Drei der stärksten Naked Bikes im Vergleich: BMW M 1000 R, KTM 1390 Super Duke R und Ducati Streetfighter V4 S. Welche Maschine kombiniert Leistung, Fahrbarkeit und Alltagstauglichkeit am besten?
Mit Ausnahme der Yamaha MT-10 sind es nur europäische Hersteller, die unverkleidete Motorräder mithilfe der Motor- und Fahrwerkstechnik von Supersportlern auf ein atemberaubend hohes Niveau der Sportlichkeit heben, und mit Ausnahme der in Deutschland kaum verkauften MV Agusta Brutale 1000 sind es nur die drei Motorräder dieses Tests, deren Leistung um 200 PS liegt.
KTM 1390 Super Duke R: 48 cm³ mehr Hubraum
Das jüngste Naked Bike in diesem Kreis ist die KTM 1390 Super Duke R Evo, die mit 48 cm³ mehr Hubraum als die 1290 Super Duke, vor allem aber mit Schaltnockentechnik die Kombination von viel Spitzenleistung und sattem Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich schafft. Bei etwa 6.000/min schaltet der 75-Grad-V2 elektromagnetisch gesteuert von einem drehmomentfördernden auf ein leistungsförderndes Nockenprofil um. Er folgt damit dem Reihenvierzylinder der BMW nach, der in einer ganz anderen Motorkonfiguration ein sehr ähnliches System einsetzt. Auch im Zylinderkopf der Ducati steckt viel technische Finesse in Gestalt der desmodromischen Ventilsteuerung. Weil die Ventile statt von Federn von speziellen Nocken geschlossen werden, ermöglicht sie enorme Ventilbeschleunigungen und einen höchst effizienten Gaswechsel.
Auf dem MOTORRAD-Prüfstand blieb die BMW M 1000 R um vier PS unter der angegebenen Leistung, die Ducati Streetfighter V4 S um eines, die KTM hingegen übertraf die Werksangabe um satte sechs PS. Wie die Fahrleistungen zeigen, ist dieses Bisschen mehr oder weniger im öffentlichen Verkehrsraum jedoch völlig irrelevant. Selbst wer die frühen sommerlichen Morgenstunden für eine engagiert gefahrene Vergleichstestrunde nutzt, wird nicht sagen können, welches Motorrad am besten "geht".
Video: Fahrbericht: KTM 1390 Super Duke R
Ordentliche Laufkultur bei der BMW M 1000 R
Bei allemal überwältigender Leistung ist es viel wichtiger fürs Fahrerlebnis, wie die Motoren ihre Kraft entfalten, wie sie in den Lastwechseln ansprechen, wie kultiviert sie laufen. Am leichtesten zugänglich ist in dieser Hinsicht der Reihenvierzylinder der BMW M 1000 R. Trotz des kleinsten Hubraums drückt er im alltagsrelevanten Drehzahlbereich bis 7.000/min sogar mehr Drehmoment als die Ducati Streetfighter V4 S mit 104 cm³ mehr Hubraum und setzt es dank der relativ kurzen Gesamtübersetzung in ausgezeichnete Beschleunigungs- und Durchzugswerte um. Außerdem spricht der Vierzylinder auch in den schärferen Motor-Modi nahezu perfekt aufs Gas an.
Dank der gleichmäßigen Zündfolge gelingt ihm auch eine recht ordentliche Laufkultur. Hochfrequentes Kribbeln vor allem im oberen Drehzahlbereich und eine deutliche mechanische Geräuschkulisse kann er aber nicht vermeiden. Um mich an dieser Stelle selbst zu zitieren: Er legt genau diese fettarme Kribbeligkeit gewichts- und leistungsoptimierter Motoren an den Tag, von der sich der massige Reihenvierer der Retro-Kawasaki Z 900 RS so wohltuend unterscheidet – wie in MOTORRAD 13/2024 beschrieben.
Ducati Streetfighter V4: stets auf dem Sprung
Mit vier spiel zwei – so kann man das Laufverhalten des Ducati-V4 beschreiben, der den Zündzyklus in zwei kurz aufeinander folgende Doppelschläge aufteilt, mit einer langen Pause dazwischen. Twin Pulse nennen die Konstrukteure diese Zündfolge. Sie verhilft dem V4 zu einem sehr individuellen Klangbild und einem Laufverhalten, das abseits der Rennstrecke nicht jedermanns Sache ist. Moderate Drehzahlen, zumal unter Last, begleitet der Desmo-V4 mit Gerappel und dem ständigen Verlangen nach mehr.
Er ist stets auf dem Sprung, bereit, alles in Vortrieb umzusetzen, was die Eruptionen in seinen Brennräumen freisetzen, und signalisiert dies auch durch eine energische Gasannahme selbst in gemäßigten Modi. Diese allgegenwärtige Leistungsbereitschaft kann ungemein faszinieren, aber auch lästig fallen, wenn es einfach nicht möglich ist, sie zu nutzen. Es ist kein Zufall, dass die Leistungskurve des Ducati-V4 erst oberhalb von 3.000/min abgebildet ist, darunter zeigt er sich unwillig.
Ducati in Tempo 30 Zonen wesentlich lauter
Ab etwa 8.000/min, schöner noch im fünfstelligen Bereich verschmelzen die einzelnen Zündungen zu einem betörenden Klang- und mitreißenden Leistungsstrom. Angesichts dessen befremdet es, wie kindisch-kleinlich aufs km/h genau die Ducati Streetfighter V4 S bei Stadtverkehrtempo die Anforderungen der Geräuschmessung für die Homologation erfüllt, nur um den Motor darunter und darüber ungehemmt brüllen zu lassen. Bei exakt 49 km/h im vierten Gang schließt sich die Auspuffklappe und bleibt bis 54 km/h geschlossen, sofern der Fahrer nicht zu stark am Gasgriff zupft. Tut er das oder steigt die Geschwindigkeit weiter an, geht die Klappe auf und der Krach hebt wieder an. Paradoxerweise lärmt er in Tempo-30-Zonen also wesentlich lauter als um die 50 km/h. Es war jedem der Tester peinlich, die letzten Meter bis zu Hause durchs Wohngebiet zu fahren. Hat man das wirklich nötig? Mag ja sein, dass die Italiener sehr klangaffin sind, aber es geht hier nicht um eine Verdi-Oper in der Mailänder Scala.
Harschere Gasannahme bei der KTM
Ausgerechnet die Ready-to-race-KTM 1390 Super Duke R Evo führt vor, wie man Motormacht eindrucksvoll, aber sozialverträglich intonieren kann. Was die Laufkultur betrifft, ist klar, dass ein hoch verdichteter Zweizylinder mit 1349 cm³ Hubraum und 75 Grad Zylinderwinkel nicht so seidig laufen kann wie ein Vierzylinder. Trotzdem vibriert der von einer Ausgleichswelle beruhigte Motor nur moderat. Ob es tatsächlich so ist oder nicht, er fühlt sich so an, als würde er eher weich verbrennen. Lediglich die Gasannahme gestaltet sich in der Tendenz etwas harscher als bei den beiden anderen.
Video: Vorstellung: KTM 1390 Super Duke R
KTM: geringste Aerodynamik, kerniger Gangwechsel
Wie das Leistungsdiagramm des KTM-Motors zeigt, läuft er beim Erreichen der Höchstleistung in den Begrenzer; das schränkt den nutzbaren Drehzahlbereich ein. Die KTM 1390 Super Duke R Evo braucht also ein weiter gestuftes Getriebe und eine längere Gesamtübersetzung als die anderen, um denselben Geschwindigkeitsbereich abzudecken. Hierin liegt der Hauptgrund dafür, dass sie trotz des höchsten Drehmoments langsamer durchzieht als die BMW M 1000 R und die Ducati Streetfighter V4 S. Die im Vergleich zur Konkurrenz "langsamen" Werte für Beschleunigung und Durchzug in höheren Geschwindigkeitsbereichen erklären sich durch die am wenigsten windschlüpfige Aerodynamik. Dafür sitzt es sich auf der KTM sehr bequem – dem hohen Lenker sei Dank. Die Ducati verdient sich ihre Ergonomiepunkte durch den angenehmen Kniewinkel.
Es versteht sich eigentlich von selbst, dass technisch so hoch entwickelte Motoren von ebenbürtigen Getrieben ergänzt werden, und die drei Testmaschinen entsprechen dieser Erwartung voll und ganz. Den kleinen Unterschied zugunsten der Ducati macht das Zusammenspiel von exakt rastender Mechanik und der Abstimmung des Schaltassistenten. Gangwechsel werden gleichsam im Unterbewusstsein vollzogen, während sich auf der BMW M 1000 R und der KTM immer mal wieder ein Schaltvorgang ins Bewusstsein drängt. Bei der BMW M 1000 R fällt das wie gewohnt etwas teigige Gefühl beim Betätigen des Schalthebels auf, das vermutlich durch eine Feder im Sensor des Schaltassistenten verursacht wird. Das KTM-Getriebe serviert ab und zu beim Herunterschalten mit Blipper einen kernigen Gangwechsel – ein großer V2 kann eben nicht mit so kurzer Verzögerung auf die Befehle der Blipper-Elektronik reagieren, wie ein doppelt so oft zündender Vierzylinder. Wer deshalb öfter mithilfe der Kupplung zurückschaltet, muss bei der KTM die höchste Handkraft aufwenden.
KTM 1390 Super Duke R: sehr agiles Lenkverhalten
Als Einzige dieses Vergleichs entstammt die KTM 1390 Super Duke R Evo einer eigenen Entwicklungslinie; weder Motor noch Fahrwerk sind von einem Supersportler abgeleitet wie bei BMW und Ducati. Bei einem kürzlich auf der Rennstrecke ausgefahrenen Vergleich sahen die schnellen Kollegen von PS (PS 7/2024) dies als Hauptgrund dafür, dass keiner von ihnen mit der KTM die Rundenzeiten von BMW und der Ducati Streetfighter V4 S erreichte. Es fehle ein wenig an Lenkpräzision und Rückmeldung, so ihr Eindruck.
Das lässt sich auch auf landstraßenüblichem Geschwindigkeitsniveau wenigstens ansatzweise nachvollziehen. Mit der Serienbereifung zeigt die Super Duke ein sehr agiles Lenkverhalten, verlangt aber in weit herumgezogenen Kurven gefühlvolle Lenkarbeit und öfter einmal leichte Korrekturen. Bei verschiedenen Gelegenheiten konnte ich in diesem Jahr verschiedene Exemplare auf unterschiedlichen Reifen und jeweils anderen Strecken fahren, nie aber ein Motorrad mit verschiedenen Reifen am selben Tag auf derselben Landstraße. Diese disparaten Eindrücke laufen immerhin in eine Richtung: Mit anderen Reifen benimmt sich die Super Duke fühlbar, quasi wohlfühlbar anders. Und tendenziell auch mit der Serienbereifung ein wenig besser, wenn die Federvorspannung hinten 50 statt 90 Prozent beträgt.
Video: Alpen Masters 2023: BMW M 1000 R vs Ducati Streetfighter V4S
Präzise Kurvenfahrt mit der BMW M 1000 R
Analog zu ihrem Motor erschließt sich auch das Fahrwerk der BMW M 1000 R am leichtesten. Sie klappt zwar nicht so willig in Schräglage wie die KTM 1390 Super Duke R Evo, doch ihr dafür einen Punkt weniger zu geben, war unter den Testern hart umstritten. Die weiteren Phasen einer Kurvenfahrt absolviert die M 1000 R vorbildlich präzise und stabil, bleibt auch bei kräftiger Auswärtsbeschleunigung auf der engen Linie. Und sie schafft es, ebenso gefällig im öffentlichen Verkehr wie effizient auf der Rennstrecke zu sein. Den Beweis dafür hat sie im bereits erwähnten PS-Test erbracht.
Nicht weniger umstritten als der Punktabzug der BMW bei der Handlichkeit ist der Gleichstand von Ducati und KTM in diesem Kriterium. Die beiden sind auf unterschiedliche Weise handlich. Auf der Streetfighter ist es weniger der erste Lenkimpuls, der den Eindruck von Leichtfüßigkeit vermittelt, sondern die energische Art, in der sie in die tiefen Schräglagen um den Kurvenscheitel abtaucht, ohne kippelig zu sein. Das erweckt Vertrauen, und unwillkürlich hängt man sich weiter neben das Motorrad, als es abseits der Rennstrecke üblich ist. Dabei zeigt sich jedoch auch, dass die Ducati Streetfighter V4 S dort ihr eigentliches Revier sieht. Sie ist am wenigsten zu Kompromissen bereit, wenn es um die Belange des Alltagsverkehrs geht.
KTM 1390 Super Duke R mit tolerablem Federungskomfort
Die Geschichte der elektronischen Fahrhilfen und ihrer Kombinationsmöglichkeiten ist schnell erzählt: Sie zieht sich bei allen dreien nahezu endlos. Für diesen Test haben wir auf das feinstoffliche Herausfahren individueller Traktionskontroll-, Wheeliekontroll- oder Fahrwerksetups weitgehend verzichtet, aus dem einfachen Grund, dass wir mit den vorkonfigurierten Modi keine Probleme hatten. Je nach Charakter des Motorrads gingen wir dabei lediglich mal in die eine, mal in die andere Richtung. Die BMW M 1000 R zum Beispiel funktioniert im Dynamik-Modus und allem, was er an einzelnen Einstellungen umfasst, auf der Landstraße sehr gut, bei der Ducati tendierten wir eher zum gemäßigten Modus "Street" als zum schärferen "Sport". Die größte Extravaganz erlaubten wir uns nach den Erfahrungen beim Top-Test mit der semiaktiven Dämpfung der KTM 1390 Super Duke R Evo. Wir stellten sie auf "Komfort" oder gar auf "Rain" und gewannen so einen tolerablen Federungskomfort, ohne Unterdämpfungssymptome beim sportlichen Landstraßenfahren. Nebenbei bemerkt: Selbst mit Slicks auf der Rennstrecke in Portimão reicht der Dämpfungsmodus "Street" vollkommen aus.
KTM 1390 Super Duke R: schärfer abgestimmter ABS-Modus
Ob es nun die nahezu monopolistisch verwendeten Brembos sind oder die von BMW und Nissin gemeinsam entwickelten M-Bremszangen, die Bremsen-Hardware der drei Hyper-Nakeds unterscheidet sich kaum noch von dem, was in diversen Superbike-Rennserien gefahren wird. Das Gefühl beim Bremsen und die Verzögerungsleistungen werden aber auch maßgeblich von der ABS-Abstimmung beeinflusst. Dies betreffend, hat bei KTM in jüngster Zeit offenbar ein Wandel stattgefunden. Der ABS-Modus "Road", der im Unterschied zum alternativen "Supermoto" auf ein steigendes Hinterrad anspricht, ist jetzt sehr viel schärfer abgestimmt als bei der Vorgängerin 1290 Super Duke. Die neue KTM 1390 Super Duke R Evo schafft aus 100 km/h jetzt mittlere Verzögerungen von nahe an die 10 m/s² ohne sich zu überschlagen. Die Streetfighter kommt im defensiven Modus, der mit den übergreifenden Fahrmodi "Sport", "Road" und "Wet" gekoppelt ist, immer noch auf sehr gute 9,4 m/s2. Die BMW M 1000 R war noch nicht im Top-Test, deshalb sind von ihr diese Messwerte nicht ermittelt.
Abseits von Messungen beim Top-Test und für alle, die Verzögerung nicht nur als pure Notwendigkeit, sondern als wichtigen Bestandteil genussreichen Motorradfahrens begreifen, bieten alle drei ein geradezu begeisterndes Bremsen-Gesamtpaket. Reaktionsschnell, mit gutem Gefühl für die Reibpaarung und mit enormer Standfestigkeit bei hoher Belastung bilden sie den ebenbürtigen Gegenpart zur nackten Motor-Macht.
Fazit
1. BMW M 1000 R: Die BMW M 1000 R ist ein erstaunlich wandlungsfähiges Motorrad, das seinen Fahrern bei allem, was sie tun, sehr weit entgegenkommt. Weil sie höchste Fahrdynamik und Alltagstauglichkeit vereint, gewinnt sie diesen Vergleich mit Abstand.
2. KTM 1390 Super Duke R Evo: Der Sieg im Wertungskapitel "Alltag" zeigt, wo die KTM 1390 Super Duke R Evo ihren Akzent setzt. Das bedeutet nicht, dass sie nicht auch fahrdynamisch zu großen Taten fähig wäre. Feintuning beim Lenkverhalten würde sie noch weiter bringen.
3. Ducati Streetfighter V4 S: Die Ducati Streetfighter V4 S erinnert in ihrer Radikalität an die legendäre 916. Wahrscheinlich verliert sie jeden Vergleichstest, der nicht ausschließlich auf der Rennstrecke stattfindet, gewinnt dabei aber eine sportlich hochmotivierte Anhängerschaft. © Motorrad-Online