Während in Autos und bei Dieselaggregaten Turbo-Technik längst Standard ist, bleiben Motorräder meist saugend. Warum eigentlich? Ist die Aufladung nur eine technische Spielerei oder gibt es echte Vorteile?

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Genau genommen begann die Geschichte der aufgeladenen Motoren am 11. Juli 1879 in Winterthur in der Schweiz. Alfred Büchi erblickte das Licht der Welt. Bereits mit 26 Jahren, 1905, erhielt der junge Ingenieur das Patent Nr. 204630 für seine Idee, eine Turbine in den Abgasstrom zu stellen und mit ihrer Hilfe Luft in den Ansaugtrakt zu pressen. Ihm war aufgefallen, dass etwa zwei Drittel der Energie eines Motors in Form von Wärme und beschleunigten Gasen verloren gehen. Diesen schlechten Wirkungsgrad sollte seine Erfindung verbessern. Dabei steckte damals die Motorentechnik noch völlig in den Kinderschuhen. Erst Mitte der 1920er-Jahre sollten die ersten Turbomotoren entstehen, die Anforderungen an Flugmotoren beschleunigten die Entwicklung dann rapide.

Wie funktioniert Aufladung und was bringt sie?

Grundsätzlich entsteht die Leistung eines Motors durch das kontrollierte Verbrennen eines Kraftstoff-Luft-Gemischs. Durch den dabei entstehenden Druck im Brennraum wird ein Kolben bewegt, der über eine Pleuelstange die Kurbelwelle in Rotation versetzt. Je mehr Gemisch im Brennraum abgefackelt wird, desto mehr Druck entsteht und desto mehr Kraft entwickelt der Kolben auf das Pleuel. Klar ist: Mehr Druck gibt es durch einen größeren Kolben, der einen größeren Brennraum bespielen kann und mehr Gemisch ansaugt.

Oder man presst das Gemisch mit Gewalt in den Brennraum, beispielsweise mit einem Turbolader. Dann braucht man keinen so großen Kolben. Wenn man jetzt Druck mit Drehmoment bezeichnet und weiß, das Drehmoment mal Drehzahl die Leistung ergibt, ist viel verstanden. Dank Aufladung kann man also mit relativ kleinen Motoren viel Drehmoment und Leistung erzielen.

Warum gibt es unterschiedliche Lösungen?

Damit wäre die Geschichte eigentlich fast schon zu Ende, wenn man sich nicht fragen könnte, warum gibt es denn unterschiedliche Lösungen. Mal mit Turbo, mal ohne, Diesel fast immer mit, Motorräder meist ohne. Um das herauszufinden, müssen wir etwas tiefer einsteigen: Diesel kämen ohne Lader nie auf Leistung, im Vergleich zu Saugmotoren erzielt man die dreifache Power. Moderne Motorradmotoren liefern um die 200 PS und mehr aus gut 1000 cm³. Die dazu erforderlichen Drehzahlen liegen bei über 13.500/min.

Mechanisch ist das inzwischen kein Problem mehr, die dafür meistens verwendeten Vierzylindermotoren halten das viele Zehntausend Kilometer durch. Wobei natürlich niemand diese Spitzenleistung dauernd abruft, sondern eher im Bereich von 20 bis 120 PS fährt.

Turbolader machen im Motorrad eher weniger Sinn

Wozu eigentlich eine Aufladung in Erwägung ziehen? Die Antwort ist rein technisch betrachtet einfach. Für ein Motorrad lohnt sich der ganze Aufwand nicht. Eigentlich. Denn wer richtig Druck haben will, muss einfach den Hubraum erhöhen. Warum statt krampfhaft bei 1000 cm³ zu verharren, nicht einen Supersportler mit 1.500 cm³ bringen? Immerhin haben das Ducati und Aprilia mit ihren V4-Moteren schon mal angegangen. Um diesen hochdrehenden Rennmotoren noch etwas Drehmoment und Fahrbarkeit in niedrigen Drehzahlen mitzugeben, gingen beide Firmen auf 1100 cm³. 1.500 cm³ wären natürlich viel besser. Dann wären 250 PS und satte 160 Nm kein Problem.

Mehr als genug, oder? So entlarvt sich das Thema Aufladung schnell als Marketing-Maßnahme. Oder als Beweis, dass man diese komplizierte Technik beherrscht. Denn banal ist die Sache nicht. Beispiel Turbolader: Die Auspuffkrümmer müssen zusammengeführt werden und ihre Abgase auf die Turbine blasen. Die so beschleunigte Turbine fördert auf ihrer kalten Seite Frischluft in Richtung Zylinderkopf. Der Gasstrom muss also wieder aufgeteilt werden. Und wenn man die soeben verdichtete Luft wieder herunterkühlen möchte, weil sie sonst schon vor der Verbrennung heiß wäre, dann muss auch noch ein Ladeluftkühler untergebracht werden. Das braucht Platz.

Noch schlimmer: Ansprechverhalten der Abgasturbolader

Noch viel schlimmer ist aber das Ansprechverhalten der Turbos. Um die Turbine auf Drehzahl zu bringen, braucht es Zeit. Zum einen, weil der Motor erst einmal nicht genügend Abgas ausstößt, zum anderen, weil die Massenträgheit der Turbine überwunden und der Überdruck erst aufgebaut werden muss. Immerhin drehen die kleinen Lader mit bis zu 250.000/min. Motorradfahrer wollen aber nicht warten, bis die Leistung einsetzt, sondern erwarten sofortige Power. Das schaffen selbst Twin-Scroll-Lader nicht.

Dafür gibt es eine Lösung: Man treibt die Turbine mechanisch an, dann liegt je nach Auslegung immer genügend Druck an. Genau das macht Kawasaki bei der H2R. Über ein Getriebe zapft man Antriebskraft für die kleine Turbine ab, die noch dazu hinter dem Motor platziert werden kann und deshalb nicht viel Platz benötigt. Wie bei allen Ladermotoren muss auch bei dem Kawasaki-System die überschüssige Ladeluft über ein Bypass-Ventil entsorgt werden. Dieses Ventil regelt auch den maximalen Ladedruck. Dieser darf nicht zu hoch angesetzt werden, sonst fliegt einem der Motor schnell um die Ohren. Immerhin bläst Kawasaki den H2R-Motor auf über 310 PS auf, eine gewaltige Leistung.

Bessere Lösung: Turbine mechanisch antreiben

Womit wir bei der echten Anwendung für den Lader ankommen. Wenn es wirklich brachial vorwärtsgehen soll, dann macht der Lader Sinn. Kawasaki steigert die Leistung der H2R auf diese Weise um über 60 Prozent. Allerdings muss dabei die gesamte Mechanik der Hochbelastung angepasst werden: Motorgehäuse, Kolben und Pleuel, Kühlung und nicht zuletzt auch das Getriebe. Der Kawasaki-1000er wurde hier mustergültig entwickelt. Sogar die Verdichtung musste kaum zurückgenommen werden im Vergleich zum Saugmotor.

Fazit

Grundsätzlich sind Turbolader eine effektive Möglichkeit, mehr Leistung aus einem kleineren Motor herauszuholen. Während sie bei Dieselmotoren und Automobilen oft unerlässlich sind, sieht das im Motorradbereich etwas anders aus. Moderne Motorradmotoren können bereits ohne Turbo hohe Leistungen erzielen – oft über 200 PS aus 1.000 cm³.

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Zudem gibt es technische Nachteile:

  • Platzbedarf: Ein Turbolader benötigt zusätzliche Komponenten wie Krümmer, Ladeluftkühler und Rohrleitungen.
  • Ansprechverhalten: Turbos haben eine Verzögerung, bis der Ladedruck aufgebaut ist, was für Motorräder mit direkter Gasannahme problematisch ist.
  • Komplexität & Kosten: Die Konstruktion ist aufwendig, wartungsintensiv und erfordert massive Anpassungen an Motor und Getriebe.

Ausnahme: Statt eines klassischen Turboladers auf eine mechanische Aufladung setzen, wodurch die Verzögerung entfällt und jederzeit Druck anliegt. Das ermöglicht extreme Leistungen über 300 PS.  © Motorrad-Online