Etwas vermessen ist es ja schon, einen Gebrauchtwagen in fabrikneuem Zustand aufgrund seiner mängelfreien Zuverlässigkeit anzupreisen. Aber abwarten, denn erstens ist der Kia Rio auch nach Jahren noch ein treuer Begleiter, und zweitens können Sie derzeit beim Händler einen richtig guten Deal für nagelneue Lagerfahrzeuge bekommen. Der Trick dahinter heißt Tageszulassung und ist in Zeiten von Corona und Neuwagenknappheit etwas in Vergessenheit geraten.

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Video: Der neue Kia Rio

Nun kommen die ersten Angebote langsam zurück, so wie beim Kia Rio, dessen vierte Generation kürzlich (derzeit ohne Nachfolger) in Rente ging. Bevor wir den unter die Lupe nehmen, klären wir erst mal:

Was ist eigentlich eine Tageszulassung?

Aus unterschiedlichen Gründen (Überproduktion, Auslaufen eines Modells usw.) wollen Hersteller bestimmte Automodelle spontan und in kurzer Zeit abstoßen. Hierfür gewähren sie Vertragshändlern Sonderkonditionen, damit diese in der Lage sind, möglichst viele Exemplare an ihre Kunden mit einem gewissen Nachlass zu verkaufen. Damit ein derartiger Rabatt nicht aus heiterem Himmel kommt (und somit die ursprünglichen Listenpreise zu sehr verfälscht), werden die Autos der Form halber für einen Tag zugelassen. Somit handelt es sich auf dem Papier nicht mehr um Neuwagen, selbst wenn sie den Händlerhof nie verlassen haben. Kaufinteressenten genießen einen dicken Rabatt und können dennoch in gewissen Grenzen um den Preis feilschen – schließlich "muss die Ware ja weg". Nachteil: In einigen Fällen läuft die Neuwagengarantie bereits ab dem Zulassungsdatum, und Extras können nicht mehr individuell gewählt werden.

Karosserie: Mehr wertig als verspielt

Der Rio ist einer jener Kleinwagen, die in Tests oft mit dem Wort "erwachsen" umschrieben werden. Er verquickt Abmessungen und Effizienz eines Kleinwagens mit einem souveränen Fahrverhalten sowie einem verzichtsfreien Innenraum und vernünftigen Dimensionen. Markentypisch ist das Ganze blitzsauber verarbeitet, meist ordentlich ausgestattet und zudem von der siebenjährigen Herstellergarantie gesegnet. Dass diese aufgrund irgendwelcher Mängel am Blechkleid greifen muss, ist praktisch nicht bekannt. Wie üblich nehmen wir auch unser fabrikneues Fotoauto auf die Hebebühne und entdecken saubere Blechverarbeitung mit sinnvollen Verkleidungen und langlebiger Konservierung gegen Korrosion. Zahllose ältere Exemplare zeigen, dass das Ganze funktioniert.

Zum Modelljahr 2020 wurde der Rio einem dezenten Facelift unterzogen. Es brachte neben einer leicht veränderten Optik von Front- und Heckschürze auch neue Lichtsignaturen und nicht zuletzt das neue Markenlogo ohne Ovalform. Innen wuchs der Infotainment-Bildschirm von sieben auf acht Zoll und zeigt seitdem einige kleinere Online-Services, wie etwa Wetter- und Stauinformationen. In einzelnen Details wurde zudem die Abstimmung der Assistenzsysteme verbessert.

Innenraum: Bedienung und Verarbeitung top

Die Platzverhältnisse liegen zwischen Opel Corsa und VW Polo. Das bedeutet im Klartext, dass Normalgewachsene auf beiden Sitzreihen sehr bequem aufgehoben sind, und große Menschen mit leichtem Zusammenkauern ebenfalls Platz finden. Sparmaßnahmen finden sich an sinnigen Stellen und nicht da, wo's wehtut. Dass die Türverkleidungen im unteren Bereich aus Hartplastik bestehen, juckt uns im Alltag nicht, dafür erfreuen wir uns an nobleren Materialien überall dort, wo Augen und Hände regelmäßig hinfallen. Die kennen sich dank der hervorragenden Bedienbarkeit sofort aus. Wo es Sinn ergibt, bleibt Kia bei physischen Tasten und Reglern, und wo es hilft funktioniert der Touchscreen gut – etwa zum Buchstabieren oder Zoomen. Fern von oberklassigen Infotainment-Schwergewichten ist das nicht besser zu lösen. Übrigens bleibt das Ganze auch nach vielen Kilometern ansehnlich und nutzt sich kaum ab.

Motor: Wo ist der Haken?

Den Haken zu finden, ist nicht einfach – zumindest wenn’s um die Technik geht. Am häufigsten sitzt unter der Haube der relativ lebendige Dreizylinder-Turbobenziner mit 100 oder 120 PS. Teure Schwachstellen sind dem Motor fremd. Kalt und auf kurzen Strecken gequälte Motoren neigen zur Ölverdünnung, außerdem können die Einspritzdüsen verkoken. Wer ständig mit viel Last bei geringen Drehzahlen unterwegs ist, fördert überdies Rußablagerungen im Bereich von Abgasrückführungsventil und Ansaugbrücke. Erst auf Dauer könnte all dies zu einem ernsthaften Problem werden, das sich nicht durch einen Ölwechsel, etwas Langstreckenbetrieb oder sachgemäßes "Freifahren" mit höheren Drehzahlen in den Griff bekommen ließe.

Apropos Drehzahl: Die 120-PS-Version liefert ihre Mehrleistung erst bei 6.000 Umdrehungen, wo die 100-PS-Version bereits abgeregelt wird. Bei normaler Fahrweise ist also kein Unterschied spürbar. Das Drehmoment von 172 Newtonmetern ist identisch, wobei das Schaltgetriebe der schwächeren Version erst seit 2020 sechs statt fünf Gänge besitzt.

Getriebe: Schaltjahr 2020

Das Thema Getriebe ist beim Rio ein wenig speziell. Im Juli 2020 elektrisierte Kia Teile des 1.0-T-GDI-Antriebs. Mit einem kleinen Lithium-Ionen-Akku, 48-Volt-Bordnetz und einem Riemenstartergenerator gewann die 120-PS-Version ein wenig Elektro-Schubhilfe nebst Bremsenergierückgewinnung – bis hierhin ein gewöhnlicher Mildhybrid-Antrieb.

Eigensinnig ist jedoch die Ansteuerung der Kupplung, bei der ein elektrischer Aktuator die hydraulische Betätigung über Geber- und Nehmerzylinder ersetzt. Der Schleifpunkt bleibt verschleißunabhängig immer an derselben Stelle, während das Feedback zwar prinzipiell dem einer herkömmlichen Kupplung gleicht, dennoch stets etwas synthetisch wirkt.

Im Eco-Modus realisiert das iMT-System (Intelligent Manual Transmission) selbsttätig eine Segelfunktion, die den Antrieb auskuppelt und kurzzeitig den Motor abstellen kann. Ziel ist eine dezente Verbrauchsoptimierung, vor allem im Stadtverkehr. Das Ganze klingt komplizierter, als es wirklich ist. Die von Valeo zugelieferten E-Komponenten arbeiten zudem bis dato problemlos und zuverlässig. Die Schaltgetriebe aller anderen Versionen funktionieren konventionell. Alle Dreizylinder-Versionen gab es außerdem mit einem Siebengang-DKG, welches mitunter störende Gedenkpausen in die Schaltvorgänge setzt – das geht auch harmonischer. Haltbar ist es dennoch.

Fahrwerk: Guter Durchschnitt

Dass die in Europa angebotenen Kia-Modelle in Deutschland abgestimmt werden, zeigt der Rio relativ deutlich. Zu seinem teutonischen Fahrverhalten passt die gute Spurtreue in Kombination mit leichter, aber eben nicht zu spielzeughafter Lenkbarkeit. Substanziell fühlt er sich an – das gilt auch für die Bedienung von Pedalerie und Schaltung. Unterm Wagenboden sitzt die kleinwagentypische Kombination aus Federbeinen vorn und simpler Verbundlenkerachse hinten. Zusammen mit "nur" rund 1.100 Kilo Leergewicht entsteht ein hier und da etwas sprödes Ansprechverhalten – andernfalls wäre besagtes Handling kaum realisierbar. Zumindest bleibt so dennoch eine gewisse kleinwagentypische Wieseligkeit erhalten. Auf der Hebebühne zeigen sich nach einigen Jahren ab und zu zerbröselte Anschlaggummis an den hinteren Stoßdämpfern – keine teure Sache.

Mängel: Was die Garantie übriglässt

Mit dem Rio würde was nicht stimmen, wenn angesichts der siebenjährigen Garantie (aus der nur die allerersten Exemplare des Rio 4 allmählich rauspurzeln) ernsthafte Probleme bekannt wären, die Kia nicht aktiv beseitigen würde. Zu letzteren gehört manchmal der Klimakompressor, der einlaufen kann und somit ersetzt werden muss. Das ist nicht billig, stellt aber einen lupenreinen Garantiefall dar. Prüfen Sie Ihren am besten vor Ablauf derselbigen, indem Sie jemanden bitten, bei laufendem Motor innen aufs AC-Knöpfchen zu drücken, während Sie vorne bei geöffneter Haube horchen. Tief unten auf der Beifahrerseite des Motors sitzt der Kompressor, der bei Inbetriebnahme hörbar anspringen muss, dabei aber keine Schleifgeräusche oder dergleichen produzieren darf.

Zwei andere Probleme abseits des Garantiebereiches können sich durch Nutzungsfehler einschleichen. Die Kupplungsscheiben der turbolosen 1,2er-Basismotoren sind ausreichend aber nicht gerade üppig dimensioniert. War der Vorbesitzer ein "Schleifer" oder fuhr stets im Stop-and-Go, kann relativ früher Verschleiß lauern. Prüfen Sie also, dass der Schleifpunkt, an dem die Kupplung greift, nicht erst auf dem letzten Stück des Pedalweges liegt. Ähnliche Ursachen hat es meistens, wenn die Turbo-Direkteinspritzer müde wirken, viel verbrauchen oder unhomogen hochdrehen. Dann sind nicht selten Ansaugrohre, Ventile und Brennräume mit verkokten Verbrennungsrückständen verschmutzt, die bei Kurzstreckenverkehr und viel Last bei wenig Drehzahl entstehen.

Preise: Neuware zum Mitnehmen

Warum lohnt der Griff zur Lagerware? Nun, der Rio ist ebenso praktisch wie langlebig. Beides führt zu einem entsprechend guten Werterhalt. Vergleichbare Dreizylinder, die ein bis zwei Jahre alt sind und bereits um die 30.000 Kilometer auf dem Zähler haben, beginnen bei knapp 16.000 Euro.

Für nur etwa 1.000 Euro mehr gibt es bereits eine ganze Reihe von Re-Import-Exemplaren. Sie unterscheiden sich zwar häufig durch eine etwas sparsamere Ausstattung von den Deutschland-Ausführungen, bieten aber ansonsten denselben Qualitätsstandard wie "normale" Neuwagen. Noch mal 500 bis 1.000 Euro mehr kosten dann deutsche Tageszulassungen vom Kia-Vertragshändler, so wie unser Fotoauto. Auf insgesamt über 300 neue Lagerfahrzeuge kommen aktuell nur rund 60 einjährige Gebraucht-Rio.

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"Wer jetzt noch einen Rio mit guter Ausstattung und in Wunschfarbe sucht, sollte schnell sein. Lang sind die Autos nicht mehr auf Lager", sagt Tobias Dörnhöfer vom Kia-Autohaus Feser-Scharf im fränkischen Roth. Die "deutschen Erstzulassungen" sind natürlich ganz normal von der siebenjährigen Kia-Garantie abgedeckt. "Für Re-Importe aus dem Ausland greift das nicht zwingend", so Dörnhöfer. Entsprechend will die Kostenersparnis mit Blick auf Ausstattung und Garantie gut recherchiert werden. In der Regel sind Händler, die Re-Importe anbieten, jedoch gut damit vertraut, können alle Informationen bereitstellen und mögliche Fragen zur Garantie beantworten. Viele Re-Importe kommen aus der Slowakei, wo Kia seit Langem ein Werk betreibt. Die Rio für Europa wurden jedoch im koreanischen Stammwerk in Gwangmyeong gebaut.  © auto motor und sport

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