Um ehrlich zu sein, fand ich Online-Rollenspiele immer ein bisschen gruselig: Man baut sich einen Charakter nach persönlichem Gusto auf, trifft und kommuniziert mit wildfremden "Freunden" und verbringt einen Großteil seiner realen Freizeit in virtuellen Welten. Doch die Popularität von "World of Warcraft" spricht eine deutliche Sprache: Online-Rollenspiele sind kein nerdiges Minderheiten-Hobby. Also muss ich dem Spiele-Genre wohl eine Chance geben und teste mit "Guild Wars 2" mein allererstes "Massive Multiplayer Online Role Playing Game" oder kurz MMORPG. Doch genau diese Unerfahrenheit ist wohl der Grund, warum es zwischen "Guild Wars 2" und mir keine Liebe auf den ersten Blick ist.

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Die Entwicklung von "Guild Wars 2" beginnt bereits im Jahr 2007. Das Entwickler-Team von "ArenaNet" sprudelt damals über vor Ideen. Schließlich wird erkannt, dass es mehr Sinn machen würde, ein völlig neues Spiel auf den Markt zu bringen, als den Vorgänger "Guild Wars" weiter zu entwickeln. Und sieben Millionen Guild-Wars-Fans warten geduldig über fünf Jahre, bis der Nachfolger endlich in den Regalen steht. Eigentlich genug Leute, um sich spontan online anzufreunden und die verschiedenen Aufgaben, die Quests, zu erledigen. Diese reichen vom klassischen Rollenspielalltag im Sinne von "Töte das und bringe es dorthin" zu wahrlich epischen Aufgaben wie dem Kampf mit bestimmten Endgegnern.

Die Geschichte - Worum geht's?

Doch bevor das Spiel endlich losgeht, muss ich erst einmal meinen Charakter erstellen. Aus fünf verschiedenen Völkern kann ich wählen: Da gibt es den stierähnlichen "Charr", die kleinen "Asura", die menschenähnlichen "Norn", die elfengleichen "Sylvari" und die Menschen. Ein bisschen Fantasy reizt mich ja schon, deswegen entscheide ich mich für die Norn, ein Jägervolk, dass eine innige Bindung zur Natur pflegt.

Doch damit ist es nicht getan: Geschlecht und Körperbau wollen bestimmt, Haut- und Haarfarbe ausgewählt sowie Stil und Ton der Kleidung ausgesucht werden. Die Möglichkeiten sind dabei schier grenzenlos, was einerseits fantastisch und andererseits überfordernd ist. Zudem muss ich für meinen Helden eine Hintergrundgeschichte aussuchen.

Mit diesem Feature unterscheidet sich "Guild Wars 2" auch von seinem größten Konkurrenten "World of Warcraft". Denn während WoW grundsätzlich Veränderungen in der Spielwelt für alle Spieler mit neuen Erweiterungen einführt, versucht "Guild Wars" einen anderen Ansatz. Hier werden Spielern eigene Geschichten präsentiert, fast wie in einem Einzelspieler-Rollenspiel. Die persönlichen Entscheidungen haben also nur für den einzelnen Spieler Einfluss auf die Umwelt. Klingt kompliziert? Ist es aber nicht.

Ein hypothetisches Beispiel: Ich rode für eine Quest einen Wald. Nun ist dieser Wald für mich im Spiel nicht mehr sichtbar oder liegt brach. Wer mir bei dieser Quest geholfen hat, erlebt die gleichen Auswirkungen. Spiele ich nun mit anderen Spielern zusammen, können diese den Wald noch sehen. So ergeben sich viele persönliche Auswirkungen auf die Spielwelt, was einen sehr individuellen Verlauf der Geschichte ermöglicht.

Am Ende des ganzen Auswahlverfahrens wird mein Charakter zu einem halbherzigen Wikinger-Prototypen, inklusive rabiatem und alkoholgeschwängertem Hintergrund - und das Spiel kann endlich beginnen.

Die Steuerung – wie spielt sich's?

Mit der Steuerung der PC-Tastatur tue ich mir anfangs sehr schwer. Herumlaufen, Blickrichtung anpassen und dann noch auf einen sich bewegenden Gegner eindreschen, will einfach nicht so recht funktionieren. Vielleicht liegt das an der mangelnden Übung, doch als mein Zocker-Kollege beim Ausprobieren selbst leise über die Steuerung flucht, lässt mich das zumindest glauben, dass ich mich nicht ganz so bescheuert anstelle.

Dabei sollte alles eigentlich so einfach sein: Klassisch lässt sich der Charakter mit den Pfeiltasten oder WASD steuern. Die einzelnen Nummerntasten lösen Attacken aus, die Maus wird eigentlich nur benötigt, um sich umzusehen und die verschiedenen Menüs zu bedienen. Ansonsten gibt es klassische Rollenspielkost: Im Inventar kann der Charakter mit neuer Ausrüstung versorgt und die Waffen gewechselt werden. Verschiedene Tasten leiten zum Map-Screen und zur Quest-Übersicht. So weit, so normal.

Doch ich kann nicht nur über "Guild Wars 2" meckern: Mit dem Spielprinzip komme ich schnell zurecht und verstehe meist auch auf Anhieb, was in den verschiedenen Quests von mir verlangt wird. Auch die Grafik und die Liebe zum Detail beeindrucken mich sehr. Doch das alleine reicht nun mal nicht, um den Funken überspringen zu lassen.

Fazit – lohnt sich's?

Mir fällt der Einstieg bei "Guild Wars 2" so schwer, dass ich nicht noch etliche Stunden freiwillig weiterzocken möchte. Viele Dinge werden von den Entwicklern bereits als gegeben vorausgesetzt. Zwar gibt es zu allen Schritten Tutorials, meist beschränken sich diese aber auf einen simplen Textblock – und das ist auf Dauer leider extrem langweilig.

Allerdings bin ich davon überzeugt, dass dieses Online-Rollenspiel - dank diverser Möglichkeiten und cooler Grafik - auch für alte Hasen des Genres etwas zu bieten hat. Vor allem die "World vs. World"-Kämpfe, in denen verschiedene Fraktionen mit mehreren hundert Spielern gegeneinander antreten, dürften es vielen alten Rollenspiel-Hasenrichtig antun.

Und auch der schiere Umfang ist sehr üppig. "Guild Wars 2" bietet so viele Dialoge wie 90 Spielfilme und die bereits erwähnten Hintergrundgeschichten des Charakters sind sicher für ein paar Spieldurchläufe gut. Wer also nach einem mittelalterlichen Online-Abenteuer sucht und guten Gewissens digitale Waldbewohner niedermetzeln kann, wird bei "Guild Wars 2" sicher fündig.

"Guild Wars 2" ist seit Ende August im Handel erhältlich. Der Preis liegt bei rund 50 Euro. Monatliche kosten fallen nicht an.

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