Ausgehend von einer Motorradhose und ihrem kuriosen Reißverschluss-Hinweis kommt es zu dieser scharfzüngigen Reflexion über die Absurdität von Warnhinweisen. Ein Lesevergnügen für alle, die sich gern über den schmalen Grat zwischen Fürsorge und Bevormundung amüsieren.
Im Sommer war ich es leid, einem klimatischen Kollaps in der Lederhose nichts entgegensetzen zu können. Eine Motorradjeans musste her. Eine Offerte des französischen Herstellers Segura sagte zu, Passform, Ausstattung und Preis waren okay. Erwähnenswert an dieser Hose ist ein Detail, das bei vordergründiger Betrachtung wenig mit Sicherheit zu tun hat. Es geht um den Reißverschluss und die unerkannte Gefahr, die von ihm ausgeht. Dass es mich gibt, liegt nur daran, dass meine Vorfahren – zumindest die männlichen – sehr sorgfältig im Umgang mit dem Hosenreißverschluss waren. Diese Behauptung ergibt sich aus der Lektüre des Warnhinweises in meiner Hose.
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Bilder von verblutenden Kerlen in Sanifair-Anlage
Ich bin jünger als 90 und mit Reißverschlüssen an meinen Klamotten groß geworden. Und es ist immer noch alles dran, an mir. Was zwingt den Hersteller der Hose dazu, den Hinweis vor den Kuhstall zu nähen? Sollte das ernst gemeint sein, ist es nicht nur eine Beleidigung an meinen Intellekt und gesunden Menschenverstand, sondern auch an mein handwerkliches Geschick. Auch kommt es einer Entmündigung nahe. Wer ist denn bitte so blöd, vor dem Zumachen der Hose nicht alles wieder ordnungsgemäß zu verstauen? Vielleicht liege ich falsch. Wer kennt sie nicht, diese Bilder von verblutenden Kerlen, die in der Sanifair-Anlage einfach vergessen haben, welches Unheil ihnen blüht, wenn sie nach dem Wasserlassen einfach den Verschluss zureißen und sich damit schlimmste Verletzungen zufügen?
Zurück zur Entmündigung. Verletze ich mich an einem Reißverschluss, vor dem nicht gewarnt wurde, ist der Hersteller haftbar zu machen. Vor dem Ersticken unter einer Plastiktüte bewahrt mich einzig und allein der entsprechende Sicherheitshinweis. Plastiktüten, auf denen der Hinweis fehlt, lehne ich ab. Oder ich ziehe sie meinem Banker über den Kopf und warte ab, was passiert. Saubere Sache, verantwortlich wird der Hersteller der Plastiktüte sein. Für mich selber verwende ich nur Jutebeutel, wenn mir danach ist, mir eine Tasche über den Kopf zu ziehen. Zum Beispiel beim Besuch meines Bankers.
Staatlich verordnete Verlagerung von Verantwortung
Der Warnhinweis in meiner Hose entspringt mit Sicherheit nicht der Marketingabteilung im Hause Segura. Ich gehe davon aus, dass eine staatliche Institution eine Vorschrift realisiert hat, die mich und andere Träger des Textils vor dem eigenen Verderben bewahren will. Die staatlich verordnete Verlagerung von Verantwortung führt dazu, dass zum Beispiel in Hamburg der Fischhändler seine Kunden davor warnen muss, dass Fisch Gräten enthält. Grotesk wird es, wenn jemand sich an einer Gräte verschluckt und dafür den Fischhändler verantwortlich macht. Der sich verschluckende Kunde zieht mit seinem Fall vor Gericht und bekommt Schmerzensgeld. So geschehen in Altona. Und so vegetieren wir dahin, wähnen uns in Sicherheit und versuchen ohne Unterlass aus allem, was ansteht, zunächst mal die Risiken und Gefahren herauszubügeln. Apropos Bügeln: Bügeleisen enthalten den Warnhinweis, dass Kleidung nur gebügelt werden sollte, wenn sie nicht gerade am Körper getragen wird.
Und dann war da noch der Bericht über einen jungen Mann, dem ein Kanonenschlag in der Hose explodierte und ihn entmannte. Wie betankt muss man denn sein? Ich halte das für einen ganz normalen Prozess, der prima in die Ausführungen zur Selektion der Darwin’schen Evolutionstheorie passt. Ja, sicher ist das zynisch. Bei Helikoptereltern führt die Information über die Selbst-Sterilisation per Kanonenschlag zum Jahreswechsel zu panischen Posts aus allen WhatsApp-Rohren.
Hose einfach offen lassen
Einerseits haben viele Eltern Nachwuchs, der zumindest an der Schwelle zur Hochbegabung kratzt, wenn diese nicht sogar schon überschritten wurde. Andererseits wird dieser Aufzucht jede Entscheidungsbefugnis, jede Möglichkeit zur Übernahme von Verantwortung und jede Gelegenheit zum Erleben eigener Erfahrungen abgesprochen. Die Instanz der Erziehungsverpflichteten schreit nach klaren Regeln, die irgendeine Obrigkeit vorgeben soll. Und so werden im Laufe der Jahre aus Hochbegabten geistige Tiefflieger, die bei jedem Risiko nach dem Verantwortlichen schreien, bei jeder Schramme klagen und statt selbst klärend und eigenverantwortlich die kleinen und großen Risiken des Lebens zu meistern, vor Gericht ziehen.
Und genau darum brauchen wir Warnhinweise. Gefordert von Menschen, die wissen, was für andere das Beste ist. So versteckt sich hinter jedem gut gemeinten Rat die Feststellung, dass andere schlicht zu blöd sind, Gefahren zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Was meine Motorradhose angeht, bleiben mehrere Lösungen. Den Aufnäher entfernen oder den Reißverschluss durch Knöpfe ersetzen. Die Hose einfach offen lassen oder den Hinweis ignorieren. Um ganz sicher zu gehen, nähe ich noch die Taschen so eng, dass keine Kanonenschläge hineinpassen. Eine gewisse Gelassenheit bringt die aus Erfahrung gewachsene Erkenntnis, dass das im Segura-Hosenstall verewigte Risiko in der ganz kalten Jahreszeit schrumpft. Das ist ja schon mal was.
Fazit
Wir leben in einer Welt, in der Warnhinweise uns zunehmend entmündigen und uns jegliches Maß an Eigenverantwortung absprechen. Statt uns auf gesunden Menschenverstand und die Fähigkeit, mit Risiken umzugehen, zu verlassen, wälzt man Verantwortung auf Hersteller und Institutionen ab – oft bis ins Absurde. Doch die ständige Angst vor Haftung und Unfällen führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu einer Kultur, in der jeder denkbare Fallstrick vorab ausgeräumt werden soll. Vielleicht sollten wir uns wieder mehr zutrauen – und weniger von Reißverschlüssen und Plastiktüten einschüchtern lassen, so die Meinung des Autors. © Motorrad-Online
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