Mit dem Gravelbike von Rifugio zu Rifugio: Auf 1.100 Kilometern mit 37.000 Höhenmetern führte das neue Bikepacking-Abenteuer Sneak Peaks durch die italienischen Dolomiten und das slowenische Triglav-Gebirge. Unbändiges Terrain, bis zu 30 Prozent steile Anstiege, Dauerregen, Schnee und Minusgrade im italienischen Spätsommer verlangten den Teilnehmer:innen eine Menge ab. Einer von ihnen war Markus Baden. Wie er seine Fahrt durch die Berge erlebt hat, verrät er in seinem Sneak Peaks Tagebuch.

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Tag 0: Sneak Peaks meets Ahoi Minigolf


Sneak Peaks ist kein Ultrarennen, sondern eine Bikepacking-Expedition. Die Eckdaten der langen Adventure-Route: 36.760 Höhenmeter auf einer Strecke von 1086 km, welche die wildesten Landschaften und schönsten Rifugios der Dolomiten zwischen Bozen und Slowenien miteinander verbindet. Erstausgaben von Bikepacking-Events ziehen positiv verrückte Menschen an. Mehr als zehn Fahrer:innen kenne ich schon vom Bohemian Border Bash Race letztes Jahr. Rapha, der kreative Kopf und Veranstalter von Sneak Peaks, erklärt beim Rider-Briefing die Schlüsselstellen der Route. Das Wort Geröllfeld bleibt im Gedächtnis. Ein paar unbeteiligte Italiener beobachten das Schauspiel mit fragenden Gesichtern und widmen sich lieber wieder ihrer Partie Minigolf.

Die Prinzipien von Sneak Peaks sind ein feierliches Antidot zur Kommerzialisierung der Ultraszene: buntes Fahrer:innenfeld, Soli-Tickets, Party Pace, no-flight Rule, kein Zeitlimit, gemeinsames Radfahren explizit erwünscht.

Noch ein paar bewundernde Blicke auf liebevoll aufgebaute Räder und treue Begleiter: pinkes Curve GMX, old-school Steppenwolf MTB, Fairlight Faran im Randonneur-Stil,ein custom Rocket Titanium Hardtail. Mein bewährtes Rose Backroad zählt zu den Leichtgewichten im Feld und trägt Minimalgepäck: Notfall-Biwacksack, ultraleichter Schlafsack, Regenjacke, Regenhose, Daunenjacke, Powerbank, Tools, Snacks.

Tag 1: Party Pace

Neutralisierter Start. Rapha und die Filmcrew sind im "Space Shuttle", also dem Sneak Peaks Wohnmobil, auf der Strecke. Ein Techno-Set von Job Jobse trägt uns die Serpentinen hoch zum ersten Gravel-Segment. Es geht direkt ins Herz der Dolomiten. Während ich den ersten Checkpoint, das Rifugio Vajolet, oben in den Felstürmen erspähe, rollt mir ein Fahrer fröhlich pfeifend entgegen. Hat der Typ sich verfahren oder etwas im Tal vergessen? Nein, Max Riese legt massives Tempo vor und hat Checkpoint 1 schon absolviert. Gedanken des Tages: Warum ist die Party Pace so verdammt schnell? Wieso geht es hier querfeldein die Skipiste hoch? Geröllfeld ist spektakulär, aber wie trägt man sein Fahrrad eigentlich bequem für ein bis zwei Stunden auf dem Rücken?

Den zweiten Checkpoint am Rifugio Conseria erreiche ich gegen 21 Uhr: warmer Ofen dekoriert mit noch erstaunlich geruchsneutraler Radbekleidung, warmherzige Gastgeber, Nudelberge. Aus den Boxen klingt: "Shine on you crazy diamond." Hier bleibe ich für die Nacht!

Tag 2: Al dente

Ich wache um 2:29 Uhr auf, eine Minute bevor der Wecker klingelt. Der Tag startet bescheiden: Abzweigung übersehen, Müdigkeit, Dunkelheit, Regen. Ich fahre 200 Höhenmeter wieder bergauf, nehme diesmal die richtige Abfahrt. Im Tal gönne ich mir drei Croissants mit Aprikosenmarmelade zur Aufmunterung. Wirkt! Mascha und Steven kommen mir in der Abfahrt von Rifugio Scarpa, dem dritten Checkpoint, entgegen. Ich muss noch ein paar Stunden klettern. Schade, wird schwierig die beiden einzuholen. Phil ist die erste Nacht durchgefahren und lag somit kurzzeitig vor Max in Führung. Er berichtet mir von seinem Plan, aus Zeitgründen auf die kürzere Classic-Route des Sneak Peaks zu wechseln.

Die Pasta bei Rifugio Scarpa ist sehr al dente. Mein Garmin zeigt einen täglichen Verbrauch von mehr als 10.000 kcal an, nicht nur die Bein-, sondern auch meine Kaumuskulatur wird hier beansprucht. Zwei Stücke Kuchen in die Trikottasche, weiter geht’s. Fachsimpeln über Übersetzungsverhältnisse und Kettenundulation während ich gemeinsam mit Benjamin den letzten Pass für den Tag überwinde.

Tag 3: Zum Glück verschlafen

Der Wecker hat nicht geklingelt. Benjamin ist schon lange unterwegs. Glück im Unglück, meine Beine sind richtig frisch, heute sind die 6000 Höhenmeter greifbar. Checkpoint 4 am Rifugio Antelao erreiche ich über einen wunderschönen Wanderweg. Dann muss ich zwei Stunden lang eine Asphaltstraße hochschieben, mit durchgehend über 20 Prozent Steigung. Bei einer Hütte mitten im Nirgendwo wird mir ein geniales Polenta-Omelette gezaubert. Kaviar zur Verzierung ist zwar absurd und leider sehr unvegetarisch, aber insgesamt würde ich hierfür eine Fünf-Sterne-Bewertung auf Yelp hinterlassen.

Eine Schafherde taucht im Nebel auf. Ich krame meine analoge Kamera aus der Trikotasche, werde aber gleich von bellenden Hirtenhunden umzingelt. Einsame, weite Landschaften, Geröll statt Gravel, Erinnerungen ans Trans Balkan Race werden wach. Dann folgt die krasseste, steilste Abfahrt auf diesem Planeten. Meine Bremsen glühen rot. Als ich kurz nach Sonnenuntergang in Ovaro ankomme, weiß ich was bevorsteht: Monte Zoncolan Nightride. Seit dem SuperGiro Dolomiti letztes Jahr hatte ich das Gefühl, ich würde bald hierher zurückkehren. Dabei wurde der Monte Zoncolan im ausführlichen Sneak Peaks Roadbook gar nicht erwähnt, der darauf folgende Anstieg hingegen als herausfordernd beschrieben. Bezeichnend! Die nächtliche Fahrt durch das Tunnelsystem kurz vor Passhöhe werde ich so schnell nicht vergessen.

Tag 4: Dem Regen davongefahren

Schwaches Morgenlicht durchströmt das ewig weite Flussbett vor Tolmezzo. Im Augenwinkel erspähe ich eine mir bekannte Radmütze mit Leopardenmuster. Mace steht an einem kleinen Friedhof und dreht sich eine Kippe. Gebrochene Speiche am Hinterrrad. Aufgeben ist keine Option, aber auch Mace spielt mit dem Gedanken auf die kürzere Classic Route zu wechseln. Im Rifugio Giacomo di Brazza, dem fünften Checkpoint, läuft Bob Marley. Entspannte Menschen hier. Der Wetterbericht ist eher weniger entspannt: 30 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb einer Stunde sind vorhergesagt. Enrico treffe ich in der Abfahrt. Wahnsinn, der Typ sitzt immer noch auf dem Rad trotz 1:1 Übersetzungsverhältnis. Am Stol Pass drücke ich aufs Gas und kann die spektakuläre Abfahrt noch genießen, bevor dunkle Regenwolken das Tal einhüllen.

Tag 5: Nachricht von Steven

Auf Asphalt rollt es auch bei Dauerregen. Die Straßenwacht überholt mich am Vrsic Pass und sichert einen kleinen Erdrutsch. Checkpoint 6 beim Rifugio Postarski dom na Vrsicu bietet geniale slowenische Bratkartoffeln, Blaubeerpfannkuchen, Kakao mit Sahne, alkoholfreies Bier für die Radflaschen. Steven schickt mir ein Video per Whats App, bei ihm sieht es weniger gemütlich aus. Er ist am nächsten Berg in ein Gewitter geraten und hat sich in einer Ruine in Sicherheit gebracht. In der Abfahrt von Checkpoint 6 trage ich mein Rad durch mehrere vom Regen angeschwollene Bäche. Rapha ist stets informiert über die Bedingungen vor Ort und ermöglicht die Umfahrung eines durch die Wetterbedingungen gefährlich gewordenen Streckenabschnitts. In Pontebba treffe ich Steven wieder; einer der schönsten Momente der Tour. Wir entscheiden, es für den Tag gut sein zu lassen und gehen gemütlich Pizza essen.

Tag 6: Geteiltes Abenteuer

Es ist kurz vor fünf morgens. Steven und ich sitzen schon seit über zwei Stunden auf dem Rad. Im Schein der Helmlampe rot leuchtende Augen versperren uns den Weg. "Sieht aus wie ein Wolf", flüstere ich zu Steven. Wir reden dem Tier behutsam zu, es entfernt sich ein paar Meter und bleibt dann wieder mitten auf dem Weg vor uns stehen. Wir tasten uns Meter für Meter vor. Rechts von uns tauchen die Umrisse eines Gebäudes auf. Aufatmen, wir haben Rifugio Cason di Lanza erreicht, Checkpoint 7 der Sneak Peaks Adventure Route. Der vermeintliche Wolf kommt schwanzwedelnd auf uns zu. Sein Name ist Pastore, er ist der Hütehund hier. Da die Hüttenwirtin noch schläft, werden wir von Pastores ebenso liebenswerten Besitzern in die kleine Käserei nebenan eingeladen. Wohlig dampfender Espresso aus der Bialetti, noch einen Schuss Grappa dazu?! Eine alpine Lebensrealität.

Nach technisch anspruchsvollen Wanderpassagen oberhalb der Baumgrenze rollen Steven und ich gemeinsam ins Tal. Steven trifft hier aufgrund von unzähligen Defekten an Rad und Körper die schwere, aber einzig vernünftige Entscheidung zu scratchen. Sprich: Er beendet die Tour. Steven war Juniorenweltmeister im Segeln, hat mehrfach an den Olympischen Spielen teilgenommen und ist heute einer der erfolgreichsten Trainer von Ausnahmeathlet:innen im Segelsport. Wenn jemand wie Steven aufgibt, bedeutet das, es gibt wirklich keinen anderen Weg. Die gemeinsamen Kilometer und verrückten Gespräche mit Steven waren für mich wertvoller als jeder andere Teil dieses Abenteuers.

Den Anstieg zu Rifugio Marinelli V als Checkpoint 8 bringe ich zügig hinter mich. Einmal mehr werde ich von einem Ausblick über die schroffen Zacken aus hellem Dolomitgestein belohnt. Checkpoint 9 und 10 sind aufgrund des Regens und angeschwollener Bäche nicht zu erreichen. Es folgt eine offizielle Umleitung über den Kreuzbergpass im roten Abendlicht und in die Dunkelheit.

Tag 7: Dolomiten-Universum

Rapha notiert im Roadbook, der Streckenabschnitt zum Rifugio Fanes erinnere ihn landschaftlich an das Silk Road Mountain Race im entfernten Kirgistan. Mit meinem Lieblingslied auf den Ohren und Freudentränen in den Augen kurble ich Umdrehung für Umdrehung tiefer in das Dolomiten-Universum. Murmeltiere komplettieren den Vibe. Eine ordentliche Kletterpartie bergab bringt mich zurück in die touristische Realität. Am Grödnerjoch geht es natürlich wieder ganz hoch. Während die Rennradfahrer schon die Abfahrt genießen, steht mir der eigentliche Anstieg bis zur Bergstation der Seilbahn noch bevor. An der Seiser Alm schließe ich zu Ole auf. Er fährt die kurze Entree-Route. Pizzeria und Pension unter einem Dach klingt einfach verlockend und ich verbringe einen entspannten Abend mit Ole und Sebastian. Über Dotwatcher erreicht uns die Nachricht, dass Max Riese im Ziel angekommen ist. Bei Ultraevents fahren nur die Wenigsten wirklich um den Sieg oder eine Rekordzeit. Max, der Gewinner der Erstausgabe von Sneak Peaks Adventure, hat die Strecke in unglaublichen 133 Stunden und 39 Minuten absolviert. Dass Max die komplette Route alleine durchgestanden hat, zeugt von unvergleichlicher mentaler Stärke und hebt seine Leistung auf ein anderes Level.

Tag 8: Ankommen am Limit

Um 4 Uhr morgens breche ich auf. Regen und Dunkelheit statt gemütliches Hotelfrühstück. 1.600 Höhenmeter, vorletzter Anstieg von Klausen Richtung Sarntal, fast im Ziel. Ich liefere mir ein Wettrennen mit dem Milchlaster, welcher in den frühen Morgenstunden alle Bauernhöfe am Pass anfährt. Die letzten Höhenmeter wie immer auf Schotter. Der Regen wird zu Schnee. An einer bewirtschafteten Hütte kurz vor dem Gipfel ziehe ich alles an, was ich bei mir trage. Grenzwertige Wetterbedingungen, Rückkehr zur Hütte ist mein Plan B. Auf dem Weg zum Gipfel passiert mich ein Viehtransporter. Almabtrieb. Auf über 2.000 Metern über dem Meeresspiegel schneit es seitwärts, Wind über 50 km/h. Bereits nach 100 Metern Abfahrt kühle ich massiv aus. 10 Kilometer über Wanderwege weiter bergab zu fahren ist keine Option. Vor mir steht wieder der Viehtransporter. Ohne lange zu zögern winke ich dem Bauern zu, welcher in der Ferne die Kühe einsammelt, und schwinge mich in die halbwegs warme LKW-Kabine. Der Fahrer Hannes kommt zurück, mein Zittern erklärt die Situation ohne Worte. Bei dem Wetter gehen selbst die Kühe freiwillig in den Transporter. Mein Fahrrad und ich werden also kurzerhand Teil von Hannes’ Almabtrieb. Nur fair, denke ich mir, dass nach Steven nun auch ich bei Sneak Peaks mein Limit erreiche. Ich bin kein Profisportler. Das hier ist bezahlter Urlaub.

Rapha, Steffi und Jakub sind mit dem "Space Shuttle" ausgerückt und gesellen sich in einem warmen Wirtshaus zu mir. Noch zitternd und mit einer ordentlichen Prise Verrücktheit in den Augen berichte ich von meinem Abenteuer. Nach kurzem Austausch mit Jakub entscheidet Rapha, zur Anerkennung meines Abenteuers eine letzte wetterbedingte Umleitung durchs Tal einzusetzen. Sneak Peaks ist schließlich eine Expedition und kein Rennen. Vier heiße Schokoladen mit Sahne intus rolle ich durchs Tal zurück nach Bozen. Bei Ahoi Minigolf werde ich mit Umarmungen und einer Wärmflasche begrüßt.

Rapha, Steffi und Jakub brechen gleich wieder mit dem "Space Shuttle" auf, um Anno aus dem Dolomiten-Universum zu evakuieren. Gemeinsam mit einem Bergsteiger hat Anno es bewerkstelligt, mit Fahrrad auf dem Rücken durch 20 Zentimeter tiefen Schnee vom Fanes-Plateau herunterzukraxeln. Am nächsten Tag kommen Helge und Jörg ins Ziel. Mit gemeinsamer Kraft haben sie es zurück nach Bozen geschafft und hatten dabei eine verdammt gute Zeit. Auch Mauro und Markus bringen in den darauffolgenden Tagen das Abenteuer zu Ende. Allesamt Legenden. Und ich habe in den letzten acht Tagen erlebt, was eine wahre Bikepacking-Expedition ausmacht: Abenteuer und Freundschaft.

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Jetzt anmelden: Sneak Peaks 2025

Nach dem Sneak Peaks ist vor dem Sneak Peaks. Der Termin für die zweite Ausgabe des Bikepacking-Abenteuers steht fest und die Anmeldung läuft. Los geht's am 4. und 5. September in Bozen. Zur Auswahl stehen drei Distanzen:

  • Entree: 490 km und 17.000 Hm
  • Classic: 780 km und 28.000 Hm
  • Adventure: 1.100 km 40.000 Hm

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