Bis 2009 belegte Griechenland den fünften Platz der größten Rüstungsimporteure der Welt. "Die anteiligen Rüstungsausgaben im Staatshaushalt sind sehr hoch", meint Wirtschaftsexperte Kritikos: "Das muss sich ändern."

Auch bei der Steuer gibt es immer noch Nachholbedarf. Zwar hat die griechische Regierung angekündigt, künftig auch Superreiche und Reeder stärker beziehungsweise überhaupt zu besteuern. Kritikos fordert außerdem eine bessere Prüfung der Selbstständigen, die die Pflichtabgaben immer wieder umgehen. Viel erreichen könnte die Regierung womöglich sogar mit einer Steuererleichterung, meint der Experte. "Die Frage ist, ob man nicht sogar mehr erreichen könnte, wenn man die Steuer erniedrigt, dafür aber mehr Menschen einzahlen, indem man die Bemessungsgrundlage verbreitert und das Eintreiben der Steuern verbessert." Denn unter den gegebenen Umständen sei es für Unternehmen wenig attraktiv, zu expandieren. Unternehmensgründungen gebe es kaum. Zudem fließt kaum Geld in Forschung und für Innovationen - nur 0,6 Prozent der öffentlichen Ausgaben fließen in diesen Bereich.

Auch deshalb lehnt Kritikos pauschale Sparmaßnahmen ab. "Das Wichtigste, was Griechenland tun muss, ist nicht, weitere Einsparungsmöglichkeiten zu suchen, sondern Reformen umzusetzen, die die Privatwirtschaft fördern." Solange sich das nicht ändere, fürchtet der Wirtschaftsprofessor, "wird man das Land in die nächste Rezession 'hineinsparen'."

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