Mit einem Steuergerät, das alle fahrdynamisch relevanten Funktionen orchestriert, will BMW Agilität in die Zukunft führen. Der radikale Elektro-Prototyp Vision Driving Experience soll die Grenzen der Technik ausloten. Wir durften mitfahren.

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Vier durchdrehende Räder. Im Sinne von: Rauchend durchdrehende Räder. Die höchste Eskalationsstufe von Schlupf. Bei rund 20 Grad Lufttemperatur. Und Michelin Pilot Sport Cup 2 R-Reifen, also so ziemlich dem klebrigsten Gummi, den es derzeit für straßenzugelassene Fahrzeuge gibt. Motorsport-Profi Jens Klingmann beschleunigt den Entwicklungsträger rücksichtslos, obwohl er erst der zweite Mensch überhaupt ist, der dieses Unikat fahren darf. Ein Unikat, dessen Karosserieform sich an der Studie Vision Neue Klasse orientiert, Sie wissen schon, die mit dem eigenwilligen Knick zwischen Heckscheibe und Kofferraumdeckel. Ja, sogar das neue Cockpit inklusive Panoramic View-Display übernimmt das Biest. Aber sonst? Monocoque aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff. Vier Schalensitze. Überrollkäfig.

Technische Daten? Dazu schweigt BMW. Elektroantrieb, sicher. Nicht unter drei Motoren, vermutlich vier, geschätzte Systemleistung rund 800 kW (1.088 PS). Mit diesem Extremisten, den Jens Klingmann gerade völlig ungerührt auf eine 180 Grad-Kehre mit mittlerem Radius zuprügelt, will BMW Extreme testen. Vor allem diejenigen, zu denen ein zentrales Steuergerät imstande sein soll: das sogenannte Heart of Joy. Es regelt nicht nur die Portionierung der Leistung und des Drehmoments, es kümmert sich auch um Bremsfunktionen. Pro Sekunde finden 1.000 Rechenoperationen statt. Und das soll dazu führen, dass künftige BMW-Modell-Generationen mit E-Antrieb besonders agil und effizient fahren.

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BMW Vision Driving Experience – Fliehkräfte wollen Dein Frühstück

Inzwischen fegt Klingmann mit 112 km/h durch die Linkskehren, das Frühstück massiert sich gerade in die rechten Darmschlingen ein, die Fliehkräfte sind immens. Nach einer kurzen Gerade folgt eine Rechts-Links-Kombination mit einer kleinen Kuppe. Klingmann brezelt drüber, du merkst, wie steif das Fahrzeug ist. Verwindung? Pah. Stattdessen schlägt das kurzzeitig bodenkontaktlose rechte Vorderrad wieder auf dem Asphalt auf, Klingmann beschleunigt weiter. Ist das der neue M3, den es ja sowohl als Verbrenner als auch als E-Variante geben soll? Die Verantwortlichen schütteln vehement mit dem Kopf. Ein Versuchsträger, nichts Weiteres sei der Vision Driving Experience. Zunächst will man sich damit an fahrdynamischen Grenzen herantasten, dann von oben auf die Brot- und Butter-BMW herunterskalieren. Eines der Ziele ist unter anderem, die Rekuperationsbremse bis in den ABS-Regelbereich nutzen zu können. Wobei das schon wieder mehr nach Rennstrecken-Anwendung klingt. Zudem soll über zügiger antizipierbare Fahrereignisse durch gezielte, radselektive Rekuperation das Fahrverhalten agilisiert werden – schließlich hat die Marke einen Ruf zu verlieren.

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Im Versuchsträger existieren allerdings aktuell nur zwei Modi, Comfort und Drift, wobei letzterer nicht einfach die Vorderachse ausknipst, sondern weiterhin alle vier Räder beschäftigt, um Querfahren im Rallye-Stil auf trockenem Asphalt zu ermöglichen. Auch das: ein Extrem. Und ehrlich gesagt: Welche Fahreigenschaften bei den sehr zügigen Runden auf dem kleinen Handlingsparcours wirklich auf die Arbeit des Steuergerätes zurückzuführen sind und welche auf das radikale Konzept des Fahrzeugs inklusive der extremen Reifen, lässt sich nach der ersten Mitfahrt nicht sagen. Doch die Entwickler stehen ja selbst erst am Anfang der Real-Erprobung. Vielleicht trifft man sich ja nochmal. Und dann lassen wir wieder alle vier Räder durchdrehen. Einfach so.  © auto motor und sport