Mit dem bis zu 380 kW starken Polestar 3 steigen die Schweden ins Elektro-SUV-Segment ein und bringen erstmals einen radarüberwachten Innenraum. Die Reichweite soll dank 111-kWh-Akku auf Verbrenner-Niveau liegen.

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Womöglich ist vor dem Losfahren etwas Polestar-Modelllehre angesagt. Denn schließlich ist nicht allgemein bekannt, dass die schwedisch-chinesische Elektromarke ihre Modelle strikt nach Erscheinungsdatum sortiert. Es begann mit dem Hybrid-Sportler 1, dann folgte der 2. Und nun sind 3 sowie 4 an der Reihe.

Synthetisches Fahrgefühl

Dass 3 und 4 praktisch zeitgleich auf den Markt kommen, war so nicht geplant und macht es nicht einfacher, sich in der Polestar-Hierarchie zurechtzufinden. Nun soll aber die Produktion anlaufen.

Video: Der neue Polestar Model 3 im Video

Aber wir wollten ja losfahren. Unser graues Exemplar ist ein Long Range Dual Motor mit 360 kW, 840 Nm und einer 111 kWh-Batterie. Später verkosten wir dazu den 3 auch mit dem Performance Pack mit 380 kW. Die 360 kW sind natürlich ebenfalls reichlich eingeschenkt, der Polestar setzt sich energisch in Bewegung, ohne freilich allzu nervös auf Fahrpedal-Befehle zu reagieren. Dabei arbeitet das Pedal auf sehr kurzen Wegen, was dem Fahrgefühl ebenso einen recht synthetischen Touch verleiht. Ein Effekt, den die zwar gleichmäßig ansprechende, doch ziemlich feedback-befreite Lenkung verstärkt

Ausgewogener Komfort

Ansonsten funktioniert selbstverständlich alles wunderbar in unserem Testwagen, auch wenn unsere schwedischen Betreuer betonen, die Test-Exemplare seien Vorserien-Fahrzeuge, die noch nicht in allen Details dem Serienstand entsprächen.

Am Federungskomfort müssen sie auf jeden Fall nichts ändern. Da gibt es selbst für gehobene Ansprüche gar nichts zu meckern. Mit seinen Zweikammer-Luftfedern überschwebt der Polestar die meisten Unebenheiten recht ungerührt. Nur feine Anregungen wie Querfugen verarbeitet das Fahrwerk nicht so ganz nonchalant. Die serienmäßigen 21-Zöller zeigen sich beim Abrollen eher unnachgiebig. Das kann den Insassen im Polestar 3 dennoch ziemlich gleichgültig zu sein, sie thronen in bequemen Fauteuils und können sich am großzügigen Raumangebot erfreuen. Platz gibt es hinten und vorn reichlich.

Rund 2,6 Tonnen Gewicht

Ohnehin zählt der 3 zu jenen Autos, die innen größer sind als sie von außen scheinen. Was unter anderem daran liegt, dass es dem Polestar-Designteam um Maximilian Missoni gelang, die Maße des Wagens geschickt zu kaschieren. Erst wenn man davorsteht, werden die Dimensionen klar: 4,9 Meter lang, beinahe 1,62 Meter hoch, dazu ein Radstand von 2.985 Millimeter und ein Leergewicht von rund 2,6 Tonnen.

Video: Erster Check: Polestar 3

Inzwischen dümpeln wir mit erlaubten 120 auf einer spanischen Autobahn nach Norden, da probieren wir gern den optionalen Pilot Assist aus. Er ist serienmäßig in der Launch Edition (ab 89.900 Euro) enthalten und erweist sich als ebenso tauglich wie funktional und einfach bedienbar.

Alles über Touchscreen

Was freilich für den Rest des Polestar 3 nicht immer gilt. Viele Funktionen sind nur über Touchscreen zugänglich, die womöglich über Tasten und Knöpfe einfacher verfügbar wären. Das gilt etwa für: Spiegelverstellung, Klimaanlage, Handschuhfachöffner, Lenkrad-Höhenverstellung.

Inzwischen kurvt die Route durch den Cuenca Alta del Manzanares-Park. Auf den Straßen durch die Berge verdichtet sich der Eindruck vom Fahren mit dem Polestar 3: etwas distanziert und synthetisch, selbst wenn man es in einigen der vielen Kurven fliegen lässt. Torque Vectoring mit zwei Lamellenkupplungen an der Hinterachse hilft hier bei der Kraftverteilung. Das fühlt sich auf der Rückfahrt im Dual Motor Performance Pack nicht so viel anders an, auch wenn dieser mit 20 kW und 70 Nm mehr sowie einer dynamischeren Fahrwerkseinstellung sowie 22- Zöllern aufwartet. Um die 22 kWh/100 km zeigt der Bordrechner an, so kämen wir mit einer Akkuladung fast 600 km weit. Dabei sind es kaum 100 km bis nach Madrid. Schade eigentlich, wir wären gern weiter gefahren.

Typisch für die Volvo-Schwestermarke ist das Interieur mit zentralem 14,5-Zoll-Display und smarter Materialauswahl. Vom Innendesign her erinnern fast alle Features an den Polestar 2. Der Automatik-Hebel ist jetzt allerdings als Schaltwippe ans Lenkrad gewandert. Außerdem verfügt der Polestar 3 über einen größeren Bildschirm. Das verschafft einem auf den ersten Blick aber keinen wirklichen Vorteil. Die Menüaufteilung ist jetzt kachelförmig angelegt, scheint auf den ersten Blick aber nicht übersichtlicher. Inwieweit das bei der Fahrt Vorteile bringen könnte, muss man sehen. Es sitzt sich gut in den Performance-Sitzen. Die Mittelkonsole ist schwebend gestaltet und etwas luftiger. Dafür ist sie höher als beim Polestar 2 und man fühlt sich etwas eingekästelt. Der Kunde kann sich zwischen Mikrofaser, Leder oder Wolle entscheiden. Das Leder ist tierschutzzertifiziert, die Herkunft der Wolle rückverfolgbar.

Nvidia und Snapdragon im Cockpit

Im Cockpit steckt eine Polestar-Premiere: Der 3 ist das erste Modell der Marke mit Nvidia-Drive-Core-Computer. Der verarbeitet mit Volvo-Software die Daten der Sensoren und Kameras des Autos. Über Over-The-Air-Updates soll die Software aktuell bleiben, ohne in die Werkstatt fahren zu müssen. Für die Unterhaltung der Passagiere – also zum Beispiel das Soundsystem, die Displays und das Koppeln von Smartphones – nutzt Polestar die Snapdragon-Cockpit-Plattform von Qualcomm.

Erstmals überwachen Radarsensoren im Innenraum Bewegungen der Passagiere. Das soll zum Beispiel verhindern, dass Kinder oder Haustiere im stehenden Auto zurückgelassen werden und dort gesundheitsschädlichen Temperaturen ausgesetzt sind. Während der Fahrt achten zwei Kameras darauf, dass der Fahrer aufmerksam bleibt. Die Kameras der Firma Smart Eye überwachen die Augen der Person am Steuer. Ist diese abgelenkt, gibt es Meldungen und Töne. Zur Not leitet die Software eine Bremsung ein.

Insgesamt passen fünf Radarmodule, fünf externe Kameras und zwölf Ultraschallsensoren auf das Auto und seine Passagiere auf. Eine Ansage in Richtung Tesla, denn der Konkurrent aus Texas plant, künftig allein auf Kameras zu setzen. Für Polestar hingegen wird die "Smart Zone" an der Front zum Designmerkmal: Unter dem vorderen Aerowing sind ein beheizbares Radarmodul, eine Kamera und weitere Sensoren untergebracht.

Produktion in den USA und in China

Über den Polestar 3 sagte CEO Thomas Ingenlath schon vor einiger Zeit: "Wir werden in Amerika für Amerikanerinnen und Amerikaner bauen". Das neue Modell wird das Volvo-Werk in Charleston, South Carolina, produzieren, wo auch der kommende Volvo XC90 gefertigt wird. Volvo ermögliche Polestar Kosteneinsparungen durch finanzielle und industrielle Synergien; außerdem soll Polestar von den Sicherheitstechnologien der Schweden profitieren. Zudem wird sich die lokale Produktion auch auf die Preisgestaltung sowie den CO₂-Fußabdruck auswirken. Zunächst wird der Polestar 3 in China gefertigt. Die Produktion in den USA beginnt Mitte 2024.

Der Polestar 3 ist in Nordamerika, Europa und China ab sofort online bestellbar. Ingenlath glaubt, er werde als "Premium-Elektro-Performance-SUV das Design von SUVs im Elektrozeitalter definieren". Das Premium-SUV-Segment sei das am schnellsten wachsende auf dem US-Markt. Außerdem gehe das Unternehmen davon aus, dass es am schnellsten auf vollelektrische Fahrzeuge umsteigt. Vom SUV-Segment verabschiedet sich erst der Polestar 5, der 2025 auf den Markt kommen soll. Auch der strebt mit einer flachen Front nach guter Aerodynamik.

Besonders klimaschonend?

CEO Ingenlath versprach im November 2021 auch, dass der Polestar 3 eines der klimaschonendsten Autos aller bisheriger Zeiten sein wird. Erst kürzlich hatte Volvo, großer Anteilseigner von Polestar, in einer Life-Cycle-Analyse zum C40 Recharge vorgerechnet, wie E-Autos künftig CO₂-ärmer werden sollen.

Serienmäßig bringt der Polestar 3 LED-Leuchten, ein Glasdach und 21-Zoll-Räder mit. Zum Start sind außerdem mit dem Pilot-Paket mit Lidar von Luminar und dem Plus-Paket weitere Extras enthalten: etwa ein Audiosystem von Bowers & Wilkins und ein Head-up-Display. Das Pilot-Paket umfasst eine zusätzliche Nvidia-Steuereinheit, drei Kameras, vier Ultraschallsensoren und eine Reinigungsfunktion für die Kameras an Front und Heck. Echtzeitdaten und ein verbesserter 3D-Scan der Umgebung sollen den Polestar 3 mit Fähigkeiten für das autonome Fahren rüsten.

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Ingenlath kündigt Wachstum an

Ingenlath stellte Investoren im November 2021 die Vision sowie Wachstumsziele der Marke vor. Dabei betonte der Polestar-Chef, dass die Marke bereits auf 14 Märkten weltweit vertreten ist. Bis Ende 2023 will die Marke ihre Präsenz auf mindestens 30 globale Märkte ausweiten. Damit plant Polestar eine Verzehnfachung des weltweiten Absatzes von rund 29.000 Fahrzeugen im Jahr 2021 auf 290.000 Fahrzeuge im Jahr 2025. "Von nun an dreht sich bei Polestar alles um Wachstum", so Thomas Ingenlath.  © auto motor und sport

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