Guerlain Chicherit hätte sich auf den Lorbeeren seiner abwechslungsreichen Sportlerkarriere ausruhen können. Viermal war der 45-jährige Franzose Weltmeister im Freeriding, als er noch professioneller Skifahrer war. Dann sattelte er auf Motorsport um: Bei der Rallye Dakar errang er mehrfach Top-Ten-Platzierungen, 2009 wurde er Cross-Country-Rallye-Weltmeister. Danach gründete Chicherit sein eigenes Motorsport-Team namens GCK Motorsport – mit ambitionierten Zielen.

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Video: Im Video: Lancia Delta Evo-e by GCK Exclusiv-e

Darüber hinaus war Chicherit mit einem weiteren Rennteam Special One Racing in den FIA World Rallycross Championship eingestiegen. Allerdings nicht mit irgendeinem Auto: Er brachte eine Neuauflage des legendären Lancia Delta Integrale an den Start. Jedoch nicht mit dem ursprünglichen Antrieb: Zwei kultige Rallye-Kanten, die seither Delta Evo-e RX hießen, waren Teil eines Starterfeldes, das ausnahmslos von Elektromotoren mit der nötigen Kraft versorgt wird. Dabei kam auch im Delta ein aus Österreich stammendes Einheits-System zum Einsatz: Die Spezialisten von Kreisel Electric lieferten einen 500 kW / 680 PS starken Antrieb, der vom Start weg ein maximales Drehmoment von 880 Newtonmetern bereitstellt. Damit sollte der Integrale schneller von Null auf Hundert beschleunigen als ein Formel-1-Auto.

Delta Evo-e RX fällt Feuer zum Opfer

Die Vergangenheitsform im eben gelesenen Absatz hat einen traurigen Grund: Die beiden in der WM eingesetzten Lancia Delta Evo-e RX existieren nicht mehr. Sie fielen einem Feuer zum Opfer, das bereits am Freitag vor dem ersten Training des Renn-Events im britischen Lydden Hill ausgebrochen war und zur Absage der WM-Läufe führte. Offiziellen Berichten zufolge entstand der Brand beim Laden der Autos und ging von ihnen auf die daneben geparkten Lastwagen des Teams über. Menschen wurden bei dem Unglück nicht verletzt, aber von den Rennwagen blieb jeweils nicht mehr als ein trauriges Gerippe übrig. "Alles, was uns von diesem großen Abenteuer Lancia Delta Evo-e bleibt, sind Fotos und Videos", schreibt das Team in einer Pressemitteilung.

Der Einsatz der elektrischen Deltas unter Rallye-Cross-WM unter Chicherits Ägide sollte die perfekte Retro-Legenden-Kombination verkörpern. Als zweiter Fahrer neben dem Teamchef griff eine absolute Fahrer-Ikone für Special One Racing ins Lenkrad: Kein Geringerer als der neunfache Rallye-Weltmeister Sébastien Loeb, an dessen Auto das Feuer Augenzeugenberichten zufolge zuerst ausbrach. Zudem trugen die Boliden seit einigen Rennen eine besondere Lackierung: Sie war jenem legendären Martini-Look nachempfunden, mit denen die Delta Integrales in den Achtziger- und Neunzigerjahren in der Rallye-WM von Sieg zu Sieg und WM-Titel zu WM-Titel eilten.

"Unsere Autos in Rauch aufgehen zu sehen, war ein besonders schmerzhafter Moment für mich und das gesamte Team, das seit Monaten so viel Liebe und Energie in dieses Projekt investiert hat", sagte ein sehr betroffener Teamchef nach dem Vorfall. Der entstandene Sachschaden gehe in die Millionen. Die aktuelle WM-Saison sei für Special One Racing laut Chicherit, dessen Firma die Ladeinfrastruktur für die elektrischen Rallyecross-Boliden stellt, beendet. Eine genaue Ursache für den Brand konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht ermittelt werden. Hier forderte der ausrichtende Welt-Motorsportverband FIA vom Zulieferer Kreisel Electric Hilfe, die die österreichische Firma auch zugesagt hat.

Die Serienversion des Lancia Delta Evo-e

Mit einer deutlich konservativeren – und hoffentlich nicht so leicht entflammbaren – Technik ist das straßenzugelassene Pendant des elektrischen Rallyecross-Integrale unterwegs, das Chicherit mit seiner Marke GCK Exclusive-e anbietet. Die Spitzenleistung des Lancia Delta Evo-e – so der offizielle Name des kantigen Elektrikers – liegt bei 147 kW (200 PS), wobei der Elektroantrieb eine Dauerleistung von 90 kW (122 PS) aufbietet. Der erstgenannte Wert liegt im Bereich der ursprünglichen Integrale-Versionen; Letzterer liegt etwas niedriger als bei den 1600er-HF-Varianten. Das Drehmoment gibt GCK mit 200 (dauerhaft) beziehungsweise 350 Newtonmetern (in der Spitze) an.

Von Null auf Hundert sprintet der Elektromod-Delta in 6,6 Sekunden. GCK Exclusive-e gibt ein Leistungsgewicht von 7,2 Kilogramm pro PS an, wodurch sich ein Leergewicht von 1.440 Kilogramm ergibt. Ein Großteil davon dürfte auf das Konto der Lithium-Ionen-Batterie gehen. Die Akku-Kapazität des 400-Volt-Systems liegt bei eher schmalen 29 Kilowattstunden, was die Reichweite auf 200 Kilometer limitiert. Die Batterie lässt sich per CCS-Schnellladung mit Energie füllen.

"263 neue Features"

Neben dem Antrieb zeigen sich auch viele andere Komponenten des Lancia Delta modernisiert; insgesamt will GCK Exclusive-e dem Auto "263 neue Features" verpasst haben. Dazu gehören die Kabelbäume, die Stoßdämpfer, welche die Franzosen gegen Aufpreis als voll einstellbares Racing-Kit anbieten, und die Bremsanlage mit integriertem ABS, die vorn standardmäßig mit 284-Millimeter-Scheiben und Einkolben-Sätteln arbeitet. 306er-Discs und Sechskolben-Sättel gibt es optional, an der Hinterachse kommen grundsätzlich Scheiben mit 227 Millimeter Durchmesser zum Einsatz.

Die Spur zeigt sich im Vergleich zum klassischen Delta Integrale verbreitert. Bei den Felgen handelt es sich um eine Neuauflage der Original-Rundlinge, die mit eigens gebackenen Michelin-Reifen ummantelt werden. Die Kraftübertragung besorgt ein verstärktes und über ein elektronisches Management an den neuen Antrieb angepasstes Fünfgang-Schaltgetriebe. Für eine optimierte Beschleunigung können die drei ersten Gänge besonders kurz übersetzt werden und auf Wunsch zieht eine kurze Achsübersetzung ein. Grundsätzlich installiert Chicherits Truppe gleich drei Differenziale, wobei das mittlere die Antriebskraft im Verhältnis 47:53 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt.

Mit Komplett-Restauration

Im Verlauf des Umbaus erhält jeder Lancia Delta selbstverständlich eine Komplett-Restauration, die dessen ästhetisches Erbe bewahrt. Dass GCK Exclusive-e trotzdem vieles tauscht, fällt erst beim zweiten Hinsehen auf. Die Franzosen verstärken den Rahmen, senken diesen zudem ab und integrieren auch noch neue Hilfsrahmen. Die Delta-Karosserie ergänzen die Franzosen mit zahlreichen Komponenten aus – teilweise sichtbarem – Carbon. Entsprechende Einleger gibt es in der Motorhaube und den vorderen Kotflügeln. Auch die Stoßfänger und die Spoiler unter der Frontschürze und am hinteren Ende des Daches bestehen aus dem leichten Kohlefaser-Werkstoff. Abschließend spendiert GCK neue Scheinwerfer und Heckleuchten.

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Im handgearbeiteten Interieur bleibt es ebenfalls bei den stilistischen Vorgaben des Originals. Die zentrale Änderung weisen die Sitze auf: Vorn kommt das Schalensitz-Modell Recaro Sportster CS zum Einsatz, doch auch die Rücksitze zeigen sich verändert. Das dunkle Alcantara verziert GCK Exclusive-e mit orangefarbenen Nähten. Das Momo-Sportlenkrad mit Zwölf-Uhr-Markierung sieht klassisch aus, ist aber ebenfalls neu. Ein Alpine-Multimedia-System mit Touchscreen und Apple- sowie Android-Konnektivität katapultiert das Interieur endgültig ins 21. Jahrhundert. Ein neues Audiosystem mit sechs Lautsprechern, Subwoofer und Verstärker zieht ebenso ein wie eine Rückfahr-Kamera und eine verbesserte Klimatisierung. Neue Wollteppiche und Alcantara-Fußmatten runden das Umstyling für das Delta-Interieur ab.

Auch Straßen-Delta im Martini-Look

Eine Preisvorstellung für den Elektro-Delta nennt GCK Exclusive-e nicht. Günstig ist er sicher nicht – dafür dürfte allein die Limitierung auf sehr geringe Stückzahlen sorgen. Vom Evo-e wird es maximal 47 Exemplare geben. 36 von ihnen gehören der normalen Serie an, während elf Deltas den Beinamen "Rallye" tragen. Diese Autos tragen analog zu den zerstörten Rallyecross-Autos den adaptierten Martini-Look. Hinzu kommen Interieur-Eigenheiten wie besonders leichte Sparco-Schalensitze, andersfarbige Stickereien und rote Sicherheitsgurte. Der tiefgreifendste technische Unterschied betrifft das Chassis: Es zeigt sich beim Evo-e Rallye vollständig aus Aluminium aufgebaut und am Heck zusätzlich mit einer Carbon-Schale verstärkt. Da der Schalthebel auf einer Carbon-Platte ruht, sind aggressivere Gangwechsel möglich.  © auto motor und sport

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