Im Rahmen des Sport Auto Perfektionstrainings erleben die beiden Redakteure Thomas Hellmanzik und Carl Nowak den vielleicht besten Sportwagen unserer Zeit, die Alpine A110 S, auf der Nordschleife. Warum sie so brillant ist? Versuchen wir in einem Kamingespräch vor loderndem Vierzylinder zu klären.

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Carl: Du kennst dich ja schon aus hier, oder? Der "One Lap Heroes”-Sticker auf deinem Helm spricht für etwas Erfahrung bei den Touristen-, Schrägstrich Terroristen-Fahrten.

Thomas: Ja, der Sticker muss sein. One Lap Heroes sind die obercoolen Jungs mit der MX-5-Ringbanana. Der langbärtige Grieche aus der Truppe saß 2015 als Instruktor neben mir, als ich in einem Clio 3 RS meine erste Nordschleife-Runde gedreht habe. Tourifahrten? Die Bedingungen beim Perfektionstraining sind natürlich ungleich besser, aber ich mag Touristenfahrten, wenngleich das Stressniveau dabei manchmal schon ausufern kann. Aber: be a banana – you can do it! Ich bin heute übrigens bei 150 Runden oder so. Wie viele Kilometer hast du auf der allerbesten Piste der Welt schon abgespult?

Carl: So an die 1.500 bis 2.000 müssten es schon sein. Straßenautos, GT4, GT3, alte Grand-Prix-Wagen, da waren schon ein paar Runden mit tollen Fahrzeugen dabei. Also virtuell, versteht sich. Abgesehen vom Simulator sind es, nun ja, nur zwei. Aber die habe ich geliebt, trotz aller Vorsicht und Angst, die man zu Beginn auf dem Ring durchlebt. Daher bin ich richtig froh, dass wir ein Auto auf dem Ring fahren dürfen, das mir wohl bekannt und richtig ans Herz gewachsen ist. Noch dazu ist es äußerst zugänglich und müsste die Nordschleife ja eigentlich mit Leichtigkeit meistern.

Thomas: Die normale A110 bin ich hier vor einer Weile gefahren. Mit dem Apparat habe ich hier zum Beispiel im Bereich Tiergarten Wellen am linken Vorderrad gespürt, die ich vorher nie mitbekommen hatte – was eine wilde Feedback-Maschine! Jetzt sind wir in der S ja mit ernsthafterer Fahrwerksabstimmung unterwegs, und das wird garantiert so grandios, wie du denkst. Lass mal fahren, danach quatschen wir weiter.

Carl: Das war ja leicht. Also die Alpine vor allem. Und wie sie dich ranlässt. Feedback-Maschine meintest Du? 100 Prozent. Aber nur da, wo du es willst. Kein Gerempel in Fahrwerk und Lenkung, ausreichend Stabilität, super Bremsperformance. Klasse zum Eingewöhnen an diesen völlig geisteskranken, asphaltierten Eifel-Coaster. Wie war deine erste Runde?

Thomas: Im Clio? Langsam, angsteinflößend, überwältigend. Gefühlt also rekordverdächtig, heldenhaft – aber immer noch überwältigend. Ich fand das damals auch so krass, dass manche der Curbs auch als Half-Pipes in Skateparks funktionieren würden – also fast. Zur Alpine: Das S-Fahrwerk ist tatsächlich hervorragend und mehr als nur rempelfrei, weil ich nur in der Fuchsröhrenkompression kurz meine Altherrenwehwehchen im Rücken merke. Bremsen? Man, wie bärenstark kann das Verzögern sein, wenn das Auto wenig wiegt? Mega! Aber ich habe irgendwie das Gefühl, das artet hier in Lobeshymnen aus. Ich bin dafür, dass wir an der A110 erstmal was zum Pöbeln finden. Du zuerst.

Carl: Ja verzögern kann sie und das mit nach heutigen Sportwagen-Maßstäben schmächtigen 320-Millimeter-Stahlscheibchen. Nix Keramik, Wolframcarbid oder andere Zaubermaterialien. Aber: Ein bisschen Eingewöhnung braucht es mit der A110 schon. Die spielerisch neutrale Balance lässt sich leicht ins Über- oder Untersteuern schieben, wenn man etwas zu grob wird. Zu viel Gerupfe am Lenkrad führt zu Einlenkübersteuern, heißt: keine Panik beim Lenken, weniger Winkel und Aggression tun es auch, die Alpine ermöglicht eh mehr Grip und Kurveneingangsspeed als man anfangs nutzen kann. Und in den ganz schnellen Ecken, da wo Lippen, Pobacken und diverse weitere Körperteile unter dezenter Spannung stehen, du weißt schon, Flugplatz, Schwedenkreuz, die Mutkurve, da fehlt mir etwas Vertrauen in die Front. Da wird das leichte Mädchen, nun ja, leicht auf der Vorderachse. War’s das schon?

Thomas: Vor allem drängst du das Auto von der Mutkurve knallhart ins Rotlichtmilieu. Schlawiner! Wobei: Man kann am Ring A110 mieten, und das hat ja wiederum schon viel von Autostrich. Au weia, völlig falsch abgebogen. Zurück zum Thema: Was du mir hier als Kritik verkaufst, klingt nach charakterstarkem Sportwagen. Aber klar, das ist eine Frage der Perspektive. Ich wollte mich eigentlich viel eher über den Kick-down-Knopf echauffieren: Wie diese Mistdinger nerven, wenn man das Pedal einfach mit Schmackes auf den Boden klatschen will! Und die Schaltwippen sind viel zu kurz, ergo musst du fürs Hochschalten mit Lenkwinkel die Hand vom Lenkrad nehmen. Ja, liegt am für Alpine vermutlich alternativlosen Renault-Radiobediensatelliten, ist aber trotzdem murksig. Am schlimmsten jedoch: Ich muss zu weit vom Lenkrad entfernt sitzen, weil sonst die Lenksäulenverkleidung im Weg ist. Vielleicht muss man den Sitz anders reinschrauben, scheint ja zu gehen. Mehr hab’ ich nicht, jedenfalls nicht fürs Sportfahren.

Carl: Dabei wollte ich Dir ja nur ein paar Punkte übriglassen. Ja, die Sitzposition passt nicht zu hundert Prozent, ich kann mich aber ordentlich damit arrangieren. Ein Punkt noch: 300 PS macht der 1.800er-Renault-Allerwelts-Turbovierer, der da quer hinter unseren Köpfen über kleine Resonanzkanäle sein Ansauggeräusch in unsere Ohren röchelt. Glaubt man einschlägigen Online-Kommentarspalten, dürfte jeder Tesla schneller sein, die Alpine in der aktuellen Leistungsinflation eine Wanderdüne mit Sport- und Racemodus. Und trotzdem sind wir irgendwie die Hänge des Rings hinaufgekommen. Verspürtest Du je Leistungsmangel auf deinen Runden?

Thomas: Der Motor macht richtig feine Sportgeräusche, was ich ganz ohne Für-einen-Vierzylinder-Einschränkung meine, wenngleich ich den Abgaslader unter dem Helm kaum höre. Und das Ansprechverhalten ist für einen Turbomotor fast schon wild. So gut! Die Leistung finde ich nicht nur genug, sondern speziell für die Nordschleife eigentlich ziemlich perfekt. Dazu sollte ich erwähnen, dass mir hier auch deutlich weniger genug sind. Aber mit dem Einsachter hast du eben auch bergauf noch Dampf, wirst bei Volllast aber trotzdem nicht ganz so furchterregend schnell.

Carl: Über die Kuppe vor dem Schwedenkreuz fliegst Du mit knapp 230, am Pflanzgarten macht die Kiste einen Satz. Das kann so langsam nicht sein. Schließlich ist Kollege Gebhardt von der sport auto mit der S in schlanken 7:43 Minuten um den Ring geflogen. Ich finde auch das Doppelkupplungsgetriebe mit seinen zackigen Reaktionen auf Schaltbefehle klasse. Klar, auch ein Schaltgetriebe würde gut zum puristischen Charakter passen, das hätte aber damals den Kostenrahmen der Entwicklung gesprengt. Übrigens fuhr Christian Gebhardt die Zeit auf Michelin-Cup-2-Pellen, wir sind auf dem Pilot Sport 5 unterwegs.

Thomas: Jo, Handschalter-dies-das wäre schon cool, fehlt mir aber nicht. Aus den Reifen haben wir heute zweimal Luft abgelassen und hacken seitdem darauf rum. Krass, wie haftungsstark die arbeiten, obwohl das nicht mal S sind. Die 1131 kg sind eben ein Zeugnis dafür, dass Gewicht ein massiver Faktor ist. Der A110-Verantwortliche David Twohig soll wohl verlangt haben, dass Vorschläge bei der Entwicklung immer inklusive der Auswirkungen für das Gewicht eingereicht werden. Carl, das sind doch bitte schön unsere Sorte Leute! PS: Twohig hat "Inside the Machine” geschrieben – da geht’s auch viel über die Entwicklung der A110.

Carl: Da sollte man glatt mal nach Dieppe fahren auf eine Zwiebelsuppe mit den Mädels und Jungs von Alpine, grandios. Das Ergebnis des Folienbastelns: Selbst mit braven Sommerreifen sind zwei Tage Nordschleife problemlos machbar. Guck mal, die Flanken und die Mittelbahnen sehen noch top aus. Selbst wenn es auf der Heimfahrt regnet und die GT3-RS-Kollegen mit abgeschraddelten Michelin-Cup-2-R bei Serways den dritten Latte schlürfen, kommen wir noch gemütlich zum Tatort nachhause. Gleiches gilt für die Bremse. Kaum Verschleiß an den Belägen nach zwei Tagen! Manche mit gewichtigen Sportlimos und -coupés stehen schon nach einem Ring-Tag wieder beim Vertragshändler für neues Bremsmaterial. K-YJ 110 dagegen kann direkt auf die nächste Ringtour. Nur leider nicht unsere.

Thomas: Ich verstehe, du willst also prüfen, wie viele Tourirunden wir drehen können, bevor entweder Reifen oder Bremsen neu müssen. Wäre ich dabei. Ich bin aber mit dem Leichtbauhuldigen noch nicht fertig. Wir haben deutlich unter 30 l/100 km Sprit verbraucht. Das kannst du bei vielen anderen Sportautos knicken, da bist du mit über 40 Litern und sogar noch deutlich mehr dabei. Im A110 heißt das aber trotzdem, dass du nach fünf Runden langsam zur Tanke musst, weil nur 45 Liter reingehen. Wir haben übrigens bei einem Tankstopp 41,19 Liter reingeschüttet. Erweiterte Risikobereitschaft nenne ich das. Oder halt: Schlafmützen!

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Carl: Quasi sparsam im Überfluss. Ich denke, wir haben genug gehuldigt, auch wenn es so viel zu huldigen gibt. Genießen wir die letzten Runden mit dem wenigen Gewicht und dem riesigen Spaß. Aber hey, wir müssen kein Rosengrab skizzieren, weil die Alpine wie so viele Sportwagen von einem Zwei-Komma-X-Tonnen Elektro-SUV abgelöst wird. Es soll ja wohl bis 2027 weitergehen mit der A110.

Thomas: Komm, genug Laber-Rhabarber – 2027 nehmen wir hoffnungsvoll als Wort zum Sonntag.  © auto motor und sport

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