In den USA stand kürzlich ein sehr seltener Vector W8 Twin Turbo zum Verkauf. Es handelte sich um das erste Exemplar des extremen US-Sportwagens.
Der Vector W8 gehört ohne Frage zu einer ganz seltenen Fahrzeuggattung: Zu den Sportwagen, bei denen selbst unerschrockene Fahrerinnen und Fahrer unwillkürlich einen Schritt zurückweichen, sobald das Garagentor aufgeht und sie der schieren automobilen Gewalt gegenüberstehen. 2,08 Meter breit und kaum 108 Zentimeter hoch, scheint der Vector W8 zähnefletschend nur auf den Versuch zu warten, ihn in Betrieb zu nehmen.
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Die Fahrertür des Vector W8 schwingt nach oben auf, der breite Seitenschweller gemahnt ein bisschen an den Mercedes-Flügeltürer, und die eingetunnelte Sitzposition im Cockpit vermittelt ziemlich viel vom spröden Charme eines Gruppe-C-Rennwagens, der aus dem Tank heraus verdächtig nach Nitroglyzerin riecht. Der Rodeck-V8 ist quer hinter dem Fahrer installiert und verfügt über zwei Garrett-Turbolader, Trockensumpfschmierung sowie eine elektronische Kraftstoffeinspritzung und Direktzündung. Die Dreigang-Automatik ist dem Vector W8 über einen Wandler verbunden, genug Drehmoment bieten sechs Liter Hubraum ja ohnehin schon direkt nach dem Aufwachen.
"Starfighter für die Straße"
314 km/h soll der Vector W8 gehen, sagte einst sein Erbauer. Der deutschstämmige Amerikaner Gerald Wiegert, der einst für General Motors zeichnete und auch die Welt der Militärflugzeuge liebte, wollte schon zu Beginn der 70er-Jahre "einen Starfighter für die Straße" bauen. Geplant als rein amerikanische Technik-Attacke, schwebte ihm als Fernziel vor, mit dem Vector W8 sämtliche europäischen Supersportwagen zu überholen. Die Voraussetzungen dazu hatte er mit 634 PS und maximal 854 Newtonmetern.
Der erste Vector W8 Twin Turbo wurde im September 1990 präsentiert, auf der New York Auto Show. In den nächsten Jahren entstanden 17 Kundenautos und zwei Prototypen. Die Preise für den Wagen lagen zwischen knapp 300.000 und mehr als 400.000 Dollar. In der Technik unterschied sich der Supersportler nicht wesentlich vom bereits 1981 präsentierten Vector W2, der jedoch nie über den Status eines Prototyps hinauskam. Dessen unrühmliches Ende: Bei einer Werbeaktion des Düsseldorfer Autohauses Becker, das den Supersportler in Europa vertreiben sollte, ging der W2 spektakulär in Flammen auf, statt die ebenfalls anwesenden Ferrari-, Porsche-, De-Tomaso- und Lamborghini-Modelle beim Beschleunigungsrennen hinter sich zu lassen.
Seltene Kaufgelegenheit
Kern des W8-Monocoques ist ein Rahmen aus Chrom-Molybdän-Rohr, verbunden mit Aluminium-Honeycomb-Waben, Carbon- und Kevlarteilen. Das Chassis wiegt nur 160, die Carbon-Karosserie 45 Kilogramm. Heute gehört er zu den superseltenen Youngtimer-Exoten, die unfassbar viel Geld kosten, sollte überhaupt einmal einer in den Handel kommen. Kürzlich war es so weit: Ein Exemplar stand bei der US-Auktionsplattform "Bring a Trailer" zum Verkauf. Und zwar nicht irgendeines: Es handelte sich um das erste gebaute Kundenauto mit der Chassisnummer 001.
Besagter Vector W8 kam ordentlich rum auf der Welt. Dem Verkäufer zufolge wurde er ursprünglich an ein Mitglied der saudi-arabischen Königsfamilie verkauft. Dieser ließ ihn direkt von der New York Auto Show in die Schweiz bringen, wo er einige Jahre verbrachte. Später ging es für die Sportwagen-Flunder zurück in die USA. Erst nach Los Angeles, wo sie der jetzige Verkäufer entdeckte, 1999 erwarb und über die Zwischenstation Arizona in den US-Bundesstaat Michigan brachte. Der W8 befindet sich nicht mehr ganz im Originalzustand: Bei seiner Odyssee wurde die Karosserie an mehreren Stellen leicht beschädigt und danach ausgebessert. Der Vector rollt inzwischen auf 17-Zoll-Rädern, die formal den ursprünglichen 16-Zöllern nachempfunden sind, die dem Auto jedoch beiliegen.
Knöpfe, Tasten, Pixelfehler
Innen präsentiert der Vector W8 ein zerklüftetes Cockpit mit optisch unpassend anmutendem Dreispeichen-Lenkrad, in dem es vor Knöpfen, Tasten und Reglern nur so wimmelt. Eine Eigenheit ist das aus einem Flugzeug stammende Digital-Display mit bernsteinfarbener Anzeige, das beim angebotenen Exemplar allerdings Pixelfehler aufweist. Doch kein Problem – ein Ersatz-Display ist im Kaufpreis enthalten. Der fiel übrigens heftig aus: Nach 49 Geboten fiel der virtuelle Auktionshammer bei 740.000 Dollar (aktuell umgerechnet gut 690.000 Euro). Als Laufleistung nannte der Verkäufer ungefähr 4.000 Meilen (knapp 6.440 Kilometer); der Zähler für die Betriebsstunden meldet deren 164.
Wie es der Firma Vector nach dem W8-Projekt weiter erging? 1993 ging das Unternehmen in Konkurs, die Besitzer wechselten, rund 20 Exemplare des weiterentwickelten M12 mit Lamborghini-Countach-Motor folgten. Dann übernahm Wiegert die Marke erneut – und kündigte sofort ein 2.000-PS-Coupé mit Zehnliter-V8 an, gut für 450 km/h, rund 100 km/h mehr als beim Vector W8. Damit war wieder alles beim Alten: Kraft muss man einfach wagen, wenn auch das erneute Scheitern fast folgerichtig war. © auto motor und sport
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