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2009 musste General Motors Insolvenz anmelden und wurde zeitweise verstaatlicht. Dabei musste der Konzern Marken abstoßen. Ex-Manager Bob Lutz erzählt, wie das damals ablief.

Die Finanzkrise von 2008/09 zog nicht nur die Bankenbranche in den Abgrund. Mit ihr geriet ebenso die Autoindustrie in einen Abwärtsstrudel, was besonders für die US-Konzerne schlimme Folgen hatte. Während Ford – wenn auch vorübergehend schwer angeschlagen – überlebte, mussten Chrysler und General Motors (GM) Insolvenz anmelden. Die Pleite von GM ging damals als größter Bankrott der US-Industrie in die Geschichte ein. Infolgedessen wurden die beiden Autobauer zeitweise unter Gläubigerschutz gestellt und verstaatlicht, weshalb die Behörden plötzlich mitreden durften in den Führungsetagen in und um die "Motor City" Detroit.

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Bei der Sanierung hatten die staatlichen Überwacher vor allem eins im Sinn: Die Riesenkonzerne sollten sich gesundschrumpfen. Damit war klar: Besonders im Vielmarken-Reich GM, das vor der Krise mit Toyota und VW um die weltweite Vormachtstellung kämpfte, standen einige harte Entscheidungen bevor. Die Regierung forderte, den Konzern in einen "guten" und einen "schlechten" Teil aufzuspalten. In die erste Kategorie gehörten jene Marken, die als überlebensfähig galten, was letztlich nur auf die Kernmarke Chevrolet und den Edelhersteller Cadillac zutraf. Alle anderen GM-Töchter standen zur Disposition.

Heute, etwa 15 Jahre später, berichtet Ex-GM-Manager Robert Anthony "Bob" Lutz, wie seinerzeit über einzelne Marken die Daumen gesenkt oder gehoben wurden. Lutz, ein in Zürich geborener Sohn von Schweizer US-Einwanderern, war damals verantwortlich für die weltweite Produktentwicklung. Dem Online-Automagazin "Motor1.com" erzählte er, warum einzelne GM-Marken gerettet wurden – und andere nicht.

Saab

Die schwedische Kultmarke brachte in den späten Vierzigerjahren ihre ersten Autos auf den Markt. Nach Jahren des Aufschwungs ging es in den Achtzigerjahren bergab mit Saab und GM übernahm zusammen mit seiner anderen europäischen Tochter Opel die Hälfte der Unternehmensanteile. Anfang 2000 wurden die Skandinavier komplett in den Konzern integriert, doch Erfolg stellte sich weiterhin nicht ein. Kein Wunder, glaubt man Bob Lutz: "Es war eine alberne Marke, die nicht dem Mainstream entsprach, und jedes Mal, wenn sie dem Mainstream angepasst wurde, verkauften wir keine Autos mehr." Angeblich habe er den GM-Entscheidern über viele Jahre geraten, Saab abzustoßen, doch er sei stets vertröstet worden.

Nun bot sich die Gelegenheit, Saab loszuwerden, und GM wollte sie umgehend ergreifen. Zuerst sollte der Hersteller an Koenigsegg und den chinesischen BAIC-Konzern verkauft werden, doch dieser Deal platzte. Schließlich wurde Saab an den niederländischen Kleinserienhersteller Spyker abgegeben, doch am Ende dieser kurzen Episode stand in der Weihnachtszeit 2011 eine Insolvenz. Zwar gab es später mit National Electric Vehicle Sweden (NEVS) so etwas wie ein Nachfolgeunternehmen, das sich am ehemaligen Saab-Stammsitz in Trollhättan ansiedelte. Der Markenname Saab verschwand dennoch aus der Autowelt und auch NEVS ist inzwischen insolvent.

Pontiac

"Bei Pontiac habe ich meine Hacken in den Boden gerammt", so Lutz über die Marke, die bereits seit 1909 zum GM-Konzern gehörte. Doch er sei nicht in der Lage gewesen, sie über die Ziellinie zu retten, weshalb Pontiac Ende 2010 abgewickelt wurde. "Ich betrachte das immer noch als eine kleine Tragödie", so der Ex-Automanager, der Pontiac als vitale Marke betrachtete, da sie bei einer jungen Käuferschaft beliebt gewesen sei. Tatsächlich brachte der Hersteller legendäre Modelle wie den Firebird, den GTO oder den ewig gebauten Bonneville hervor. Doch Pontiac litt mit am stärksten unter der Gleichteilestrategie, weshalb die Modelle kaum von den fast baugleichen Chevrolet-, Buick- oder Oldsmobile-Geschwistern zu unterscheiden waren. Die Folge waren wirtschaftliche Schwierigkeiten, welche die Regierungsvertreter im GM-Management dazu veranlassten, die Marke sterben zu lassen.

Hummer

"Wir konnten Hummer nicht retten", sagt Bob Lutz rückblickend im Hinblick auf den einstigen Geländewagen-Spezialisten. Dessen Eigenständigkeit sei von vornherein ein Fehler gewesen. Denn so "mussten wir sie mit einer ganzen Reihe von Fahrzeugen versorgen". Letztlich sei Hummer nie auf die nötigen Stückzahlen gekommen, und selbst die brachen zur Zeit der Finanzkrise ein. 2010 stellte GM die Produktion, die gut zehn Jahre zuvor vom HMMWV- ("Humvee") Produzenten AM General übernommen wurde, wieder ein. Wiederum zehn Jahre später kehrte der Name zurück, und zwar als Elektro-Modell der Marke GMC. Lutz behauptet heute übrigens, ein ähnliches Hummer-Konzept bereits Jahre zuvor im Sinn gehabt zu haben.

Saturn

In Bezug auf die hierzulande weitgehend unbekannte GM-Marke wählt Bob Lutz drastische Worte: "Saturn war ein weiteres Maul, das wir mit begrenztem Kapital füttern mussten." Er sei froh gewesen, Saturn losgeworden zu sein. Chevrolet sei genauso gut und zuverlässig gewesen, weshalb der Grund, warum Saturn zum Konzern gehörte, weggefallen sei. Die Geschichte der Marke war eine kurze: Sie wurde von General Motors erst 1990 vorrangig zu dem Zweck ins Leben gerufen, europäische GM-Modelle unter dem eigenen Label in Nordamerika anzubieten. So kam es, dass einige Opel-Modelle wie der Vectra C oder der Astra H auf der anderen Seite des Atlantiks eine zweite Karriere als Saturn starteten. Das Konzept scheiterte: Die Absatzzahlen dieser Autos blieben weit hinter den Erwartungen zurück, weshalb für Saturn im Herbst 2009 Schluss war.

Buick

Vor diesem Hintergrund erscheint unverständlich, warum ausgerechnet Buick weiterleben durfte. Die Markenstrategie war schließlich zeitweise dieselbe wie bei Saturn: Die Opel-Modelle Astra J Stufenheck, Cascada, Insignia und Mokka bereicherten in den USA zeitweise als Buicks die GM-Palette. Dass hier waschechtes "Badge Engineering" betrieben wurde, dürfte nicht nur die Traditionalisten unter den Mitarbeitenden und Fans des Herstellers tief getroffen haben. Schließlich ist er älter als GM: Während der heutige Riesenkonzern erst 1910 gegründet wurde, besteht Buick bereits seit 1903.

Als es Mitte der 1910er-Jahre schlecht um die Dachgesellschaft stand, war es vor allem der Erfolg der Buick-Modelle, der den Konzern, zu dem die Marke seit dessen Gründung gehörte, vor dem Untergang bewahrte. Knapp 100 Jahre später lief es andersherum. Lutz zufolge wollten die Regierungsvertreter Buick ebenfalls abwickeln. Letztlich rettete den Hersteller sein Erfolg in China: "Wir haben argumentiert, dass wir Buick behalten müssen, denn wenn man Buick in den USA fallen lässt, wird die Marke in China ebenfalls sterben." Also überlebte Buick, das nun wieder etwas eigenständiger sein darf. Zumindest optisch – unter dem Blech unterscheiden sich die Autos kaum von ihren Pendants von Chevrolet und Co.

GMC

Eine weitere General-Motors-Marke, deren Modelle sich nur in Nuancen von ihren Konzerngeschwistern unterschieden und unterscheiden, ist GMC. Folgerichtig stand auch sie vor 15 Jahren zur Disposition. "Wir haben ihnen die Rentabilität und die Gesundheit der Marke GMC klargemacht", sagt Bob Lutz. Das Hauptargument seiner Ansicht nach: Viele Käuferinnen und Käufer würden nur dann einen SUV oder Pick-up aus dem GM-Portfolio kaufen, wenn das Auto das GMC-Signet trage. In diesem Wissen geben sie ein paar tausend Dollar mehr aus, um einen GMC Sierra statt Chevrolet Silverado oder GMC Yukon statt Chevrolet Suburban zu fahren. Im Sandwich zwischen dem Volumenhersteller Chevrolet und der Edelmarke Cadillac hat GMC längst eine profitable Nische gefunden.

Opel

Zur Causa Opel hat sich Bob Lutz nicht geäußert. Dabei war das Drama um den Verkauf oder Nicht-Verkauf der wichtigsten GM-Europa-Tochter fast noch interessanter als jene um die bereits genannten Marken. Es begann im Herbst 2008, als die Probleme des Mutterkonzerns den finanziell eh schon klammen Hersteller aus Rüsselsheim in noch größere Not brachten. Als erster deutscher Autohersteller bat Opel die Politik um Hilfe. Im Frühjahr 2009 legten die Opel-Manager der damaligen Bundesregierung ein Rettungskonzept vor, doch Kanzlerin Angela Merkel lehnte direkte Staatshilfen ab. Derweil lagen drei Kaufangebote auf dem Tisch: Neben einem Finanzinvestor waren Fiat und der österreichisch-kanadische Zulieferer Magna interessiert.

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Letzterer wurde schnell zum Favoriten für Politik, Beleg- und Gewerkschaft, weil Magna weniger Stellen streichen wollte als die anderen Bieter. Also wurde GM unter Druck gesetzt, an den Zulieferer zu verkaufen. Doch die EU-Wettbewerbshüter meldeten Bedenken wegen Kreditzusagen und Bürgschaften seitens Deutschlands an. Gleichzeitig setzte bei General Motors, inzwischen insolvent und mehrheitlich verstaatlicht, ein Umdenken ein: Der US-Konzern wollte Opel nun selbst sanieren. Das ging mit harten Einschnitten einher: Tausende Arbeitsplätze wurden gestrichen, die Werke in Bochum und Antwerpen mussten schließen.

Doch Opel schaffte es daraufhin wieder nur punktuell raus aus den roten Zahlen, grundsätzlich blieb die europäische GM-Tochter defizitär. Entsprechend hartnäckig hielten sich Verkaufsgerüchte, sogar eine Übernahme durch VW stand im Raum. Im Frühjahr 2017 wurde es konkret: PSA, die französische Muttergesellschaft von Peugeot und Citroën, lotete mit General Motors einen Verkauf von Opel aus. Dann ging alles ganz schnell: Bereits im März herrschte Einigkeit, im Sommer war die Transaktion abgeschlossen. Damit endete eine Ära, die bereits 1929 begonnen hatte, als GM erst als Mehrheits- und dann als Kompletteigner bei Opel einstieg. Pikant: Durch den späteren Zusammenschluss der PSA-Gruppe mit FCA (Fiat-Chrysler) zum Stellantis-Konzern wurde Fiat, einst selbst an einer Übernahme der Rüsselsheimer interessiert, zur Opel-Schwestermarke.  © auto motor und sport

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