Wenn er noch am Leben wäre, hätte er sich jetzt wohl selbst zitiert. Denn nachdem Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt das Autofahren mal "einen der letzten Freiräume des Menschen" nannte, würde sein Kommentar zum führerlosen Fahren vermutlich lauten: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." Schließlich steht hinter der Mobilität der Zukunft noch ein großes Fragezeichen, und bevor sie so richtig begonnen hat, planen einige schon den Aufstand. Nerds, Bastler und Visionäre, wie sie von großen Industriekonzernen oft bezeichnet werden, wollen die Nachrüstung des autonomen Fahrens entwickeln.
Autonomes Fahren zum Nachrüsten
Einer der Ersten, der sich damit beschäftigte, war George Hotz, ein junger IT-Experte aus Kalifornien. Er gründete die Firma comma.ai (www.comma.ai) mit dem Ziel, "Ghostriding for the masses" zu vertretbaren Kosten anzubieten. 2015 stellte er mit comma one ein Nachrüst-Kit für moderne Autos vor, das autonomes Fahren zum Preis von rund 1000 Dollar ermöglichen sollte. Es bestand aus einem umgebauten Smartphone mit entsprechender Software, einer Fahrzeughalterung sowie einem Anschluss an die Bordelektronik und griff auf bereits vorhandene Kameras und Assistenzsysteme im Auto zu.
Im Vergleich zum ersten am Markt verfügbaren System von Tesla, das sechsmal so teuer war, glich das Angebot von comma.ai einem Schnäppchen, zumal es dieselben Funktionen wie Teslas Autopilot bot. Beide Entwicklungen machten Level 2 des automatisierten Fahrens möglich – das Auto beschleunigt, stoppt und hält die Spur alleine.
Noch heute bietet comma.ai den autonomen Helfer, der jetzt den Namen Openpilot trägt, im Auto an – deutlich verbessert, aber über Level 2 geht es nicht hinaus. Dafür lässt sich die Anwendung bei mehr als 250 Fahrzeugen ohne Bohren und Schrauben montieren. Selbst bei einigen deutschen Modellen ist das der Fall – aber nur in den USA. Hier bei uns ist die Nachrüstung von Openpilot nicht gestattet, weil die Zulassung fehlt.
So weit ist man in Deutschland noch nicht und es stellt sich auch die Frage, ob diese Nachrüst-Kits überhaupt eine Erlaubnis bei uns bekommen. Zu groß sind immer noch die Bedenken für autonomes Fahren auf unseren Straßen. Selbst die Autohersteller können bislang nur teilautomatisiertes Fahren bieten. Somit stehen derzeit die Chancen für Nachrüstungen zu diesem Thema nicht gut.
Bislang ist nur die Nachrüstung von Assistenzsystemen gestattet. Angebote für Head-up-Displays gibt es jede Menge, die keinen Einbauaufwand verursachen. Auch bei den Einparkhilfen sieht es ähnlich aus, ebenso was den Montageaufwand angeht. Zum Beispiel ist das bei der rund 190 Euro teuren Rückfahrkamera von Lescars der Fall, die per Akku betrieben wird und über Funksignale die Bilder auf ein Display spielt.
Assistenten lassen sich nachrüsten
Diese Angebote sind keine Seltenheit, selbst bei den Autoherstellern finden sie sich in den Zubehörlisten. Andere, also weitergehende Fahrassistenten sind dagegen seltener als Option erhältlich. Dennoch gibt es sie – und zwar im freien Handel. Die Redaktion hat das bereits vor wenigen Jahren ausprobiert und wählte dazu das Collision Avoidance System der Serie 6 von Mobileye. Das israelische Unternehmen erkannte diese Lücke als einer der Ersten am Markt und adaptierte seine in der Erstausrüstung bereits bewährte Technik für den Nachrüstmarkt. Es warnt vor Unfällen mit Autos, Motorrädern, Radfahrern und Fußgängern, beim Verlassen der Fahrspur und wenn der Abstand zum Vordermann unterschritten wird. Auf Tempoüberschreitungen weist das Gerät ebenfalls hin, dazu erfasst es Verkehrszeichen.
Das System besteht aus einer Kamera, die den Bereich vor dem Fahrzeug überwacht. Diese Daten sowie Informationen aus der Autoelektronik zur Geschwindigkeit, Beschleunigung, Richtungsanzeige und zu Bremsvorgängen wertet eine komplexe Software aus. Viel Raum braucht der elektronische Helfer nicht, Kamera und Steuereinheit sind in einem handflächengroßen Gehäuse untergebracht, und dieses ist für die Montage an der Windschutzscheibe gedacht – bei einem BMW 318i der Modellreihe E91 passt es unauffällig neben den Rückspiegel. Zum Lieferumfang gehört auch ein kleines rundes Display, das auf das Cockpit geklebt wird. Es zeigt Verkehrszeichen an, den Abstand zum Vordermann oder Kollisionswarnungen.
Vergleichbare Neuwagensysteme kosten je nach Marke mehr als 3000 Euro. Sie bieten aber auch mehr, indem sie bei Gefahr eine Notbremsung einleiten, den Abstand zum Vordermann regeln oder beim Spurverlassen Lenkkorrekturen vornehmen.
Gute Mobileye-Performance
Das Mobileye-Gerät muss sich nicht verstecken, die Verkehrszeichenerkennung ist am Tag und in der Nacht präzise. Selbst verdeckte Hinweise erkennt sie. Die Abstandsüberwachung macht ebenfalls einen guten Job: Sie misst ständig die Entfernung zum Vordermann und gibt zuverlässig eine Warnung aus, wenn die Distanz unter die individuell eingestellte Grenze rutscht. Mit der Anzeige spart man auch Bußgelder: Wer den Abstand im Test damals nicht unter zwei Sekunden fallen ließ, hielt den vom Gesetzgeber vorgesehenen Grenzwert von fünf Zehntel des halben Tachowerts spielend ein – darunter hagelt es nämlich Punkte und Fahrverbote. Falls die Tester doch mal unachtsam waren und ein Auffahrunfall drohte, schlug der Kollisionswarner 2,7 Sekunden vorher an. Bei der Fußgängererkennung und der Spurhaltewarnung kommen die Warnungen zwar auch zuverlässig, ein wenig früher wäre aber besser. Alles in allem ist das System aber sein Geld wert.
Läuft alles glatt, ist nach 60 Minuten der Einbau von einem Fachmann beendet – ohne Bohren und aufwendige Demontage von Autoteilen. Für Laien ist die Arbeit nichts, spätestens beim Kalibrieren der Kamera geht es nicht weiter. Ab rund 1000 Euro bietet zum Beispiel Cellnet (cellnet.de) das Gerät an – inklusive bundesweiter Montage, was die Suche nach einem Fachmann überflüssig macht.
Weitere Anbieter am Markt
Wenn man bei Cellnet weiter auf der Seite stöbert, dann finden sich noch mehr Assistenzsysteme zum Nachrüsten. Der Abbiegeassistent (ab 1000 Euro) zum Beispiel ist nicht nur für Lkw im Programm, er lässt sich auch bei Wohnmobilen einbauen. Oder der Tote-Winkel-Assistent, der für rund 250 Euro angeboten wird und sogar mit einer Querverkehrswarnung ausgestattet ist. Solche Helferchen gibt es auch von anderen Anbietern – zum Teil günstiger. Der Totwinkel-Assistent von Valeo (Safe Side) wird bei Amazon bereits ab 150 Euro angeboten.
Bei Kufatec dagegen gibt es Angebote für neuere Modelle von verschiedenen Herstellern, um das Auto aufzurüsten. Heißt: Es werden Assistenten an Bord gebracht, die es in dieser Serie bereits gibt. Ein Spurwechselassistent inklusive Ausparkassistent für einen VW Golf 8 kostet zum Beispiel 850 Euro.
Assistenten per App
Besonders die Verkehrszeichenerkennung wünschen sich viele Autofahrer. Zwar bieten einige Navigationssysteme diese Service an. Doch die Navis ziehen sich diese Infos aus den Kartendaten, die in der Regel nur alle paar Monate aktualisiert werden. Das ist nicht besonders genau. Die Offline-Navi-App Sygic kann die Lösung sein. Sie ergänzt die statischen Infos aus den Kartendaten mit den von der Smartphone-Kamera gescannten Geschwindigkeitsbegrenzungen. In der Premiumversion zahlen die Kunden dafür rund 20 Euro pro Jahr. Wer ein Apple iPhone nutzt, der kann auch zur kostenlosen Anwendung "Verkehrszeichen Kamera App" greifen. © auto motor und sport
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