Wer sich schon einmal ein neues Fahrrad zugelegt oder einen frischen Reifen montiert hat, kennt sie: diese feinen Gummistacheln, die meist ringsum aus der Lauffläche herausragen. Im Fachjargon werden sie oft "Noppen" genannt – doch welcher Zweck verbirgt sich wirklich dahinter? Hand aufs Herz: Hast du jemals ernsthaft darüber nachgedacht, warum es sie gibt und wozu sie dienen?
Ein Mythos mit hartnäckigem Bestand
Um die Gummihärchen, die auch gerne mal Gummi-Nippel genannt werden, ranken sich zahlreiche Erklärungen. Manch einer glaubt, sie seien bewusst konstruiert, um Wasser abzuleiten oder die Traktion zu verbessern. Andere sehen sie als "Abnutzungsmarke": Wenn die Härchen verschwinden, sei ein gewisser Teil des Reifenlebens verstrichen. Fakt ist jedoch, dass sich Reifenhersteller auf andere Methoden verlassen, um den Zustand eines Reifens anzuzeigen – beispielsweise durch kleine Verschleißindikatoren in der Lauffläche oder durch Farbwechsel bei Mehrschicht-Gummis.
Gummihärchen am Fahrradreifen: Wofür sind sie nun gut?
Praktischer Nutzen oder reine Nebensache?
In Wahrheit erfüllen die Gummihärchen keine sicherheitsrelevante Funktion. So kann es passieren, dass im Hochleistungssport – vor allem bei Rennrad- oder Mountainbike-Wettkämpfen – die Stacheln sofort entfernt werden, weil sie aerodynamisch oder optisch stören. Auch im Profibereich sind sie schlicht nicht erforderlich.
Für den Otto-Normal-Radfahrer hingegen sind sie meist nur ein unschuldiger Beleg dafür, dass Reifen und Fahrrad frisch ab Werk kommen. Wer sich also neue Pneus gönnt und stolz über die Gummistöpsel streicht, weiß: "Hier ist wirklich alles noch unberührt."
Lieber dranlassen oder abschneiden?
Ob du sie entfernst, ist Geschmacksache. Ein abstehendes Gummihärchen ist so leicht, dass es für Rollwiderstand und Fahrkomfort kaum Relevanz hat. Wer es gerne "clean" hat, zupft sie ab. Wer sich das Zupfen sparen will, lässt sie von allein verschwinden – beim Fahren raspeln sie sich nach und nach ab.
Nur eines solltest du vermeiden: Sie als Verschleißanzeige oder Sicherheitsmerkmal zu interpretieren. Dafür sind die kleinen Noppen einfach nicht gemacht.
Aber wie entstehen diese feinen Gummihärchen jetzt wirklich?
Ein Blick hinter die Reifen-Kulissen
Die Geschichte dieser Gummihärchen beginnt während des Herstellungsprozesses. Um einen Reifen in die richtige Form zu bringen, wird das Gummimaterial in eine Metallform gepresst und unter Hitze vulkanisiert. Diese Form verfügt über kleine Kanäle und Entlüftungsöffnungen, durch die überschüssiges Material und Luft entweichen können. Genau dort entstehen die feinen Stacheln: Wo Gummi durch Entlüftungslöcher quillt, bildet sich bei der Aushärtung jeder einzelne Gummi-Faden.
Okay, geht das vielleicht auch etwas ausführlicher? Wir haben bei Reifenhersteller Schwalbe nachgefragt, der das Geheimnis der kleinen Gummi-Fäden für uns lüftet. Schwalbe-Pressesprecher Steffen Jüngst erklärt die Hintergründe:
"Die Gummihärchen sind sogenannte Airvents. Diese entstehen produktionsbedingt durch die Entlüftungskanäle in der Reifenform. Bei frisch gereinigten Reifenformen sind diese stärker ausgeprägt, bei steigender Anzahl an vulkanisierten Reifen je Form verringern sie sich deutlich. Je nach Gummimischung und Profil gibt es ebenfalls mal mehr, oftmals aber auch deutlich weniger Airvents.
Die Entlüftungskanäle sind für den in der Reifenherstellung zentralen Vulkanisationsprozess unabdingbar. Einfach gesagt: Die Luft muss aus der Form raus, da die sonst entstehenden Luftpolster eine korrekte Vulkanisation verhindern. Wir forschen an diesem Thema intensiv, aber leider gibt es zum heutigen Zeitpunkt noch keine geeignete und umsetzbare technische Lösung, die Airvents nach der Produktion wieder vollständig zu entfernen, ohne die Lauffläche der Reifen zu beschädigen."
Fazit
Die feinen Gummihäärchen sind im Grunde also nur das Nebenprodukt eines standardisierten Fertigungsverfahrens – nicht mehr und nicht weniger. Sie haben keinerlei Einfluss auf Sicherheit oder Performance. Wer sie abschneiden möchte, kann das tun, macht aber ansonsten nichts verkehrt, wenn er sie einfach ignoriert. So wird aus einem scheinbar rätselhaften Detail am Reifen ein einfacher, fast schon banaler Fertigungsaspekt. © Bike-X
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