Forscher aus Kanada haben neue Erkenntnisse zur Lebensdauer von LFP-Akkus gewonnen. Was viele Elektroauto-Autofahrer bisher falsch machen und wie voll man den Akku beim Model 3, Model Y, Mustang Mach-E und BYD-Modellen mit LFP-Akku wirklich laden sollte.

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Memory-Effekte und Co. zählen bei modernen Lithium-Ionen-Akkus längst zur Vergangenheit. Vor der Alterung und dem damit einhergehenden Kapazitätsverlust sind aber auch modernste Stromspeicher nicht gefeit. Denn sowohl durch die Nutzung als auch durch die natürliche Alterung sinkt der sogenannte SoH (State of Health), also der Gesundheitszustand des Akkus. Viele E-Auto-Fahrer versuchen ihren Akku deshalb zu schonen. Bei den weitverbreiteten E-Autos mit NMC-Akkus (die Kathode besteht aus Nickel-Mangan-Kobaltoxid) nutzen viele Fahrer daher nur das Ladefenster von 20 bis 80 Prozent SoC (State of Charge), den sogenannten Wohlfühlbereich des Akkus.

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LFP-Akkus haben ebenfalls Wohlfühlbereich

Bei den als robust geltenden LFP-Akkus (Lithium-Eisenphosphat), wie sie etwa Tesla und BYD verbauen, ist die Nutzung im Wohlfühlfenster bislang nicht so verbreitet. Hier wird den Nutzern vor allem geraten, extreme Temperaturen zu meiden, etwa das Laden unter null Grad, da der Akku sonst irreparablen Schaden nehmen kann. Zudem forderten Hersteller wie Tesla die E-Auto-Fahrer auf, ihre LFP-Akkus ein Mal pro Woche auf 100 Prozent SOC zu laden. Bei Ford sieht die Bedienungsanleitung für den Mustang Mach-E mit LFP-Akku vor, dass die Batterie mindestens einmal im Monat vollgeladen werden sollte. Für viele Autofahrer gilt das als Freifahrtschein, die Akkukapazität der LFP-Stromer immer voll auszuschöpfen.

Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass auch LFP-Akkus einen Wohlfühlbereich im SoC-Fenster haben. Das zeigt eine Studie der Dalhousie University im kanadischen Halifax, die im Journal of Electrochemical Society veröffentlicht wurde.

LFP-Zellen altern zwischen 75 und 100 % SoC an schnellsten

Die Forscher stellten fest, dass der SoH mit der Zeit deutlich sinkt, wenn der Akku auf Dauer außerhalb dieses Wohlfühlfensters betrieben wird. Im schlechtesten Fall verloren die Zellen im Labor über 30 Prozent ihrer Kapazität, als sie nur im SoC-Bereich von 75 bis 100 Prozent betrieben wurden. Die Zellen, die dagegen im Bereich von null bis 25 Prozent betrieben wurden, büßten am wenigsten Kapazität ein. Selbst Zellen, die während des Tests im Bereich von null bis 100 Prozent SoC geladen und entladen wurden, schnitten deutlich besser ab als die Zellen, die nur im oberen Ladezustandsbereich betrieben wurden.

Laut den Forschern passiert das aufgrund von ungewollten Nebenreaktionen in der Zelle. Diese werden durch höhere Zellspannungen begünstigt und sorgen dafür, dass Lithium-Ionen gebunden werden – also die Ionen, die für den Stromfluss in der Zelle zuständig sind. Sind weniger Lithium-Ionen verfügbar, sinkt automatisch die verfügbare Kapazität der Zelle.

Was heißt das für den E-Auto-Fahrer?

Zunächst einmal sollte festgehalten werden, dass es sich bei der Untersuchung bisher nur um eine Studie unter vielen handelt – und die Autoren selbst sagen, dass sich ihre Untersuchungen nicht in allen Bereichen mit den Ergebnissen anderer Studien decken. So hat eine Untersuchung von 2014 gezeigt, dass die Kapazität von LFP-Akkus eher beim Betrieb in hohen SoC-Bereichen gehalten werden konnte, wobei es große Unterschiede bei der Untersuchungsmethode gab. Zudem handelt es sich bei den Messungen um Lebenszeitanalysen, bei denen die Akkus bewusst Umgebungen ausgesetzt werden, in denen sie schnell altern.

E-Auto-Fahrer können ihr Fahrzeug also weiterhin im gewohnten Rahmen nutzen – nur der Freifahrtschein für ständiges Laden auf 100 Prozent wurde mit den Studienergebnissen kassiert.

Warum fordern Tesla und Ford das Laden auf 100 Prozent?

Der Grund liegt im Batterie-Management-System (BMS) und einer Eigenheit der LFP-Zellen. Das BMS überwacht laufend jede einzelne Zelle im Elektroauto und stellt sicher, dass alles in Ordnung ist. Dabei kontrolliert das BMS vor allem die Zellspannung und die Zelltemperatur, aber auch die Ströme, mit denen die Zelle geladen und entladen wird. Außerdem berechnet das BMS den aktuellen Ladestand (SoC) des Autos, der beispielsweise für die Reichweitenberechnung benötigt wird, und regelt entsprechend das Ladeverhalten an der Ladesäule.

Das Besondere an der LFP-Zelle ist ihre flache OCV-Kurve. OCV steht für "Open Curcuit Voltage". Das beschreibt die sogenannte Leerlaufspannung, also jene Spannung, die bei einer Zelle anliegt, wenn keine Last abgerufen wird. Da NMC-Zellen eine vergleichsweise steile Spannungskurve haben, kann jeder Zellspannung gewissermaßen eine spezifische Restkapazität zugewiesen werden. So weiß das BMS anhand der Spannungsmessung immer, wie viel Restenergie noch in der Zelle ist.

LFP-Zellen haben üblicherweise aber ein breites Plateau in der Kurve, bevor sie kurz vor der 100-Prozent-Marke wieder steil ansteigt. Dadurch steht einem großen Fenster an Ladezuständen nur ein Spannungsniveau gegenüber. Bei 3,3 Volt könnte der SoC in der beispielhaften Abbildung oben demnach bei 20, aber auch bei 80 Prozent liegen. Entsprechend muss das BMS bei LFP-Akkus die Strommenge messen, die rein- und rausgeht. Im Grunde sogar jedes einzelne Elektron, dass den Akku verlässt oder beim Laden wieder dazu kommt. Diese Messungen sind allerdings nicht besonders genau und werden von vielen Faktoren beeinflusst. Daher wird die Prognose des Energiegehalts und damit schlussendlich auch der Reichweite mit der Zeit immer ungenauer. Durch den spezifischen Ausschlag der Spannungskurve nach oben lässt sich das BMS aber wieder in gewisser Weise neu kalibrieren. Die Messung der Strommenge kann dann wieder von vorn beginnen.

Sollte ich meinen LFP-Akku nicht auf 100 Prozent laden?

Der Hersteller macht diese Vorgabe nicht ohne Grund. Wie oben beschrieben, braucht das BMS eine gute Datenbasis, um verlässlich zu arbeiten. Um den Akku zu schonen, sollte man aber bestenfalls nicht zu Hause an der Wallbox auf 100 Prozent SoC laden und das Fahrzeug anschließend lange stehen lassen. Der einfachste Weg ist daher, entweder den Akku per Lademanagement erst kurz vor der Abfahrt auf 100 Prozent laden zu lassen oder den Akku unterwegs vollzuladen, wenn man weiß, dass man zeitnah wieder losfährt. So hat das BMS die Chance, sich neu zu kalibrieren, und die Zellen müssen nicht allzu lange auf dem hohen Spannungsniveau verharren.

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Grundsätzlich gilt: Moderne E-Auto-Akkus sind sehr stabil und altern sehr langsam im Vergleich zu ihren frühen Vorfahren. Zyklenzahlen von 6.000 sind bei modernen LFP-Zellen keine Seltenheit. Ein irreparabler Schaden durch Erreichen und kurzes Verharren bei 100 Prozent SoC ist daher nicht zu erwarten; lediglich der Alterungsprozess wird etwas beschleunigt. Beim seltenen, aber regelmäßigen Laden auf 100 Prozent SoC handelt es sich daher um einen Kompromiss, der die Zelle möglichst wenig schädigt, aber dem BMS gleichzeitig die Chance gibt, die Zellen bestmöglich zu überwachen.

Generell gilt: Gelagert werden sollte der LFP-Akku ebenso wie ein NMC-Akku nicht bei 100 Prozent SoC.

Zur Studie:

Für die Studie haben die Forscher fünf verschiedene SoC-Bereiche untersucht. Null bis 25 Prozent, null bis 60 Prozent, null bis 80 Prozent, null bis 100 Prozent und 75 bis 100 Prozent. In jedem dieser Bereiche wurden die untersuchten Batterien 2.500 Stunden geladen und entladen. Jede Zelle wurde in dieser Zeit mit derselben Menge Energie geladen und entladen. Die Tests wurden unter (zumindest für die meisten E-Autos) extremen Bedingungen durchgeführt: einmal bei 40 Grad Celsius und einmal bei 55 Grad Celsius. Dieses Vorgehen ist bei derlei Untersuchungen üblich, da so die Alterung beschleunigt werden kann und die Ergebnisse und Unterschiede schneller ans Licht treten.

Hinweis: In der Fotoshow informieren wir Sie darüber, was Ford in Sachen LFP-Akkus plant.  © auto motor und sport

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